Donnerstag, 09. Mai 2024

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Jusep Torres Campalans

1958 wurde in Mexiko ein Maler entdeckt, von dem niemals zuvor jemand etwas gehört oder gesehen hatte. Dabei wurde ihm nachgesagt, er sei einst nicht nur ein Freund Picassos gewesen sondern auch ein Kubist der ersten Stunde,ja sogar überhaupt der Erfinder des Kubismus-Begriffes. Tatsächlich kam eine erkleckliche Anzahl von Bildern aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zum Vorschein als deren Urheber eindeutig jener dem Vergessen entrissene Jusep Torres Campalans zeichnete. In einer Galerie von Mexiko-Stadt konnte man eine Auswahl seiner Werke besichtigen. Und wenn auch ihre qualitative Einordnung dem Kunstverstand einiges abverlangte, so konnte es doch in kunsthistorischer Hinsicht keine Zweifel geben: Dieser gänzlich unbekannte Pionier der Moderne war mit den einstigen Pinselrevolutionen seiner berühmten Kollegen bestens vertraut gewesen.Ein Kenner dieses außergewöhnlichen Falles resümierte rückblickend:

Eberhard Falcke | 01.01.1980
    "Ihm fehlt zwar die Qualität eines Matisse, eines Picasso, eines Mondrian (um auf Koryphäen aus der Zeit unseres Mannes hinzuweisen), doch seine Absichten, und nur die zählen hier, auch wenn sie ihn bis heute nicht vor der Hölle des Vergessens bewahrt haben, waren ebenso rein wie die der anderen."

    Den Anstoß zur unverhofften Entdeckung von Jusep Torres Campalans gab die Veröffentlichung einer Monographie über den Künstler und sein Werk aus der Feder des Schriftstellers Max Aub. Sehr schnell wurde deutlich, daß die darin ausgebreiteten biographischen Daten mit den künstlerischen Umwälzungen der kubistischen Kunstepoche unauflöslich verbunden waren. Damit wurde es möglich einige vieldiskutierte Fragen um die Anfänge von Kubismus und Abstraktion endlich mit knapper Eindeutigkeit anstatt nur erschöpfend zu beantworten. Endlich war schwarz auf weiß zu lesen, daß Picassos berühmtes Gemälde "Les Demoiselles d'Avignon" keineswegs, wie oft vermutet, das Resultat hochkomplizierter Erwägungen war. Vielmehr wurde das Bild, wie Aub herausfand, angeregt durch ein Kneipengespräch zwischen den Freunden Campalans und Picasso, in dem sie eines lange zurückliegenden Bordellbesuchs gedachten. Kein Wunder also, daß die gemalten Fräuleins deshalb etwas blaß und schemenhaft gerieten. Und wie war das mit der Erfindung des Wortes "Kubismus"? Das wiederum hing, nach Auskunft eines der von Aub zitierten Spezialisten, fraglos und folgerichtig mit den damals neuesten Möglichkeiten der Technik zusammen:

    "Die Entwicklung der Fliegerei hatte Jusep Torres Campalans schon seit langem beeindruckt. 'Damit habe ich eine neue Perspektive: die Häuser werden wie Kuben aussehen, die Felder wie Rechtecke', hatte er einige Monate zuvor gesagt. Diese neue Sichtweise führte zur Entstehung des Wortes 'Kubismus'."

    Wenn das keine erstklassigen Referenzen waren! Aus dem soeben noch völlig unbekannten Maler wurde - wie konnte es anders sein! - gleichsam über Nacht eine Legende. Kunstkritiker meldeten sich zu Wort, lobten, analysierten, klassifizierten; Kenner brüsteten sich damit, den geheimnisvollen Mann bereits seit langem gekannt zu haben. Jüngere mexikanische Maler beriefen sich auf Campalans, weil sie des Trotzki-Attentäters Siqueiros und seiner klassenkämpferischen Monumentalgemälde überdrüssig waren. Als das Buch 1960 in Frankreich und zwei Jahre später in den USA erschien, gewann die Resonanz eine internationale Dimension. Zudem tauchte Campalans alsbald nicht nur in einem Romanfragment des schon renommierten Erzählers Carlos Fuentes auf, auch der künftige Universal- und Überdichter Octavio Paz scheute nicht das Risiko der Selbstparodie, um Campalans in den Orbit unantastbarer Ewigkeitsgrößen hochzujubeln. Man höre und staune:

