Bernd Lechler: "Deutschen Rap höre ich zum Einschlafen, denn er hat mehr Window-Shopper als ein Eiswagen. Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet. Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen", so rappt Farid Bang, stolz auf seine extra-fettfreie Figur, im Song "0815" – auf einem Duo-Album mit dem Rap-Kollegen Kollegah. Die Zeile sorgt gerade für verspäteten Aufruhr, weil die beiden beim Musikpreis Echo nächste Woche für das "Album des Jahres" nominiert sind.
Der Musikindustrieverband hat die Sache nochmal geprüft, gestern wurde entschieden: Die Nominierung bleibt, auch wenn der Beirat die Textstellen deutlich missbilligte. Beim Echo wird eben Erfolg bewertet, und solang etwas nicht auf dem Index steht, deckt die künstlerische Freiheit allerhand ab. Trotzdem fragen wir Jens Balzer, Musikkritiker und auch Echo-Juror - der nicht für Farid Bang und Kollegah gestimmt hat: Jetzt haben die beiden ihren werbewirksamen Eklat. Rappen sie deswegen solche Geschmacklosigkeiten? Oder sind sie Antisemiten?
Öffentlichen Debatten um die Textzeilen sind rar
Jens Balzer: Also um den Eklat geht es ihnen, glaube ich, nicht. Weil wenn es so wäre, hätten sie damit ja wenig Erfolg gehabt: Das Album ist - ich glaube am ersten Dezember letzten Jahres erschienen - hat sich, wenn ich richtig orientiert bin, 200.000 mal wurde es verkauft, 30 Millionen Mal als Album gestreamt. Also eines der erfolgreichsten Alben der deutschen Hip-Hop Geschichte, ohne dass sich bisher irgendjemand über antisemitische oder sonstwie zweifelhafte Textzeilen beschwert hätte. Sie haben selbst gesagt, das war eine verspätete Aufmerksamkeit dafür, weil im Zuge dieser Echo-Nominierung ein paar Journalisten das herausgekramt haben. Aber um erfolgreich zu sein, brauchen die den Eklat nicht. Und das ist eigentlich viel schlimmer. Weil das heißt: Für die Hörer von Kollegah und Farid Bang ist das alles offenbar so selbstverständlich, diese Art der Rhetorik, die Sie eingangs zitiert haben - dass darüber gar keine Kontroverse entsteht und alle anderen hören einfach nicht hin. Ehrlich gesagt, ich auch nicht, das ist zweifellos ein Fehler. Dazu muss man dann auch Selbstkritik üben als Journalist. Und es führt natürlich dazu, dass man da nicht so richtig hinhört, dass dann auch keine Debatten entstehen um solche Textzeilen.
Zum Vergleich: Wir haben in Berlin gerade monatelang über die Frage diskutiert, ob ein Gedicht an einer Hauswand stehen darf, in dem Frauen mit Blumen verglichen werden, oder ob das sexistisch ist und deswegen weg muss. Und es gibt auf dem neuen Album von Kollegah und Farid Bang eben nicht nur diese Zeile, die Sie im Eingang zitiert haben, sondern auch eine, die geht so: "Dein Chick ist 'ne Broke Ass Bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steißbein bricht". Und das scheint mir persönlich doch noch sexistischer zu sein, als wenn man Frauen mit Blumen vergleicht. Aber darauf öffentliche Debatte? Null, nichts.
Das Judentum als Sündenbock
Lechler: Und dass da KZ-Opfer beleidigt werden, ist das ein Einzelfall oder sehen Sie da einen antisemitischen Trend?
Balzer: Also der deutsche Hip-Hop ist natürlich viel zu umfangreich und zu divers, um das irgendwie pauschalisieren zu können. Aber auf der anderen Seite ist es auch nicht das erste Mal, dass in einem Rap-Text auf deutscher Sprache antisemitische Einstellungen erkennbar geworden wären. Der Offenbacher Rapper Haftbefehl - sehr erfolgreich, auch ein Liebling des Feuilletons - hat schon in seinen ersten Songs das Judentum verflucht, ausdrücklich, und später immer wieder die sogenannte Rothschild-Theorie zitiert, also dass die Rothschilds, das Finanzjudentum, die geheimen Herrscher der Welt sind. Der Integrationspreisträger Bushido - war auch Praktikant im Bundestag zwischendurch mal, aus Begeisterung für ihn, wenn ich mich richtig erinnere - zeigt im Internet gerne eine Nahostkarte, auf der der Staat Israel getilgt ist.
