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Kafka als Steinbruch

Der Komponist Hans-Jürgen von Bose hat für seine Kammeroper aus Kafkas "Verwandlung" und "Prozess" sowie aus Tagebucheinträgen und Briefzitaten eine Textcollage gemixt. Seine Idylle in einem unwirtlichen Literaturland scheut weder Anleihen bei Bachs Cello-Solo-Suiten noch Neue-Kammermusik-Gesten der 70er-Jahre.

Von Frieder Reininghaus |
    "Im trüben Sinn schlägt eine Uhr". – Aus einem Cello-Solo entwickelt sich Kammerpolyphonie: ein Akkordeon kommt hinzu. Der Countertenor Tim Severloh und der Bariton Falko Hönisch, beide ausstaffiert wie typische Angestellte einer in sichere Distanz entschwundenen Nachkriegszeit, komplettieren das Herren-Quartett, das unter verdeckter Leitung von Anna Sushon einen Kammeropernabend in der Wiener Kammeroper bestreitet.

    Der Komponist Hans-Jürgen von Bose hat sich aus Franz Kafkas "Verwandlung" und "Prozess" – beide Texte entstanden während des ersten Weltkriegs – sowie aus Tagebucheinträgen und Briefzitaten ein Text-Collage gemixt, die wie im Spätherbstnebel gewisse Konturen eines musiktheatralischen Kafka-Porträts umreißt. Bose will den Weg in eine neu erschaffene "Innenwelt" von Kafka-Texten anbieten, Kafkas Kunstkopf "begehbar machen".

    "Der Kafkasche Text ist unglaublich binnendramatisch und gibt sehr viel Spielraum für die Musik – das ist eigentlich der Hauptanlass. Und dann natürlich die Beschäftigung mit bestimmten Themenbereichen."

    Diese Themenbereiche sind das Schicksal des Einzelnen in der Masse Mensch, auf die der Autor Kafka hypersensibel reagierte, und die durch die notorische Angst vorm Vater und gescheiterte Hochzeitsvorbereitungen verstärkten Lebensängste. Virulent sind die Ängste vor kleinem Getier und die Einsicht in die Untauglichkeit der Erziehung, die der Autor erfuhr.

    Der Komponist von Bose sucht neuerlich mit kontrastreicher, das heißt auf filigrane Polystilistik verpflichteter Musik zu punkten und bietet eine vorwiegend ruhig gehaltene Folge musikalischer Nummern an. Das Versprechen, Kafkas Witz, Komik und Zynismus deutlich zu machen, konnten nach meiner Beobachtung weder er noch der Regisseur Peter Pawlik realisieren.

    So entstand in einfacher Ausstattung ein besinnlicher Abend, der mit einem dicken Zeigefinger auf Vater/Sohn-Konflikte verweist und Kafka als Steinbruch für ein neu errichtetes Bruchsteinmäuerchen nutzt: Im Grunde liefert von Bose späte Idylle in einem unwirtlichen Literaturland – mit Musik, die ein bisschen Anleihe bei Sebastian Bachs Cello-Solo-Suiten so wenig scheut wie bewährte Neue-Kammermusik-Gesten der 1970er-Jahre – spätexistentialistische Meterware.

    "Das ist für mich ein neuer Versuch, auf ein neues Terrain zu gehen – und v.a. auch, Kammermusiktheater zu machen, also etwas, was auch an kleinen Häusern machbar ist."