    "Erschaffen heißt für Torres Campalans die neuen Räume bewohnen, welche die Einsamkeit und die Gleichgültigkeit entvölkert haben: Farbe, Gottheit der Sterne, Saat der Auferstehung. Torres Campalans befragt die Welt, um sie dann sofort mit einer Antwort zu verewigen, die bereits ein Projekt zur kommunizierenden Rettung, zur Einfügung in eben diese befragte Welt ist: Blake, Novalis, Nerval, Baudelaire, Rimbaud."

    Ein wenig seltsam angesichts derart eminenter Beglaubigungsschreiben mußte allerdings erscheinen, daß der Maler Torres Campalans recht bald wieder aus der Kunstgeschichte verschwand. Genauso wie seine in Mexiko-Stadt und New York gezeigten Bilder danach nie wieder aufzutreiben waren. Was hingegen blieb war Max Aubs Monographie und ein Verdacht, der freilich von Anfang an erheiternd nahegelegen hatte: daß nämlich der Autor hier Wirklichkeit und Erfindung sehr phantasievoll aber auch durchaus sinnreich verflochten hatte. Und einige Schatten des Verdachts fallen heute auch unvermeidlich auf die satirereifen Anekdoten über die vorgeblich realen Auswirkungen dieser erfundenen Künstlerbiographie. Was mag von all dem tatsächlich stattgefunden haben, was wurde nur durch Übertreibung zum Ereignis, was war schlichtweg getürkt? Zweifelsfrei fest steht in diesem komisch-komplexen Fall indes nur eines: Daß derlei Verwirrungen den Absichten ihres Urhebers Max Aub genau entsprachen.

    Nun, da Max Aubs literarisches Mischwesen aus erfundenen und gefundenen Dokumenten, aus Roman und Monographie, Verwirrspiel und zeithistorischer Rekonstruktion, aus raffinierter Täuschung und höherer Wahrheit - nun, da also diese Monographie über "Jusep Torres Campalans" endlich und erstmals auf deutsch erscheint, sind auch alle Überraschungen, Zweifel oder Turbulenzen, die das Buch einst auslöste, Literatur geworden - Sekundärliteratur. Doch abgesehen davon, daß man solche Verspätungen immer bedauern kann, stört das nicht im geringsten. Allein mit dem heiteren Rätselraten über den Realitätsstatus dieses Campalans' und seiner Umtriebe ist es wohl unwiderruflich vorbei. Inzwischen sind die Lösungen und Antworten in wissenschaftlichen Abhandlungen nachzulesen. Die geben Auskunft etwa über die Legende Campalans, die Authentizität des Fiktiven oder den Einfluß von Campalans Malerei auf jüngere Kollegen. Einiges davon läßt Mercedes Figueras - sie ist die Herausgeberin der Werk-Edition von Max Aub im Gatza Verlag - in ihrem informativen Nachwort anklingen. Und doch: So wenig man an ihren entmystifizierenden Erläuterungen auch zweifeln mag - sie fügen sich dennoch auf vertrackte Weise einfach zu gut ein in das von Aub angerichteten Potpourri aus Biographie, Aufsätzen, Dokumenten, Fußnoten und dergleichen. So kann man leicht - wenigstens für Momente - der Versuchung erliegen, auch noch dieses klärende Nachwort für eine Fortsetzung von Aubs narrativem Doppelspiel zu halten. Was eigentlich nur den Schluß zuläßt, daß sich die Idee und der Reiz seines Buches auch nach vierzig Jahren noch bewähren. Als folgenträchtiger satirischer Anschlag auf den Kunstbetrieb kann das heute freilich nicht mehr gelten. Als kunsthistorischer Jux ersten Ranges aber sehr wohl und außerdem als gelungene Parodie auf jede Art ehrfürchtiger Kunstheldenverehrung. Doch ist damit noch nichts gesagt über die weiteren und gewichtigeren Intentionen, die Aub mit diesem Buch außerdem verband. Denn im Hinblick auf seine erzählerischen Konstruktionsprinzipien ist der "Jusep Torres Campalans" in seiner ganzen Anlage ein für Aub durchaus charakteristisches Werk. Die Kombination verschiedener Gattungen und Textformen zum Beispiel wandte er als Verfahren sehr häufig an. Das wird man beobachten können, wenn die deutsche Aub-Ausgabe demnächst mit dem Hauptwerk "Das magische Labyrinth" fortgesetzt wird. Dieser sechteilige Roman-Zyklus über den spanischen Bürgerkrieg erschien zwischen 1943 und 1968, und der "Campalans" gehört zu den zahlreichen nebenher noch entstandenen Arbeiten. Viel später sagte Aub in einem Vorwort einmal:

