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Joshua Groß: "Faunenschnitt"
Roman nach den Prinzipien des Rauschs

Joshua Groß, Jahrgang 1989, rechnet ab mit den Konventionen, dem vermeintlichen Realismuszwang und der Beamtenhaftigkeit des deutschen Literaturbetriebs. Sein neuester Roman "Faunenschnitt" ist raffiniert und selbstbewusst, es geht um alles und nichts. Ein ungetrübter Lesespaß ist es aber nicht.

Von Christoph Schröder | 16.09.2016
    Eine Menschenmenge wird verzerrt und verschwommen dargestellt.
    Ein Roman, wie ein Rausch. (picture-alliance/ dpa / Fredrik von Erichsen)
    Zunächst einmal gilt es, brutal Hand anzulegen an dieses aufwendig und wunderschön gestaltete Buch. Am besten mit einem scharfen Messer. Denn die Seiten mit den Fotografien von Hannah Gebauer, die den Text illustrieren und ergänzen, sind in Schmetterlingsbindung gebunden und nicht geöffnet. Das heißt: Der Leser muss sie selbst auftrennen, wenn er die Fotografien sehen will. Das Spiel mit Bedeutungen und Realitätsebenen, das Groß inszeniert, wird auf diese Weise formal fortgesetzt. Und der Text leuchtet uns in irritierender roter Schrift entgegen. Bloß nicht so sein wie alle anderen.
    Joshua Groß, Jahrgang 1989, schreibt Gedichte, Novellen und Romane. In der Off-Szene gilt er als genialisch flackerndes Irrlicht; als Konventionsverweigerer, der dem vermeintlich bräsigen Literaturbetrieb mit Witz und Intelligenz den Spiegel vorhält. Der Protagonist und Ich-Erzähler in "Faunenschnitt" heißt Frank, ist Schriftsteller und trägt stets das Werk seiner intellektuellen Galionsfigur in der Tasche: Für jenen Milos Archibald Novalsky, geboren 1940 und selbstverständlich eine fiktive Figur, hat Groß sogar eigens einen Eintrag im ebenfalls fiktiven "Deutschen Literaturalmanach" erfunden.
    "Seine Bücher werden nicht mehr gedruckt. In kleinen Kreisen gilt er dennoch als Rebell der deutschen Nachkriegsliteratur, der darauf beharrte, dass es zum Einheitsbrei der deutschen Literatur ambitionierte Gegenpositionen geben müsse. Wer seinen Geist (und gerade seinen künstlerischen Geist) damit abspeist, Realität abzubilden, hat gar nichts verstanden und ist ein Feigling allerhöchsten Grades. Wer es so weit kommen lässt, verrät die Kunst überhaupt und die Literatur ganz besonders."
    Verschobenen Wahrnehmungsebene
    Ein derartiger Verräter will Joshua Groß keinesfalls sein. Er tut alles, um jeglichen Realismusverdacht umgehend von sich zu weisen. Dennoch darf die Frage erlaubt sein: Worum geht es eigentlich in "Faunenschnitt"? Um alles und um nichts.
    Zunächst also um den Schriftsteller Frank, der von seinem Verleger Bruno nach Gößl am Grundlsee im Salzkammergut gerufen wird. Auf dem Weg dorthin wird ihm von einer Unbekannten ein beiger Hund geschenkt. Der wird von nun an Franks Begleiter. Im Grundlsee sollen sich, so die Legende, ebenso wie im unmittelbar benachbarten Toplitzsee noch wertvolle Fundstücke aus nationalsozialistischer Zeit befinden. Das könnte wichtig sein, denn Frank ist offenbar nicht zum ersten Mal für seinen Verleger als Detektiv unterwegs.
    Zunächst aber einmal ist bei Bruno eingebrochen worden. Entwendet wurde unter anderem ein halbes Kilo eines (ebenfalls erfundenen) Krauts namens Arung, das, in getrocknetem Zustand geraucht, aphrodisisch und halluzinogen wirken soll. Das erklärt die drastisch verschobenen Wahrnehmungsebenen in "Faunenschnitt", die mit literarischen Anspielungen von Ernst Jünger bis David Foster Wallace noch untermauert werden: Dies ist ein Roman, der nicht der Logik der Wirklichkeit, sondern den Gesetzen des Rauschs gehorcht. Und der in seiner Sprache mit Lässigkeit alle Register zieht, um die Grenzen zwischen Hochliteratur, poetischer Reflexion, Trash und Klamauk aufzulösen.
    Zwischen großer Klugheit und kleinen Taschenspielertricks
    Es kommen vor: Drogen, Nazi-Geldfälschungsdruckplatten und Raubkunst, die brutale Enge der Provinz und die unendlichen Weiten des menschlichen Geistes, eine bissige Muräne, eine Terrorgruppe namens "Das Merkel'sche Kreuz" und der Manager Thomas Middelhoff als psychotherapiebedürftiger Patient. All das verbindet sich zu einem gewagten Assoziationsstrom. "Ich baue", so heißt es einmal, "ein begehbares Kaleidoskop."
    "In einem Tunnel schaute ich zweifelnd über die Oberkante meiner Sonnenbrille und wusste, dass ich mich unmöglich meinen 'Lustigen Taschenbüchern' widmen konnte. (Pfeifend) I got so much on my mental. Ich wollte zulassen, was mir ins Bewusstsein kam, ich wollte nicht kategorisieren und gegeneinander ausspielen, sondern akzeptieren, dass Wirrheit nicht notwendigerweise Verwirrung ist."
    Handlung tritt hinter den Sound, hinter das Grundrauschen eines mit Literatur aufgeladenen Bewusstseinsstroms. "Faunenschnitt" schwankt zwischen großer Klugheit, kleinen Taschenspielertricks und albernen Klügeleien. Joshua Groß macht reinen Tisch mit der Langeweile und inszeniert sich selbst und seinen Erzähler als schlaues Bürschlein, der alles und alle in die Tasche steckt. Wenn er uns währenddessen nicht auch noch permanent erzählen würde, dass und wie er uns alle in die Tasche steckt – dann wäre "Faunenschnitt" ein ungetrübter Riesenspaß.
    Joshua Groß: "Faunenschnitt"
    Starfruit Publications, Fürth 2016, 124 Seiten, 24 Euro