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Unter Räubern

Vor zwei Jahren löste Götz Aly mit seiner Studie "Hitlers Volksstaat" eine sich über Monate hinziehende Debatte aus. Das nationalsozialistische Deutschland sei eine "Gefälligkeitsdiktatur" gewesen, eine Diktatur, die sich die Zustimmung der Volksgenossen erkaufte und die dafür erforderlichen Ressourcen mit den Mitteln der Ausplünderung des Raub- und Rassekrieges eintrieb. Von solcher Ausplünderung handelt auch die Fallstudie, die Götz Aly jetzt gemeinsam mit Michael Sontheimer im Frankfurter Fischer Verlag herausgebracht hat. "Fromms - Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel" ist sie überschrieben und Volker Ullrich hat sie für uns gelesen.

Moderation: Hermann Theißen |
    Er brachte zur richtigen Zeit am richtigen Ort das richtige Produkt auf den Markt: 1914 gelang es dem Fabrikanten Julius Fromm in Berlin, mittels eines speziellen Verfahrens nahtlose und dünnwandige Kondome herzustellen. Die Nachfrage nach dem Markenprodukt war enorm, denn in den Soldatenbordellen des Ersten Weltkrieges herrschte Kondomzwang. Und in den Jahren der Weimarer Republik, als ein freieres Verhältnis zur Sexualität Platz griff, erfreute sich das Verhütungsmittel immer größerer Beliebtheit. Kabarettisten reimten:

    "Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an."

    Der Begriff "Fromms" blieb auch in den Jahrzehnten nach 1945 noch gängige Bezeichnung für ein Präservativ, der Mann aber, der dem Produkt den Namen gegeben hatte, war inzwischen vollkommen vergessen. Der Historiker und Journalist Götz Aly und der "Spiegel"-Redakteur Michael Sontheimer haben es nun gemeinsam unternommen, den jüdischen Unternehmer, den die Nazis enteignet und in die Emigration nach London getrieben hatten, der Vergessenheit zu entreißen.

    Dabei standen sie freilich vor erheblichen Problemen, denn weder das Firmenarchiv noch ein privater Nachlass hatten die Nazizeit überdauert. Doch einmal mehr erweist sich, welch glänzender Rechercheur Götz Aly ist. Wo andere Forscher längst zu suchen aufhören, entdeckt er immer noch etwas. Aus vielen Fundstücken entsteht das faszinierende Porträt eines Mannes, der sich aus kleinsten Verhältnissen zum Chef eines florierenden Industrieunternehmens emporarbeitete.

    In gewisser Weise war dieser Aufstieg typisch für eine Generation ostjüdischer Immigranten. Der im Schtetl von Konin, einer Kleinstadt im damaligen Russisch-Polen, geborene Julius Fromm war 1893 mit seinen Eltern und Geschwistern nach Berlin ausgewandert. Hier ließ sich die vielköpfige Familie im so genannten Scheunenviertel, dem bevorzugten Quartier für die armen Juden aus Osteuropa, nieder und hielt sich mit dem Verkauf von Zigaretten über Wasser. Das notwendige technische und kaufmännische Wissen für die Eröffnung eines Fabrikationsgeschäftes für Gummiwaren eignete sich Julius Fromm in Abendkursen an. Ein ausgeprägter Bildungswillen paarte sich bei dem Autodidakten und Selfmademan mit einem nüchternen Geschäftssinn.

    Bereits 1919, ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, konnte er eine Villa im feinen Teil des südwestlichen Berliner Vororts Zehlendorf, nahe dem Schlachtensee, erwerben. Ein Jahr später wurde seinem Antrag auf Einbürgerung stattgegeben. In den Jahren 1929 und 1930 ließ Julius Fromm in Berlin-Köpenick ein neues, hochmodernes Fabrikgebäude errichten, dessen Architektur ganz dem Stil der "Neuen Sachlichkeit" entsprach. Der Unternehmer befand sich auf dem Gipfel seines Erfolges.