    "Dieses Buch kann nur ein weiterer Roman sein, denen gleich, die ich bereits geschrieben habe: Ein Sack voller Ausschnitte, Erinnerungen, Witze, Geschehnisse, ausgeleert auf den Boden seiner Epoche."

    Das war zwar auf die ebenfalls erfinderisch arrangierten Gespräche mit dem Freund Luis Buñuel gemünzt, paßt aber, wie Aub selbst betont, auch auf seine anderen Bücher. Da er nämlich einen ausgeprägten Perspektivismus vertrat, folgte Aub in seinem Schreiben meist dem Grundsatz, daß eine Vorstellung von der Wahrheit sich erst aus der Summe der verschiedenen Sichtweisen ergibt. Weil er das Geschehene für unergründlich hielt, genauso wie eine Figur oder ein Leben, sammelte er die ihm greifbaren Versionen darüber und fügte sie aneinander. Nicht damit die Leser daraus die schlüssigste auswählen, sondern um ihnen die Komplexität der sogenannten Wahrheit vor Augen zu führen. Auf dieselbe Weise etwa wie bei einem kubistischen Bild, in dem die gegenständliche Ordnung gesprengt und neu kombiniert wurde. Insofern ist es mehr als nur eine naheliegende Floskel, wenn die Herausgeberin Mercedes Figueras den "Campalans" als "kubistischen Roman" bezeichnet. 1954, kurz bevor er mit der Entwicklung dieses Buches begann, schrieb Aub in einem Aufsatz:

    "Der Kubismus ist zur Malerei das, was die Relativität zur Auffassung des Universums ist; er bedeutet die Zerstörung einer einzigen Sichtweise."

    Um die Forderung nach einer neuen Sichtweise kreisen fortwährend auch Campalans' Überlegungen, weshalb man annehmen kann, daß Aub hier einige der ihm wichtigen ästhetischen Reflexionen an seinen Helden delegiert hat. Man müsse die Welt, anstatt sie abzubilden, neu erfinden.- Dieser - wenn auch nicht exklusiv - kubistische Vorsatz steckt hinter den meisten von Campalans Ausführungen.

    "'Der Mensch muß auf schnellstem Wege zum Maß der Dinge zurückkehren und die Dinge zum Maß des Menschen. Denn die Dinge entgleiten uns, deshalb müssen wir sie, um sie messen zu können, zerbrechen, zerstören, zerschlagen, müssen mit der Wüste beginnen.' Pablo sah ihn mit seinen vorstehenden Teufelsaugen an, ohne sich voreilig festzulegen. 'Es muß eine Malerei erfunden werden, hörst du, 'erfunden' werden, die wirklich nach dem Maß des Menschen ist. Was die anderen tun, ist doch nur sinnloses Kopieren, das gilt selbst für Vlaminck, Matisse oder Rouault. Sie riechen, daß etwas in der Luft liegt, aber sie wissen nicht was. [...] Was ich gern machen möchte, ist eine Malerei der direkten Aktion, eine Serie von Attentaten, die die Menschen wissen ließe, daß es uns gibt, daß wir eine gerechtere Welt wollen.

