Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Jubiläums-Trojaner

Diese Trojaner sind im Stadttheater angesiedelt. Zunächst in einem glatt betonierten Amphitheater, dessen Standort man sich innerhalb der Mauern Trojas zu denken hat. Dort warten graue Gestalten in heutiger Straßenkleidung darauf, dass die Siegesfeiern nach dem zehnjährigen Krieg richtig losgehen. Doch bevor größere Freuden, Ballett und Bacchanal aufkommen können, bemäkelt Kassandra den heillosen Optimismus ihrer Landsleute. Sie wird ja leider Recht behalten. Wie Nadja Michael sich aus dumpfem Gefühl, irgend etwas könnte beim allzu eiligen Abzug der Griechen faul sein, zu gedanklicher und stimmlicher Klarheit aufschwingt, ist bemerkenswert (und einer der besten Momente des Abends): fulminant singt sich diese Kassandra an die richtige Erkenntnis heran, dass Odysseus die Trojaner überlistete mit dem harten militärischen Kern seines Pferdes. Sie bleibt bei aller Eloquenz ohnmächtig, scheitert politisch. Sie stiftet Trojas Frauen zum kollektiven Selbstmord an, um sie und sich vor Schmach und Schande der Gefangenschaft zu bewahren. Marc Albrecht sorgt dafür, dass die Imposanz der Musik zur Geltung gelangt.

Frieder Reininghaus | 30.11.2003
    Das Gewandhaus-Orchester war - lang, lang ist es her! - das erste in Deutschland, das sich Dank seines Dirigenten Felix Mendelssohn Bartholdy für die Berliozsche Musik engagierte. Jetzt tat es diese leistungsfähige Kapelle neuerlich: Marc Albrecht entlockte den Musikern, die er zügig nach Karthago und weiter nach Rom geleitete, die wünschenswerte farbige Palette: satt und akkurat, wenn es sein muss kanonenbrüllend, aber auch kissenweich schmusend beim Schäferstündchen, der heraufziehenden Liebe von Dido und Äneas. (Musik 2 ab) Den ganz großen stimmartistischen Erwartungen wurden der kurzfristig einspringende Tenor Robert Chafin und die Dido vom Hause, Cornelia Helfricht, nur bedingt gerecht.
    Das Problem aller Trojaner-Inszenierungen bleibt der historische Materialismus des Werks. Insbesondere die Begeisterung des Dichterkomponisten für Klassisches Altertum, Heldenhaftigkeit und Heldentod. Goy Joosten suchte das, was heute als Desiderat empfunden wird, mit ironischen Brechungen zu lösen. Johannes Leiacker stellte ihm dafür eine bunt aus den verschiedensten Epochen und Kunstsphären zusammengewürfelte Ausstattung bereit. Karthago erscheint mit Heiligenbildern an den Säulen, Komödianten und Artisten, Bildzitaten aus Bildern von Breughel oder Hieronymus Bosch so bunt wie die Orchestrierung von Berlioz. Die Figur der Hofschranze Iopas - ausgerüstet mit Tinte, Feder und Notenpapier - nähert sich der des Dichterkomponisten vom Schlage Wagners an, ist aber auch Beckmesser und, mit den Federn auf dem Hut, Max Slevogt. Dazu winkt der Bursche mit Pavarottis Tüchlein.

    Mit der Stunde der Liebe taucht die Inszenierung in eine blaue Grotte, die aussieht, als wäre sie für das Theater Ludwigs XV.: Nymphen und Faune, Generalfeldmeisters-Ausgehrüstung und zartes Ballett. Johannes Leiacker scheint dem Louvre einen aufmerksamen Besuch abgestattet zu haben und Guy Joosten parodierte die Antiken-Rezeption der Franzosen. Aber das funktioniert nur mühsam. Und überhaupt ist solche kunstgeschichtliche Archäologie auf der Bühne nur mäßig witzig. Spannend schon gar nicht. Das wäre eine Inszenierung, die sich auf die Bilder der Archäologiegeschichte Trojas, Karthagos und Roms beziehen, weit eher.

    Am Ende, wenn Dido aus Liebeskummer zum Dolch greift, wird noch ein abgeschmacktes Medienspektakel der Gegenwart angehängt: zu den Bildern der Fluten, in denen die auf Reichsgründung ausgezogenen Männer verschwinden, und zu den Bildern der Flammen von Didos Scheiterhaufen kommt noch ein Kamera-Team auf die Bühne und zeigt, wie sich die Königin in ihrem Bett verblutet. Da ist die Produktion dann wieder ganz bei jenem Stadttheater angekommen, von dem sie ihren Ausgang nahm - und von dem sie sich wohl hätte emanzipieren sollen.