Und auch bei Kollegah ist das nicht das erste Mal. Da gibt es zum Beispiel ein Video namens "Apokalypse" aus dem Jahr 2016, ein viertelstündiger Song mit so epischem Fantasy-, Science-Fiction-Video dazu. Und da geht es um den Kampf der Menschheit gegen das Böse, und das Böse zeigt sich am Ende, es ist ein gesichtsloser Herrscher mit einem Davidsternring am Finger, der das weltweite Bankensystem insgeheim kontrolliert. Nachdem der besiegt ist, können dann Christen, Muslime und Buddhisten die Welt wieder aufbauen. Und wer sich dafür im Ganzen interessiert: Es gibt eine hervorragende Fernseh-Doku des WDR, die vor ein paar Wochen lief, "Die dunkle Seite des deutschen Rap", die kann man in der ARD-Mediathek noch finden, da ist das alles nochmal detailliert und, wie ich finde, auch hervorragend analysiert.
"Verschwörungstheorien auf beiden Seiten beliebt"
Lechler: Nun hat Farid Bang marokkanische Wurzeln, Kollegah ist mit 15 zum Islam konvertiert. Gibt es diese antisemitischen Tendenzen auch bei nichtmuslimischen Rappern?
Balzer: Ja, gute Frage. Das wäre ja vielleicht das erste, was man vermuten würde, aber soweit ich sehe, nicht. Weil, das würde ja heißen, das müssten dann Rapper sein, die im traditionellen, deutschen Sinn rechtsextreme Ansichten vertreten. Unter biodeutschen Rechtsextremen ist der Hip-Hop aber generell immer verpönt gewesen, weil es ist ja andererseits eben auch Migrantenmusik, also die hören dann lieber hasserfüllte Rockmusik von weißen Männern. Das hat sich gerade erst zu ändern begonnen mit dieser sogenannten Identitären Bewegung, die also dem Rechtsextremismus ein moderneres Gesicht zu geben versucht. Und die haben jetzt auch mal einen Rapper zum Beispiel, einen jungen Mann namens Komplott aus Halle an der Saale, der rappt dann auf den Demonstrationen von denen. Aber bei denen spielt Antisemitismus keine Rolle, sondern ist ganz durch Islamophobie ersetzt, wie man das ja auch irgendwie in weiten Teilen der neuen Rechten so sehen kann.
Und dann eben durch so eine Verschwörungstheorie von der großen 'Umvolkung', also dass geheim agierende Mächte beschlossen haben, die europäische Bevölkerung durch Masseneinwanderung auszurotten und durch Muslime zu ersetzen. Das ist dann gewissermaßen das Pendant zu den Verschwörungstheorien der muslimischen Rapper mit dem geheim agierenden Weltjudentum, also Verschwörungstheorien: auf beiden Seiten sehr beliebt. Interessanterweise ist es aber so, dass diese starke Islamophobie unter biodeutschen Rechten jetzt nicht dazu führt, dass islamische Rapper wiederrum gegen den den biodeutschen Rechtsextremismus rappen würden. Also da ist denen ein Diss der vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung wesentlich lieber, als dass sie sich irgendwie gegen die AfD oder angeschlossene Organisationen verwenden würden.
"Wir müssen diese Musik genauer beobachten"
Lechler: Man würde sich gerade vor dem Hintergrund des Antisemitismus an deutschen Schulen, über den zuletzt geredet wurde, ja von der Rapszene schon ganz andere Signale eigentlich wünschen.
Balzer: In der Tat, ja. Ich glaube, der Szene ist dieser Antisemitismus an den Schulen völlig egal. Also egal, ob das nun Muslime sind, die da rappen oder nicht, und ob es Antisemiten sind, die da rappen oder nicht. Weil es denen eben generell völlig egal ist, was sie mit ihren Texten bewirken. Aber darüber kann man mit diesen Leuten nicht reden. Also, man kann ja mit jemandem wie Kollegah keine ernsthafte politische Diskussion führen, weil für den im Zweifelsfall ohnehin alles unter Kunstfreiheit fällt. Oder, sobald er kritisiert wird, sagt er, im Gangsta-Rap ist das alles nicht so gemeint, wie es sich anhört, weil das ist ja nur so ein formales Schema, und da geht es halt um krasse Beleidigungen, und das ist doch alles eine Kunstsprache. Also so was wie Verantwortung ist für den überhaupt keine Kategorie, das ist in erster Linie ein sehr zynischer Mensch, der auf seinen Zynismus auch noch sehr stolz ist.
Auf sonderbare Weise steht hierzulande wirklich noch der widerwärtigste Scheiß unter dem Gesinnungsschutz der vermeintlichen Kunstfreiheit, wenn er von Gangsta-Rappern mit Migrationshintergrund kommt. Und das gilt nicht nur für Musiker und Musikschaffende, sondern auch für Politiker und Journalisten. Wir müssen diese Musik einfach genauer beobachten. Wir müssen da genauer hinhören, auch wenn das Hören nun wirklich keinen Spaß macht.
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