    "Die Kunst und mehr noch der Anarchismus, das waren die großen Leidenschaften von Campalans - bis zur Desillusionierung durch den Ersten Weltkrieg, die ihn dazu bewog für Jahrzehnte fast spurlos in einem mexikanischen Indianer-Dorf zu verschwinden.

    Was aber steckt nun alles in diesem Sack voller Ausschnitte, Erinnerungen und Geschehnissen, den Aub hier vor seinen Lesern ausschüttet. Auf jeden Fall drei Anfänge für die Geschichte des Torres Campalans - wie man es von einem "kubistischen Roman" ja immerhin verlangen kann. Der erste Anfang fand sich unter unveröffentlichten Schriften Max Aubs und weist die sprunghafte Diktion skizzenhafter Notizen auf.

    "An einem 9. Januar 1955, um 7 Uhr morgens, wird Jusep Torres Campalans geboren, gestiefelt und gespornt. Alles schreiben wie eine Monographie 'über...'. Interviews. Das Leben (unwirklich). Die Ästhetik (unwirklich). Das ganze herausgeben mit Reproduktionen. Maler, Katalane, Freund von Picasso. Großgewachsen, stark, mit einem roten Gesicht, kahlgeschoren [...], immer mit Cordkleidung angezogen. Große Hände, katholisch. Den Roman wie eine Monographie konstruieren. [...] Die großen Vorteile dabei: einerseits die Annalen, die es ermöglichen, die Epoche darzustellen, dann die Biogrpahie, in einem Guß, alles Fiktion. Die Zeichnungen: es kostet mich doch nicht viel Mühe, sie anzufertigen! Ich muß nur versuchen, Picasso oder Braque nachzuahmen. Mein Ungeschick wird den Rest tun."

    Und so geschah es dann auch. Aub konstruierte sein Buch nach einem gängigen Muster der Künstler-Monographie. Dazu gehört selbstverständlich ein Vorwort mitsamt den obligatorischen Danksagungen an hilfreiche Zeugen. Dort findet sich der zweite Anfang von Campalans' Geschichte, aus dem hervorgeht, wie der Biograph einst in Mexiko auf die Spur seines Helden stieß.

    "1955 war ich zu einem Vortrag nach Tuxtla Gutiérrez, der Hauptstadt der Provinz Chiapas, eingeladen. [...] Als ich eines Abends in der Buchhandlung 'De la Plaza' gerade mit einem jungen Dichter dieser Stadt sprach, wurde ich einem tiefgebräunten, einsilbigen Mann vorgestellt, den alle 'Don Jusepe' nannten. 'Wo sind Sie her?' fragte er mich ohne Umschweife. 'Ich bin in Paris geboren.' 'Paris ... Gibt's das noch?' Er lächelte: 'Sie entschuldigen. Hat mich gefreut.' Kerzengerade, seinen Stock in der Hand, ging er weg."

