Kondome
Julius Fromm und die erste sexuelle Revolution

Julius Fromm wurde während des Ersten Weltkriegs reich. Aber nicht, weil er Waffen oder Munition verkaufte. Er brachte 1916 das erste Markenkondom auf den Markt. Doch dann geriet der erfolgreiche Geschäftsmann ins Blickfeld der Nazis.

    Im Schaufenster eines Friseursalons wirbt ein Schild für die Kondome "Fromms Act".
    Julius Fromm verkaufte seine Kondome "Fromms Act" zunächst über Friseursalons, Drogerien und Geschäfte für Gummiwaren. (picture-alliance / ZB / Jan-Peter Kasper)
    Julius Fromms Erfolgsgeschichte begann in Berlins berüchtigtem Scheunenviertel am Alexanderplatz, wo in billigen und baufälligen Häusern die Unterschicht lebte, vor allem viele arme Zuwanderer aus Osteuropa, davon viele sogenannte Ostjuden. 1893 war die arme Familie From (so der ursprüngliche Familienname) aus dem kleinen polnischen Städtchen Konin nach Berlin gekommen. Die Polen und „Ostjuden“ verrichteten oft einfache, schlecht bezahlte Arbeit und hofften auf Aufstieg und Wohlstand, der sich freilich selten einstellte. Sie wurden misstrauisch beäugt und als minderwertig stigmatisiert. Im deutschen Kaiserreich und der darauffolgenden Weimarer Republik wuchs außerdem der Antisemitismus. 

    Armut und Ehrgeiz 

    Die Familie From lebte in bescheidenen Verhältnissen und assimilierte sich früh. Aus „From“ wurde „Fromm“, die Vornamen der Familienmitglieder wurden eingedeutscht. Der Junge Israel From hieß nun Julius Fromm. Die Familie versuchte, mit dem Drehen und Verkaufen von Zigaretten über die Runden zu kommen. Julius Fromms Vater starb früh. Ab 1898 musste der gerade einmal 15-Jährige für seine Mutter und seine jüngeren Geschwister sorgen. 
    Zigarettendrehen hatte jedoch keine Zukunft, immer häufiger wurden Maschinen dafür eingesetzt. Doch Julius Fromm war ehrgeizig und bildete sich in Abendkursen in Chemie weiter, vor allem in Gummichemie, denn er hatte eine Idee.  

    Widersprüchliche Sexualmoral 

    Der Umgang mit Sexualität war zu der Zeit sehr widersprüchlich. So war Homosexualität strikt verboten, und Sexualität, die nicht ausschließlich der Fortpflanzung diente, galt als unzüchtig und wurde teilweise sogar pathologisiert, während gleichzeitig die Prostitution aufblühte. Zudem grassierte eine große Furcht vor der Syphilis. 1911 gab es die erste Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden und im Zuge dessen eine Wanderausstellung, die im Volksmund „Galewskys Schreckenskammer“ hieß (nach dem Kurator der Ausstellung, dem Dresdner Dermatologen Eugen Galewsky). Wachsnachbildungen von Körperteilen, die von Syphilis befallen und entstellt waren, zogen Neugierige in Scharen an, natürlich auch die nur für Erwachsene ausgestellten Nachbildungen befallener Geschlechtsorgane. Schützende Maßnahmen wie Kondome wurden jedoch von den Kirchen und konservativen Kräften als „Geburtenverhinderung“ abgelehnt. Doch das alles ficht Julius Fromm nicht an. 

    Geburtenplanung als Geschäftsidee 

    Erste Gummi-Kondome gab es schon, freilich noch mit Naht, die häufig kratzte und manchmal riss, und sie waren für ärmere Schichten oft unerschwinglich. Ihre Herkunft war meist unklar, es gab weder Qualitätskontrolle noch Garantie. Die Präservative wurden heimlich unter dem Ladentisch verkauft und neben Gummi kamen auch immer noch Fischblasen und Schafsdärme zum Einsatz, deren Qualität man auch nicht unbedingt vertrauen konnte.  
    Julius Fromm entwickelte nahtlose, reißfeste und trotzdem dünnwandige Kondome und nannte sein Produkt „Fromms Act“, woraus im Volksmund später die „Frommser“ wurden.  

    Betonte Seriosität und wachsende Nachfrage 

    Es folgte ein rapider Aufstieg: Fromm gründete 1914 ein „Fabrikations- und Verkaufsgeschäft für Parfümerien und Gummiwaren“, bezeichnete sich selbst als Kaufmann und hatte bald ein Bankkonto und sogar ein Telefon. Er verkaufte seine Kondome über Drogerien, Apotheken, Friseursalons und Geschäfte für Gummiwaren, später auch mit Automaten. Fromm gab den Händlern sogar Verkaufstipps, um nicht ins Visier der Obrigkeit zu geraten. 
    Die Kundschaft verlangte „die guten Gummischwämme“, eine Art Geheim-Code für die Kondome. Im Friseursalon wurde gefragt, ob es noch etwas für den Herrn sein dürfe. Angesichts der Rechtslage bewarb Fromm seine Kondome nur mit Hinweis auf den „Schutz vor Geschlechtskrankheiten“. Denn seine „Frommser“ als Mittel zur Empfängnisverhütung zu verkaufen, hätte als „öffentliche Aufforderung zur Unzucht“ angesehen werden und mit Haftstrafe geahndet werden können.  

