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Jugendgefängnis mit Aussicht
Georgia als Vorreiter bei humanerem Strafvollzug

Über 2,2 Millionen Menschen sitzen in den USA hinter Gittern, das sind ein Viertel der Häftlinge weltweit. Amerikaner werden nicht nur häufiger sondern auch härter bestraft. Präsident Obama will das ändern. Und der Bundesstaat Georgia leitet bereits die Wende ein.

Von Susanne Capelouto | 19.09.2015
    US-Präsident Barack Obama schaut sich im Gefängnis von El Reno in Oklahoma die Zelle mit der Nummer 123 an.
    Als erster US-Präsident war Barack Obama im Gefängnis - zu Besuch. (afp / Saul Loeb)
    Mit 17 Jahren landete Christoper Peeples in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Georgia, im tiefen Süden der USA. Heute ist er 26.
    Für Raubüberfälle mit einer Waffe bekam er die gesetzlich festgelegte Mindeststrafe von 10 Jahren Haft, erzählt er. In 18 Monaten darf er wieder nach Hause. Mit einem Freund brach er damals in drei Häuser ein. Die beiden Jugendlichen stahlen Computer, Schmuck, Geld. Bei einem der Einbrüche bedrohte Christopher Peeples Freund die Hausbewohner mit einer Waffe.
    Amerikas Gefängnisse sind voll, übervoll von Menschen wie Christopher Peeples, die hohe Mindeststrafen absitzen - viele von ihnen wegen Drogendelikten. Mehr als zwei Millionen Häftlinge sitzen derzeit in US-Justizvollzugsanstalten ein; fast ein Viertel aller Gefängnisinsassen weltweit.
    Der Grund sei ein reformbedürftiger Strafvollzug, findet auch Präsident Barack Obama:
    "How can we address the issue of these ridiculous mandatory minimum sentences?"
    In einem Interview mit dem US-Rundfunk NPR bezeichnete Obama die Praxis der hohen, gesetzlich festgelegten Mindeststrafen als lächerlich. Lächerlich – und vor allem überholt, weil eine derart lange Haftdauer, vor allem bei Jugendlichen, primär der Bestrafung und nicht der Rehabilitation diene.
    Tatsächlich spielen Aspekte wie Erziehung und Resozialisierung im US-Strafrecht bis heute eine eher geringe Rolle.
    "Unsere Einstellung war lange: Wir sperren die Häftlinge ein, werfen den Schlüssel weg und kümmern uns nicht darum, was da drinnen passiert."
    Bruce Lee ist seit mehr als 30 Jahren im Strafvollzug tätig. Heute ist er Direktor des Walker State Prison, in dem auch Christopher Peeples einsitzt. Lee ist ein Zeuge der gescheiterten Strafvollzugspolitik in den USA.
    Obama fordert milderes Strafmaß bei Drogendelikten
    Viele Häftlinge seien Wiederholungstäter, sagt er. Laut Statistik werden 67 Prozent aller Gefängnisinsassen innerhalb von drei Jahren nach ihrer Entlassung wieder straffällig. In Deutschland liegt die Rückfallquote bei 35 Prozent. Lee ist davon überzeugt: Gäbe es mehr begleitende Ausbildungs- und Resozialisierungsprogramme, würde weniger Häftlinge rückfällig.
    Das soll sich jetzt ändern. Präsident Obama's Justizministerium hat bereits Staatsanwälten geraten, nicht immer auf Höchststrafen zu bestehen, besonders bei Drogenvergehen. Und 29 Staaten in den USA einschließlich Georgia arbeiten an der Reformierung Ihres Straffvollzugs.
    Dabei ist Bruce Lees Gefängnis ein Vorzeigeprojekt. Seit fast zwei Jahren arbeitet er an der Umstellung seiner Haftanstalt.
    Das Walker State Prison liegt idyllisch in einem Tal der Appalachen im Norden von Georgia. Durch den doppelten Stacheldraht haben die rund 400 Häftlinge einen weiten Blick auf die Berge – ein Knast mit Aussicht, und einer langen Liste von Bewerbern, die hier ihre Strafe absitzen wollen. Kein Wunder, sagt Lee.
    "Das ist eine 180-Grad-Kehrtwende von der alten Politik. Hier geht es um die Rückkehr in die Gesellschaft, und zwar vom ersten Tag an. Es gibt Drogenberatungsprogramme, die sich bereits bewährt haben, aber auch Motivationsseminare, die den Insassen helfen sollen, ihr Leben zu ändern."
    Und zwar nicht nur moralisch, sondern auch ganz praktisch: Die Insassen im Walker State Prison können während ihrer Haft eine staatlich anerkannte Berufsausbildung machen. Das ist bislang kein Standard in amerikanischen Gefängnissen. Doch die Angebote sind beschränkt, ausgerichtet auf den konkreten und kurzfristigen Bedarf der Industrie.
    Und deshalb wird Christopher Peeples jetzt auch Schweißer. Ein Beruf, der in den USA derzeit Mangelware ist. 300.000 Schweißer werden gebraucht, sagt eine Branchenstudie.
    "Eigentlich würde ich viel lieber Computerprogrammierer werden, irgendwas mit IT, aber als Schweißer habe ich bessere Chancen, einen Job zu bekommen."
    Strafvollzugsreform finanziell motiviert
    Außerdem verringere eine feste Arbeit die Gefahr, rückfällig zu werden, sagen Experten. Allerdings sei die Wende im Strafvollzug nicht allein einem plötzlich erwachten Sozialbewusstsein zu verdanken, sondern in erster Linie dem wirtschaftlichen Druck, sagt Michael Leo Owens, Professor für Politikwissenschaft an der Emory-Universität in Atlanta.
    "Die Entwicklung ist ganz klar finanziell motiviert. Staaten geben eine Unmenge von Geld aus, um Menschen einzusperren. Wir können so nicht weitermachen."
    Die Wende im amerikanischen Strafvollzug trägt erste zarte Früchte: So ist die Zahl der Häftlinge in Georgia zum Beispiel um 3000 gesunken. Andere US Staaten haben auch kleine Erfolge sagt Owens.
    "Das funktioniert natürlich nicht, indem man einfach die Gefängnistore öffnet und die Häftlinge entlässt. Vielmehr ahnden die Vollzugsbehörden minder schwere Verbrechen jetzt nicht mehr sofort mit Haftstrafen, sodass weniger Menschen im Gefängnis landen."
    Owens verweist insbesondere auf die Initiative einiger Bundesstaaten, die Gefängnisstrafen für kleinere Drogendelikte abgeschafft und durch strenge Bewährungsauflagen ersetzt haben. Präsident Obama will die Reform des Strafvollzugs nun auf nationaler Ebene noch weiter vorantreiben.
    "Wir haben jetzt die Chance, eine breitere Diskussion über das Thema zu führen. Denn es gibt auch einige Republikaner im Kongress, die das Problem der hohen Mindeststrafen und den Bedarf an Programmen zur Rehabilitation angehen wollen."
    Und für den Rest seiner Präsidentschaft, sagt er, werde er alles dafür tun, um die Zahl der Insassen in Amerikas Gefängnissen weiter zu reduzieren.