    Campalans Emigration nach Mexiko bei Ausbruch des ersten Weltkriegs hatte mehrere Gründe. Zum einen wollte er sich nicht als Soldat auf die Schlachtbank führen lassen. Zum anderen sah er für seine avantgardistisch-anarchistischen Ambitionen keinen Raum mehr. Der allgemeine Rückfall in sturen Nationalismus, der auch exquisite Geister erfaßte, erbitterte ihn. So reihte sich sogar ein Apollinaire bereitwillig in die uniformierten Marschkolonnen ein, und die Proletarier aller Länder zögerten nicht, aufeinander zu schießen. Durchaus vergleichbare historische Enttäuschungen dürfte Max Aub erfahren haben. 1903 als Sohn eines Deutschen und einer Französin in Paris geboren, wuchs er in Spanien auf, schloß sich der literarischen Avantgarde an und arbeitete in verschiedenen Funktionen für die spanische Republik. Nach dem Sieg Francos und dem deutschen Einmarsch in Frankreich blieb ihm nur eine langjährige Flucht vor Faschismus, Verfolgung und Krieg, die erst im mexikanischen Exil endete. Insofern begegneten sich in jener mexikanischen Buchhandlung nicht zuletzt auch die Repräsentanten zweier hochdramatischer Epochen mit einem in manchen Punkten vergleichbaren Schicksal. Doch zurück zum Aufbau der Monographie. Zur allgemeinen Orientierung folgt auf Vorwort und Danksagungen eine Chronik bedeutsamer kultureller, sozialer und politischer Ereignisse; sie beginnt 1886, mit Campalans' Geburtjahr und endet 1914, als der Maler spurlos aus Europa verschwand. Die daran anschließende Biographie von knapp 140 Seiten konzentriert sich dann erwartungsgemäß auf die bewegten Pariser Jahre des Malers. Überraschenderweise jedoch besteht sie zum Großteil aus direkt zitierten Gesprächen; was einerseits sehr lebendig wirkt, andererseits in einer Biographie befremdlich anmutet. Wie und über welche Kanäle mag der Biograph das alles so wörtlich erlauscht haben, wäre da beckmesserisch zu fragen. Leichter einzuordnen sind die fraglos harten, wenn auch nicht mehr überprüfbaren Daten, mit denen hier nun der dritte Anfang von Campalans' Geschichte aufwartet.

    "Jusep Torres Campalans wurde am 2. September 1886 in Mollerusa geboren, wie aus den 1936 verbrannten Geburtsregistern der Pfarrei San Esteban hervorging. [...] Mit zwölf Jahren, 1898, brannte er nach Gerona durch, niemand weiß, warum. Wenn er sich an seine Jugend erinnerte, erzählte er von einer Lehrzeit als Kellner in einem Gasthaus, oder von einer Zeit als Briefträger, als Schreiber in einer Notariatskanzlei oder im Büro einer Bergwerkgesellschaft in San Juan de las Abadesas."

    Als katalonischer Bauernsohn besaß er eine große kräftige Gestalt und eine Menge Kraft. Dennoch gehörte zu seinen frühen Liebhabereien die Schönschrift. Einen komischen hygienischen Eifer hatte man ihm hingegen im Priesterseminar eingetrichtert: deshalb rasierte er sich den Kopf, stellte Rekorde im Dauerzähneputzen auf und ergab sich bei jeder Gelegenheit seinem Waschzwang. So zeigte sich, ließe sich folgern, schon früh jener Hang zur Radikalität, der sich später auch auf höherer Ebene manifestierte, nachdem Campalans schließlich über Barcelona bis in die Künstlerkreise von Paris vorgestoßen war. Ganz abgesehen von seinen explosiven Vorschlägen zur Weltbildverbesserung - nahm er gelegentlich auch seine Kollegen regelrecht auseinander. Besonders Juan Gris, sein Lieblingsfeind aus der Tatsachenwelt, bekam das häufig zu spüren.

    "Du bist ein richtiger Schlauberger, ein Madrider Stutzer eben, dessen Ideal es ist, zu leben ohne zu arbeiten. Es kam dir kinderleicht vor, dir deine Brötchen mit dem Malen kubistischer Bilder zu verdienen, was dir nun wirklich nicht schwerfällt. Skrupellose Typen wird es bis ans Ende der Welt geben. Ich möchte heute nicht in deiner Haut stecken und auch nicht im Museum hängen, und am Tag des Jüngsten Gerichts möchte ich erst recht nicht mit dir tauschen. Weil du lügst, hörst du: Du lügst und du weißt, daß du lügst, nur um die andern schamlos zu täuschen und zu betrügen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne etwas dafür zu tun. Du bist ein Betrüger. Kein großer, das würde dich retten. Nein, du bist nur ein kleiner, schamloser Betrüger."

