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Judas oder Staatsmann?

Zum Auftakt dieser Woche setzten sich der greise Pfarrer Ian Paisley und der ergraute Gerry Adams erstmals zusammen und vereinbarten sogleich, am 8. Mai gemeinsam eine Regierung für Nordirland zu bilden. Der Prediger, der bisher jeden Kompromiss sabotierte und der ehemalige IRA-Kommandeur wollen zusammenarbeiten. Was sagen die Nordiren zu diesem ungewöhnlichen Gespann?

Von Martin Alioth | 28.03.2007
    Talkback, werktags zur Mittagszeit, der Dorfplatz der Nation am nordirischen BBC Radio Ulster. Der Moderator, David Dunseith, spielt Beichtvater. Ethel Smyth, eine ehemalige Gemeinderätin für Pfarrer Ian Paisleys Partei, meldet sich als erste:

    "Well, I have mixed feelings. I don’t know that I myself could have sat with Sinn Féin murderers in government…"

    Sie hege widersprüchliche Gefühle, sagt sie. Sie selbst könnte jedenfalls nicht mit den Mördern aus der Sinn Féin Partei in der Regierung sitzen. Sie erinnert sich an Parteiveranstaltungen, in denen Filme von IRA-Einheiten gezeigt wurden:

    "...and we were told that every Sinn Féin representative was an IRA man…"

    Da bläute man dem Parteivolk ein, jeder Sinn Féin Politiker sei automatisch in der IRA. – Doch nach dieser Reminiszenz aus dunkleren Zeiten sagt die ältere Dame etwas Überraschendes:

    "…I do think that Dr. Paisley and Gerry Adams emerged yesterday looking like statesmen. And I hope they stick to that…"

    Paisley und Gerry Adams, Präsident der Sinn Féin-Partei, hätten am Vortag ausgesehen wie Staatsmänner. Sie hoffe nur, dass sie an dieser Rolle festhielten. Der Pakt zwischen den einstigen Erzfeinden sei womöglich das Beste, was erreichbar gewesen sei:

    "...So, therefore, I believe, the time is right, and we all have to look to the future. But it is very very difficult."

    Es sei zwar das Richtige für die Zukunft, aber sie finde es trotzdem sehr schwierig. – Dieser Wille zum Umdenken und zur vorsichtigen Großzügigkeit geht Pfarrer Stephen Dickinson gänzlich ab, der als nächster anruft. Der Presbyterianerpfarrer und hohe Funktionär des protestantischen Oranier-Ordens findet alles sehr betrüblich:

    "Well, I think yesterday was a very sad day in many ways. All of us want peace in Northern Ireland, what Dr. Paisley had said for years, but as he also always said: but not at any price…"

    Alle wollten Frieden in Nordirland, aber nicht um jeden Preis, das habe Paisley selbst immer gesagt. Und jetzt sei Paisley selbst zu dem geworden, was er seinen Rivalen immer vorgeworfen habe, sobald sie ans Einlenken dachten:

    "...what he described them as: a traitor and a betrayer and a Judas."

    Zum Verräter und zum Judas. Und in der Tat waren das die Beschimpfungen, mit denen Paisley seine Gegner serienweise stürzte. Pfarrer Dickinson beruft sich auf die Bibel, dass ein Mörder sein eigenes Leben verwirkt habe:

    "...a murderer should be in the grave, not in the government..."

    Mörder sollten im Grab sein, nicht in der Regierung. – Die gestrige Sendung war ausnahmsweise einseitig: es meldeten sich ausschließlich Protestanten beziehungsweise Unionisten. Vermutlich empfinden die Wähler Sinn Féins den Schulterschluss als simple politische Notwendigkeit, über die man sich nicht weiter aufregt. Der nächste Anrufer indessen bildete erneut einen Gewissenkonflikt ab und verzichtete auf Selbstgerechtigkeit. Robert war zweimal selbst von der IRA attackiert worden:

    "I forgive the people who attacked me. I am prepared to move into a new future and let us in Northern Ireland show the rest of the world that we can live and work in peace together."

    Robert vergibt seinen Feinden und gab dem Neubeginn eine Chance, denn Nordirland solle der Welt beweisen, dass man hier friedlich zusammenleben könne. – So blieb die Tonlage in Moll, der Optimismus gedämpft, die Erinnerungen an vergangenes Leid präsent. Jene, die den Kompromiss sabotieren wollen, sind politisch gänzlich unbedeutend, aber an Zweiflern herrscht kein Mangel.