    Nach der Machtübertragung auf Hitler 1933 suchte sich Julius Fromm zunächst mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren. In der Kantine hingen bald Hakenkreuzfahne und Führerbild, und der Firmenchef ließ die Behörden, die seine Einbürgerung rückgängig machen wollten, im Januar 1934 wissen:

    "In Berlin habe ich mein Industrieunternehmen gegründet, das ich ( ... ) von den kleinsten Anfängen bis zur heutigen Bedeutung gefördert habe. So konnte ich durch meine deutsche Artung und meinen deutschen Fleiß sauber und ehrlich einer der größten Steuerzahler meines Wohnbezirks Zehlendorf-Schlachtensee werden."

    Doch es half alles nichts. Eine Schikane folgte der anderen, und 1936 entfachte das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" eine Kampagne gegen die "Judenfirma". Ende 1937, entschloss Fromm sich schließlich, sein Unternehmen zu verkaufen und Deutschland zu verlassen.

    Was die beiden Autoren nun präsentieren, ist eine geradezu atemberaubende Kriminalgeschichte, in der Korruption und Habgier eine besondere Rolle spielen. Zunächst wurde die erfolgreiche Firma für einen Spottpreis an eine Patentante Hermann Görings verscherbelt, der dafür als Gegenleistung zwei mittelalterliche Burgen geschenkt bekam. Akribisch rekonstruieren Götz Aly und Michael Sontheimer, was dann im Kriege mit den zurückgelassenen Vermögenswerten Julius Fromms geschah und wer davon profitierte. Seine Bankguthaben eignete sich das Reichsfinanzministerium an. Seine Villa wurde ebenfalls auf das Reich übertragen und an einen Ritterkreuzträger vermietet. Der Hausrat wurde im Mai 1943 öffentlich versteigert - eine von rund 500 Auktionen, auf denen sich 80.000 Berlinerinnen und Berliner auf Kosten der vertriebenen, deportierten und oft schon ermordeten Juden einen kleinen Kaufrausch verschafften.

    "Julius Fromm war unter die Räuber gefallen. Doch fiel er nicht einem Haufen von Banditen anheim, sondern einem Staat und seinen Bürgern."

    So bilanzieren die Autoren, und sie schätzen den Betrag, den der Reichsfiskus allein aus den Arisierungsgewinnen im Falle Fromm einstrich, auf 3 Millionen Reichsmark, was heute einer Kaufkraft von 30 Millionen Euro entspricht. Mit Berechnungen wie dieser belegt Götz Aly einmal mehr, welchen Nutzen die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft" aus der Ausplünderung der jüdischen Deutschen zog.

    Doch das traurige Kapitel war mit dem Ende der Nazi-Herrschaft noch nicht abgeschlossen. Nach 1945 hintertrieben die Kommunisten in der sowjetisch besetzten Zone die Versuche der Erben von Julius Fromm, die Eigentumsrechte an den Werken zurückzubekommen. Zu diesem Zwecke erklärten sie den Firmengründer, der sich immer um das Wohl seiner Belegschaft gekümmert hatte, für einen besonders unangenehmen Vertreter des verhassten kapitalistischen Systems:

    "Obwohl Jude, gehörte J(ulius) Fromm... zu jenem kapitalistischen Ausbeutertyp, der sich in der skrupellosesten Weise aller sich bietenden Mittel und Methoden bediente, um seine Profitchancen rücksichtslos zu sichern."

    Julius Fromm musste diese letzte Perfidie nicht mehr miterleben. Am 12. Mai 1945, nur drei Tage nach der Siegesfeier auf dem Londoner Trafalgar Square, versagte sein Herz. Er habe, so heißt es, sich so sehr auf seine Rückkehr nach Deutschland gefreut.

    Eine Rezension von Volker Ullrich. Die Fallstudie von Götz Aly und Michael Sontheimer ist im Frankfurter Fischer Verlag erschienen. Ihr Titel: "Fromms, Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel"; 218 Seiten, 19,90 Euro.