    Expansion und Markenstrategie 

    Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, sah sich die deutsche Militärführung schon bald mit einer Zunahme von Geschlechtskrankheiten bei den Soldaten konfrontiert. Kirchliche oder gesellschaftliche Moralvorstellungen halfen da nicht weiter - Gonorrhoe oder Syphilis konnte man nicht mit Aufrufen zur Enthaltsamkeit bekämpfen. In frontnahen Militärbordellen wurden deswegen bestimmte Hygieneregeln und der Einsatz von Kondomen vorgeschrieben. Angesichts der Millionen von Soldaten gab es einen Riesenbedarf - und Fromm konnte liefern. Aus der Fromm’schen Manufaktur wurde ab 1916 ein modernes Industrieunternehmen. Die Geschäfte liefen gut – und „Frommser“ wurden zum Synonym für Kondome.  

    Neue sexuelle Freiheiten 

    Nach Kriegsende expandierte die Firma. Millionen Soldaten kannten die „Frommser“, sie hatten sich während des Kriegs an den Gebrauch von Kondomen gewöhnt – und nutzten sie auch nach ihrer Heimkehr weiter. Fromms Kondome wurden gesellschaftlich etabliert und zur Massenware. 1924 verkaufte Fromms Act 24 Millionen Präservative, 1931 produzierte mehr als 50 Millionen Stück. 
    In der neuen Weimarer Republik lebten viele Menschen ihre neu gewonnenen Freiheiten aus, in Berlin genossen sie die wilden Zwanzigerjahre. Immer verfügbare, günstige und sichere Kondome beflügelten diese erste, sexuelle Revolution. 
    Magnus Hirschfeld, der Gründer des ersten Instituts für Sexualforschung, bewertete Fromms Kondome als sicher und zuverlässig, und schon bald hatte die Firma einen Marktanteil in Deutschland von 90 Prozent. „Die Konkurrenz platzt!“, soll Julius Fromm seinem Reklamechef als Slogan diktiert haben, angesichts dieses Erfolgswerts. Und Fromm blieb innovativ: Ende der Zwanzigerjahre ließ er – trotz Weltwirtschaftskrise – eine hochmoderne Fabrik aus Glas und Metall bauen, ganz im Bauhaus-Stil, mit hohem Standard an Arbeitshygiene und Kantine.  

    Arisierung der Firma und Flucht 

    Den aufkommenden Nationalsozialismus schien Fromm zunächst nicht ernst zu nehmen. Er vertraute auf seinen guten Ruf als Unternehmer, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und gut vernetzt war. Doch Familienplanung war Parteisache, die Nazis propagierten Großfamilien, und zudem war Naturkautschuk, der Rohstoff für die Kondome, ein wertvolles Rüstungsgut. Nach der Olympiade 1936 wurde Fromm die zunehmende Bedrohung bewusst, und so beauftragte er 1937/1938 seine Hausbank mit dem Verkauf der Firma, doch zu spät: Die Nazis hatten bereits ein Auge auf das Unternehmen geworfen. Fromm musste seine Firma, die geschätzte fünf Millionen Reichsmark wert war, für 120.000 Reichsmark an Elisabeth von Epenstein, die Patentante Hermann Görings, verkaufen.  

    Zweite Enteignung nach dem Krieg 

    Fromm ging mit dem Großteil seiner Familie nach London. Er hoffte, nach einem Ende der Nazi-Herrschaft wieder nach Deutschland zurückkehren zu können, um seine Firma zurückzufordern. Doch daraus wurde nichts: Am 12. Mai 1945, nur wenige Tage nach Kriegsende in Europa, verstarb Fromm in einem Londoner Hotel an einem Herzinfarkt. Seine Söhne sollten die Rückgewinnung der Firma angehen, doch die letzten Werke oder das, was nach Kriegsende davon übrig war, lagen im sowjetisch kontrollierten Ostteil Berlins. Dank der Größe der Firma und der ursprünglichen Angestelltenzahl wurden die Fromms kurzerhand zu Großkapitalisten deklariert, das Unternehmen wurde in „Volkseigentum“ überführt – das Ende einer Erfolgsgeschichte. 
    Im Jahr 1947 kaufte Julius' Fromms Sohn Herbert die Rechte an dem Markennamen zurück. Seitdem werden Fromms-Kondome im niedersächsischen Zeven hergestellt. 

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.


    mk