Musik für einen kühlen Morgen in dem herrlichen zukünftigen "Einzigen Staat", den Jewgenij Samjatin 1920 in seinem utopisch-kritischen Roman "Wir" beschrieb. 1920, also vor H. G. Wells "Schöne Neue Welt", vor George Orwells "1984" oder gar Margret Atwoods "Report der Magd". Samjatins Menschen sind schon zu Kombinationen wie "R13" oder "O90" reduziert, ausgenommen ein Arzt und ein "Phonolektor" als Vorbeter bei Manipulationsveranstaltungen, wo alle sich geistig und emotional vereinheitlichen lassen. Doch trotz des gemeinsam skandierten Satzes "Die Kraft der Logik reinigt alles" verlieben sich außerhalb der gezielt angeordneten "Geschlechtstage" ein "D503" und eine "I330" ineinander. Sie lieben sich in einem geheimen "Alten Haus". "D503" kann mit der unbekannten Leidenschaft nicht umgehen, auch nicht mit der Wildheit eines von der besiegten Welt übrig gebliebenen Tieres, schon gar nicht mit den plötzlich auftretenden "MEPHI", einer Gegengesellschaft zum "Einzigen Staat". "D503" lässt sich daraufhin die abnormerweise bei ihm wachsende Seele herausoperieren und akzeptiert die Hinrichtung eines Dichters wie der geliebten "I330". Einerseits findet "D503" in das Kollektiv zurück, andererseits tritt er am Schluss in speziellem Licht allein nach vorne mit dem Satz "Die Vernunft muss siegen!"
Das alles ist als literarisch-philologische Entdeckung frappierend. Da hat Samjatin, ein durchaus vom Fortschrittsfanatismus der russischen Revolution ergriffener Intellektueller, nahezu alle Schrecken totalitärer Herrschaft beschrieben – und die literarischen Nachfolger haben vieles nur ausgestaltet. Doch auf dem Theater gelten andere, zusätzliche Gesetze: dramaturgisch und vor allem visuell sind Langs "Metropolis", die Verfilmungen von "1984", Truffauts "Fahrenheit 491" und Terry Gilliams "Brazil" und die autoritären Welten von "Darth Vader" Allgemeingut geworden. Leider tun Librettist Wegener, Regisseurin Malkowsky und Bühnenbildner Growe in der Inszenierung so, als sei das Rad neu zu erfinden, also auf der kaum veränderbaren Spielfläche der Münchner Muffathalle die Lebenswelt und Gegenwelt dieses totalitären Staates zu schaffen. Genau dazu fehlen der Biennale natürlich die Mittel. Statt auf radikale Abstraktion zu setzen, gab es nun auf der durch das seitlich sitzende Orchester zusätzlich begrenzten Szene banal uniforme Chorbewegungen unter einem keineswegs bedrohlichen Turm aus grauen, wohl digitalen Speicherquadern, an die sich die kodierten Lebewesen mittels schwarzer Kabel anschlossen. Die Personenführung blieb schlicht, keine Bedrohung nirgendwo.
Und bei allem Erstaunen über die Entdeckung Samjatins: Sind heute nicht statt des totalen Staates eher Medienmogule und Wirtschaftsgiganten die wirkliche Gefahr? - Trost aus der Musik? Nur bedingt.
Christoph Staude komponiert für Stimmen nicht nur dissonant oder diskant schrill. Er kann orchestral dramatische Ballungen schaffen und lässt vertikal geschichtete Akkorde klingen. Den Chor führt er kurz im 4/4-Takt eines Marsches. Mit einer Klaviereinlage und oft auch Streicher-Bläser-Kombinationen erinnert er ein wenig an Alexander Skrijabin. Doch leider deckte Dirigent Christian Hommel mit den nur 21 Instrumentalisten des Münchner Rundfunkorchesters Sänger und Chor fast durchweg klanglich dick zu. So nahm man statt der Frage nach der Musik eher das Interesse am Lesen von Samjatins Roman mit nach Hause.
Das alles ist als literarisch-philologische Entdeckung frappierend. Da hat Samjatin, ein durchaus vom Fortschrittsfanatismus der russischen Revolution ergriffener Intellektueller, nahezu alle Schrecken totalitärer Herrschaft beschrieben – und die literarischen Nachfolger haben vieles nur ausgestaltet. Doch auf dem Theater gelten andere, zusätzliche Gesetze: dramaturgisch und vor allem visuell sind Langs "Metropolis", die Verfilmungen von "1984", Truffauts "Fahrenheit 491" und Terry Gilliams "Brazil" und die autoritären Welten von "Darth Vader" Allgemeingut geworden. Leider tun Librettist Wegener, Regisseurin Malkowsky und Bühnenbildner Growe in der Inszenierung so, als sei das Rad neu zu erfinden, also auf der kaum veränderbaren Spielfläche der Münchner Muffathalle die Lebenswelt und Gegenwelt dieses totalitären Staates zu schaffen. Genau dazu fehlen der Biennale natürlich die Mittel. Statt auf radikale Abstraktion zu setzen, gab es nun auf der durch das seitlich sitzende Orchester zusätzlich begrenzten Szene banal uniforme Chorbewegungen unter einem keineswegs bedrohlichen Turm aus grauen, wohl digitalen Speicherquadern, an die sich die kodierten Lebewesen mittels schwarzer Kabel anschlossen. Die Personenführung blieb schlicht, keine Bedrohung nirgendwo.
Und bei allem Erstaunen über die Entdeckung Samjatins: Sind heute nicht statt des totalen Staates eher Medienmogule und Wirtschaftsgiganten die wirkliche Gefahr? - Trost aus der Musik? Nur bedingt.
Christoph Staude komponiert für Stimmen nicht nur dissonant oder diskant schrill. Er kann orchestral dramatische Ballungen schaffen und lässt vertikal geschichtete Akkorde klingen. Den Chor führt er kurz im 4/4-Takt eines Marsches. Mit einer Klaviereinlage und oft auch Streicher-Bläser-Kombinationen erinnert er ein wenig an Alexander Skrijabin. Doch leider deckte Dirigent Christian Hommel mit den nur 21 Instrumentalisten des Münchner Rundfunkorchesters Sänger und Chor fast durchweg klanglich dick zu. So nahm man statt der Frage nach der Musik eher das Interesse am Lesen von Samjatins Roman mit nach Hause.