    Eine andere Quelle, die Campalans' Denken und Anschauungen unmittelbar, sozusagen "authentisch" dokumentiert, stellt sein vollständig abgedrucktes "Grünes Heft" dar. In diesem geistigen Werkstattbuch hat der Welt- und Kunstveränderer eigenhändig seine Bemerkungen und Reflexionen zu Ästhetik, Politik oder alltäglichen Begebenheiten aufgezeichnet. Den sechsten Teil der Monographie schließlich bilden die unabdingbaren persönlichen Gespräche des Biographen mit dem Künstler. Sie konnten gerade noch stattfinden, bevor Campalans 1956 in seinem Indianerdorf verstarb. Illusionslos blickt Campalans zurück. Und obwohl er sein Werk mit dem von Picasso auf eine Stufe stellt, zieht er das Fazit:

    "Kurz und gut, als Maler war ich eine Pleite. [...] Ich war kein großes Licht, in keiner Hinsicht."

    Das ist eine Erkenntnis, die durch die beigegebenen Abbildungen von einigen Dutzend Campalans-Werken im Wesentlichen bestätigt wird. Daran können auch die höchst respektvollen Katalog-Erläuterungen nicht viel ändern. Als Aubs Erfindung jedoch, als fingiertes malerisches Werk ist das Ganze natürlich ein köstliches Schelmenstück. Und das gleich aus mehreren Gründen: Zum einen wegen der kunterbunt durcheinandergewürfelten, vorwiegend auf Picasso gemünzten Stilparodien; zum anderen kann man sich an etlichen schaurig modernistischen Porträts ergötzen, unter denen das von Rainer Maria Rilke zweifellos die größten Horrorqualitäten aufweist; und drittens bieten die Bildkommentare des Katalogs manch schönes Beispiel für den mitunter haarsträubenden Hokuspokus der Kunstinterpretation - einer Disziplin die Campalans beredt verachtete. Die Häufigkeit mit der seine Attacken wider das theoretische Kunstgewerbe von Aub zitiert werden, läßt auch hier Geistesverwandtschaft vermuten.

    "Theorien, Theorien! Dummheiten sonst nichts. Nehmen Sie irgendeine dieser anmaßenden Behauptungen von Braque oder Gris und drehen Sie sie herum, so daß sie genau das Gegenteil aussagen: es kommt auf dasselbe heraus, und genauso können sie in den Monographien verewigt werden."

    Auch Aubs Monographie, dieser "kubistische Roman", gestattet seiner Beschaffenheit gemäß mehrere Lesarten, denen allerdings Beliebigkeit nicht vorzuwerfen ist.Jenseits der brillanten parodistischen Aspekte ist das zugleich ein plastisches Genrebild der Pariser Bohème jener Zeit; es ist eine Chronik vom Beginn der künstlerischen Moderne; es ist eine Bildungsgeschichte, eine Komödie der radikalen Ideen und schließlich das Drama eines Scheiterns. Ironisch, doch nicht ohne Anteilnahme beleuchtet Aub eine Epoche gewagter, auch hochfahrender Ideen und Experimente. Und ganz gewiß ist es eine vielsagende Pointe, wenn er all diese Ambitionen mit seinem Helden im Urwald verschwinden läßt. Was bleibt ist die Reliquienjagd der Kunsthändler und das Possenspiel der Legendenbildungen. Max Aubs "Jusep Torres Campalans" ist weder die erste noch die einzige fiktive Biographie. Die Mannigfaltigkeit der Mittel, Stoffe und Themen jedoch, mit der er den Geist seiner Leser beschäftigt, amüsiert und aufs Glatteis führt, sucht ihresgleichen. Daher fällt es nicht schwer, abschließend mit dem Autor zu sagen: "Es bleibt Don Jusepe, ich grüße ihn in Freundschaft."