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Joschkas Enkel zieren sich

Tarek Al-Wazir gilt wie sein "Polit-Opa" Joschka als ein politisches Talent der Ausnahmeklasse, strategisch und rhetorisch. Und er möchte vorerst in Hessen bleiben, hofft dort auf ein Ministeramt.

Von Anke Petermann | 10.05.2012
    Hessen ist grünes Stammland. Joschka-Land, denn mit Joschka Fischer als Turnschuh-Minister traten die Grünen erstmals in eine Regierung ein. Was die Ökopartei bis heute attraktiv macht: Hunderte neue Mitglieder gewann sie in jüngster Zeit dazu. Neumitglieder, die zum Landtagsbesuch nach Wiesbaden eingeladen werden, samt abendlichem Gespräch mit der Fraktionsführung. Die ersten eineinhalb Stunden der kleinen Polit-Talkrunde mit zehn Teilnehmern bestreitet Kordula Schulz-Asche als weiblicher Teil der Doppelspitze allein. Der hessische Grünen-Star Tarek Al-Wazir fehlt noch. Seinem Spitznamen "heimlicher Oppositionsführer" macht er an diesem Abend im Landtagsplenum wieder alle Ehre. Der 41-Jährige mit dem silbermelierten Bürstenschnitt nervt die CDU so lange, bis sich Ministerpräsident Bouffier endlich der Flughafen- und Fluglärmdebatte stellt. Mit eineinhalb Stunden Verspätung wechselt danach ein glänzend gelaunter Grünen-Chef vom Plenar- in den Fraktionssaal, zu den wartenden Neumitgliedern.

    "Irgendwann kam der Bouffier mit hochrotem Kopf reingerannt",

    berichtet Al-Wazir den Neuen – wie sie hoch zufrieden damit, dass die Grünen die Nachtflugdebatte hartnäckig befeuern. Sich im Handumdrehen vom bissigen, oppositionellen Haudrauf-Rhetoriker in den jovial-netten Duz-Parteifreund Tarek zu verwandeln – kein Problem für den Vollblutpolitiker im grauen Anzug. Kurzer Blick auf die Ko-Vorsitzende, die mit der Vorstellungsrunde auf ihn gewartet hat:

    "Gut, ich fang dann mal an. Ich bin Tarek Al-Wazir. Ich bin Mitglied der Grünen seit 1989. Und bin in den Landtag gekommen 1995, das heißt, gehöre hier mit zu den Dienstältesten und bin ein gewisses Unikum, weil ich sowohl Fraktionsvorsitzender, als auch Parteivorsitzender des Landesverbandes bin. Das ist ja bei den Grünen nicht so normal."

    So viel Macht hatte parteiintern - formal betrachtet - nicht mal Joschka Fischer. Aber Fischers Enkel Al-Wazir ist ja auch kein normaler Grüner, sondern – wie sein Polit-Opa Joschka - ein Talent der Ausnahmeklasse, strategisch und rhetorisch. "Ein Mann auf Fischers Spuren" titelte die Stuttgarter Zeitung im September 2009, verbunden mit einer Eloge auf Al-Wazirs Intelligenz und Akribie, auf seinen Fleiß und Witz. Damals aber weigerte er sich, den besagten Spuren von Wiesbaden nach Berlin zu folgen. Dabei hatten viele den gebürtigen Offenbacher inständig gebeten, für den Bundestag zu kandidieren. Doch Al-Wazir war gerade noch mal Vater geworden und lehnte ab. "Der kann Kanzler" schrieb zu der Zeit die Süddeutsche Zeitung. Wie ein Regierungschef motivieren kann er, zum Parteieintritt nämlich. Sichtlich angetan sind die Neumitglieder von Al-Wazirs ironisch-humorvoller Art, Politik zu präsentieren:

    "Also, neulich haben sich ein paar Grüne dabei ertappt, dass sie sagten: Ach, beim Koch, das waren noch Zeiten."

    "Also, ich denke schon, dass der Herr Wazir in der Bundespolitik eine tragende Rolle spielen könnte. Inwieweit man hier in Hessen seinen Verlust verschmerzen würde, weiß ich nicht, das sei mal dahingestellt."

    Meint Thomas E. aus Viernheim, aufgewachsen neben dem Atomkraftwerk Neckar-Westheim.

    "Aber ich denke schon, dass er Potenzial hätte, die Ideen und Werte der Grünen bundesweit zu vertreten."

    Warum mischt sich der laut Meinungsumfragen beliebteste hessische Politiker nicht ein ins Tauziehen um die grüne Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl? Warum will der Al-Wazir partout nicht nach Berlin?

    "Ja, weil der Al-Wazir hier in Hessen eine Verantwortung hat. Ganz altmodisch gesagt. Ich hab' ganz klar gesagt, ich muss es schaffen, dass wir in der nächsten Landesregierung sitzen, mit möglichst starken Grünen im Hessischen Landtag. Und wenn ich mir das vorgenommen habe, dann mache ich das auch."

    Trumpft der Pragmatiker auf. Auf Berliner Fundi-Gegen-Realo-Spielchen hat der Hesse keine Lust. Anders, als Altstar Fischer brachte es das Jungtalent bislang nur zum Fast-Umweltminister - mit fertigem rot-grünen Koalitionsvertrag immerhin. Doch in der Folge des Ypsilanti-Debakels endete diese Karriere schon mit der Nominierung. Jetzt will es Al-Wazir noch mal wissen, der Sohn einer deutschen Lehrerin und eines jemenitischen Diplomaten. 2014 sieht er die Chance, die Verheißung seines arabischen Nachnamens einzulösen – al Wazir – der Minister. Dass sich die jungen Talente in den Ländern erst mal warmlaufen – der hessische Grünenchef sieht darin weder mangelnden Machtwillen noch fehlenden Kampfgeist. Da spricht er nicht nur für sich selbst:

    "Ich schaue auf Robert Habeck, der jetzt hoffentlich in der nächsten schleswig-holsteinischen Regierung ist. Ich gucke auf Boris Palmer, der Exekutive, Oberbürgermeister, ist. Ich sag's mal so: Joschka Fischer und Jürgen Trittin hätten wahrscheinlich in der Bundesregierung auch nicht die Arbeit machen können, die sie gemacht haben, wenn sie vorher nicht mal Landesminister gewesen wären."

    Al-Wazirs neuer Versuch, dem Schicksal des ewigen Oppositionellen zu entkommen – riskant, trotz glänzender Beliebtheitsnoten für ihn und bester Umfragewerte für die Grünen. Hessen wählt als erstes Land nach der Bundestagswahl 2013. Solide grüne Landtagsleistung könnte von ungünstigen bundespolitischen Strömungen überlagert werden. Erstarken die Piraten weiter, wird die Hessen-SPD am Ende zum Großkoalitionär und die Grünen gucken in die Röhre. Al-Wazirs Spott über "Prince Charles" Bouffier, den bis zu Kochs Abgang ewigen Thronfolger, dieser Spott könnte dann auf ihn selbst zurückfallen. "Opposition kann der Al-Wazir", höhnen Schwarze jetzt schon, "das sollte er ruhig noch eine ganze Weile machen."