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Justizposse und Flüchtlingsfragen

In Agrigent stehen derzeit zwei Deutsche vor Gericht: Kapitän Stefan Schmidt und der ehemalige Vorsitzende des Komitees "Cap Anamur", Elias Bierdel. Beiden wird von den italienischen Behörden die Bildung einer Schlepperbande zum Zwecke illegaler Immigration vorgeworfen. Sie hatten im Jahr 2004 mit der Cap Anamur Bootsflüchtlinge aufgenommen und in den italienischen Hafen Porto Empedocle gebracht. Karl Hoffmann berichtet:

    Auf der Terrasse vor dem Gerichtsgebäude in Agrigent gibt sich Elias Bierdel, ehemaliger Cap Anamur Chef locker :

    "Wir kommen ja oft hierher nach Italien, langsam gewöhnt man sich dran ich habe inzwischen auch schon einen Blick für die schöne Gegend und die Ausgrabungen hier."

    In der Ferne das sonnenüberflutete Mittelmeer und der kleine Hafen von Porto Empedocle. Endstation einer spektakulären Rettungsaktion und Beginn eines langwierigen Gerichtsverfahrens. Die Mühlen der italienischen Justiz mahlen extrem langsam, das ist bekannt. In dieser Woche erst ist die Vernehmung des Kapitäns Stefan Schmidt zu Ende gegangen. Eine postive Wende meint Axel Nagler, einer der Verteidiger des Cap Anamur Teams, denn:
    "Zum ersten Mal wird die Geschichte so erzählt wie sie wirklich war, erlebt von den Leuten die an Bord waren. Man merkt schon deutlich, dass die Atmosphäre im Gericht auch sich geändert hat und dass das Gericht auch aufmerksam zuhört. Und deswegen sind wir ganz zuversichtlich."

    Am Anfang sah es noch ganz anders aus. Denn die Festnahme der Verantwortlichen des Flüchtlingsschiffs und die anschließende Anklage - Bildung einer Schlepperbande zum Zwecke illegaler Immigration - hatten eindeutig politischen Charakter, meint der italienische Anwalt der Angeklagten, Vittorio Porzio:

    "Am Anfang war es eindeutig der Wunsch der Politiker zu beweisen, dass Italien Muskeln zeigen kann, wenn es nötig ist. Möglicherweise aber auch die Folge einiger falscher Informationen , die die italienischen Behörden bezüglich der Cap Anamur erhalten hatten und die letztlich zur Anklage geführt haben."

    Nachdem nun endlich begonnen wurde, die Betroffenen zu hören, scheint sich das Klima zu wandeln. Während man den Behörden politische Willkür bei der Anlandung der Cap Anamur vor dreieinhalb Jahren vorwerfen kann, hält Porzio das Gericht heute für absolut integer:

    "Die Richter sind ausgesprochen fähig und ernsthaft bei der Arbeit. Und sie sind wirklich unabhängig. Der Vorsitzende Richter ist über alle Zweifel erhaben und das gibt uns Hoffnung für den Ausgang des Verfahrens . Also kein politischer Prozess? Das kann man mit Sicherheit ausschließen , den das Gericht ist völlig neutral , muss auf niemanden Rücksicht nehmen und wenn es glaubt, dass die Angeklagten keinerlei Schuld haben, dann wird es das auch sagen. Ich glaube nicht, dass es irgendeine politische Einflussnahme in diesem Fall gibt."

    Verteidiger und Mandanten haben sich für das, was man in Italien die Strategie des "profilo basso", größtmögliche Zurückhaltung, entschieden. Keine Polemik mehr, keine unnötige Vermischung von Immigrationspolitik und Cap Anamur Prozess. Avvocato Porzio will für seine Mandanten nur eines klarstellen:
    "Die Frage der Immigration hat hier nichts verloren. Die Cap Anamur hat Menschen aus Seenot gerettet und damit basta. Wir wollen nur klarstellen, dass jeder Mensch, gleich welcher Herkunft gerettet werden muss, wenn er in Lebensgefahr ist, unabhängig von den Gesetzen des Staates, in dem er an Land geht."

    Unerwartete moralische Unterstützung bekommen die Angeklagten der Cap Anamur durch weitere tragische Fälle von Menschenrettung. Vor dem Gericht in Agrigent müssen sich derzeit auch einige tunesische Fischer verantworten, die im letzten Sommer Bootsflüchtlinge nach Lampedusa gebracht haben. Die Staatsanwaltschaft hält sie für Schlepper. In Haft bleibt dagegen ein italienischer Fischer, der einen Schiffbrüchigen von Bord stieß, worauf dieser ertrank. Vielleicht könnte ein Freispruch im Fall Cap Anamur, solch tragische Ereignisse verhindern. Meint Rechtsanwalt Axel Nagler:

    "Das Politikum ist das, was die Behörden und die Regierung angerichtet haben und dass die Staatsanwaltschaft, die ja weisungsgebunden ist, solche Leute anklagt und dadurch bei den Schiffsführern hier im Mittelmeer eine enorme Verunsicherung darüber hervorruft, ob sie nun Leute die in Seenot sind retten dürfen oder nicht und was ihnen passiert und welche Schwierigkeiten sie kriegen können wenn sie die hier in Italien an Land setzen."