Archiv

Jurymitglied zum Ende des Echo
"Die Entscheidung ist richtig, sie war auch absolut alternativlos"

Der Musikpreis Echo wird abgeschafft. "Eine absolut alternativlose Entscheidung", sagte der Musikkritiker und Juror Jens Balzer im Dlf. Der Kardinalfehler sei gewesen, die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang bei der letzten Verleihung vor einer Art "Reichsparteitagskulisse" auftreten zu lassen.

Jens Balzer im Gespräch mit Achim Hahn |
    Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018
    Wäre die Aufregung um die Echo-Verleihung ohne den Auftritt der Rapper Kollegah und Farid Bang weniger stark hochgekocht? Musikkritiker Jens Balzer meint: Ja. (Jörg Carstensen/dpa)
    Nach der umstrittenen Preisverleihung an die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang – und dem Trend, den Preis zurückzugeben – hat die deutsche Musikindustrie nun das Ende des Echo beschlossen, so wurde es heute ganz aktuell vermeldet. Denn auch, wenn das ein großartiger Preis und zugleich zentrales Branchenevent gewesen sei, wie der Vorstand des Verbandes der Musikindustrie betonte, dürfte ein solcher Preis keinesfalls als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen werden. Dazu begrüße ich jetzt den Musikkritiker Jens Balzer, der selbst Mitglied der Jury des Echos war.
    Achim Hahn: Hallo, Herr Balzer.
    Jens Balzer: Hallo, guten Tag.
    Hahn: Was halten Sie davon? Ist diese Entscheidung richtig?
    Balzer: Ja, die Entscheidung ist richtig und sie war auch absolut alternativlos. Also, egal wie man die Vorfälle der letzten Wochen bewertet, und auch wie der Bundesverband der Musikindustrie da ja eigentlich eher so reingestolpert ist in diese Vorfälle, muss man doch sagen. Ein Preis, der jetzt dermaßen stigmatisiert ist, der wird von keinem mehr angenommen werden. Also, ich glaube nicht, dass irgendjemand nächstes Jahr zu dieser Verleihung gegangen wäre und dann sich noch mal mit Stolz diese Trophäe auf den Kamin gestellt hätte. Also da gab es eigentlich gar keine andere Chance.
    "Die Künstler waren nie so kontrovers wie in diesem Jahr"
    Hahn: Kam das nicht eigentlich ein bisschen zu spät?
    Balzer: Sie meinen, ob man den Preis nicht schon hätte vor Jahren einstellen sollen? Ja, da gibt es unterschiedliche Meinungen darüber. Es ist vieles falsch gelaufen in dieser Geschichte. Ich glaube, hätte der Bundesverband nicht nur nach Maßgaben des Ethikbeirats die beiden eingeladen in die Sendung und ihnen dann vielleicht einen Preis überreicht – das hätte man ja machen können – aber hätte der Bundesverband nicht zugelassen, dass sie dann auch noch diesen wahnsinnig geschmacklosen Auftritt während der Show absolvieren, wäre die ganze Geschichte, glaube ich, nicht so hochgekocht. Die sind ja am Ende wirklich in so einer Art "Reichsparteitagskulisse" aufgetreten.
    Also, das war, glaube ich, der Kardinalfehler, den man da machen konnte. Und im Grunde war dann klar, dass das Kind in den Brunnen gefallen war. Ich glaube, man hat da einfach das Erregungspotenzial unterschätzt, das diese ganze Sache hat. Und die Debatte läuft ja auch schon erstaunlich lange für so eine kulturelle Debatte – normalerweise sind die nach drei, vier Tagen wieder vorbei in unseren gegenwärtigen Erregungszyklen. Aber jetzt hat sich das so weit hochgeschaukelt, dass es tatsächlich keine Alternative mehr gab.
    Hahn: Lag das denn jetzt nur an der aktuellen Diskussion über die beiden Rapper? Oder lag es vielleicht auch daran, dass es andere Gründe gab, etwa die deutlich kommerziellere Orientierung?
    Balzer: Na, kommerziell orientiert war der Preis ja immer. Das ist ja auch schon immer kritisiert worden, inklusive von mir. Und es sind dann viele Kritiker irgendwie auch teilweise in diese Jurys gegangen – man hat ja sehr geringe Einflussmöglichkeiten, aber man kann zumindest ja so ein bisschen justieren in den Jurys, in denen man sich gerade befindet, unter anderem in der Kritikerjury, in der ich war. Und das ist natürlich ein Grundproblem, das sich aber nie so stark manifestiert hat wie in diesem Jahr, weil einfach die Künstler nie so kontrovers waren wie in diesem Jahr.
    Deutschlands merkwürdige Beziehung zum Echo
    Und wenn es kontroverse Künstler gab, wie auch schon Bushido vor einigen Jahren, der auch durch antisemitische Tendenzen auffällig geworden ist, oder diese Deutschrocker Freiwild mit ihren völkischen Texten, dann war die Erregung nicht so groß. Also, ich glaube, man ist da jetzt an so einem Siedepunkt des Diskurses. Insofern: Der Zeitpunkt ist richtig – im Nachhinein ist man immer klüger, aber man kann jetzt im Nachhinein nicht sagen, man hätte es viel früher einstellen sollen. Ich glaube, man muss das vor allem jetzt auch als gesellschaftlichen Seismographen nehmen, dass das offenbar so nicht mehr weitergeht.
    Hahn: Warum schaffen wir es in Deutschland eigentlich nicht, einen Preis auf die Beine zu stellen, der von allen geschätzt wird und sinnvoll ist, wie beispielsweise den Mercury-Prize?
    Balzer: Tja, gute Frage. Es gibt ja durchaus Kritikerpreise, es gibt den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, wo viele Journalisten und Kritikerinnen ganz seriöse Arbeit leisten, einmal im Quartal ihre Bestenlisten präsentieren. Das interessiert aber in den Medien niemanden. Der hat weder beim Fernsehen noch beim Radio besondere Außenwirkung erzielen können bisher. Und es gibt den Preis für Popkultur in Berlin, das ist ja auch so als Alternative zum Echo gegangen seit vor einigen Jahren.
    Aber es gibt in Deutschland immer so ein komisches Verhältnis: Einerseits wurde der Echo immer kritisiert, auf der anderen Seite sind diese ganzen Alternativen aber auch wirklich nie von den Medien, auch von den öffentlich-rechtlichen Medien, nie aufgegriffen worden, sondern auch gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das ja bis vor zwei Jahren am Echo beteiligt war, war eigentlich immer ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie da die Preise verliehen wurden und die Show aussah. Hätte das öffentlich-rechtliche Fernsehen vor Jahren schon gesagt, wir wollen aber einen Preis, wo es um Kritik geht, oder um künstlerische Qualität und nicht um die Quote, dann wären wir heute ein ganzes Stück weiter. Aber daran waren tatsächlich viele beteiligt – und nicht nur die Echo-Verantwortlichen.
    Hahn: Vielen Dank, Jens Balzer, für Ihre aktuelle Einschätzung.