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Kai Lüftner
Der Comedian unter den Kinderbuchautoren

Kai Lüftner gilt als Comedian unter den Kinderbuchautoren. Seine Protagonisten tragen ulkige Namen, seine Geschichten bestehen aus mal wahnwitzigen, mal erschreckend schaurigen Handlungen, die er selbst als Erzähler immer wieder augenzwinkernd kommentiert.

Von Ina Nefzer | 08.11.2014
    Comedian und Kinderbuchautor Kai Lüftner
    Comedian und Kinderbuchautor Kai Lüftner (picture alliance / dpa / Fröhling Mike)
    Komposition, Gesang und Text: Kai Lüftner. Komponieren, singen, texten kann er. Und nicht nur das: Die Liste seiner Berufe der letzten Jahre ist beeindruckend lang: Streetworker, Kabarettist, Alleinunterhalter, Sozialarbeiter, Bauhelfer, Pizza-Fahrer, Türsteher, Werbe-, Auftrags- und Liedtexter, Comedy-Autor, Konzert-Veranstalter, Radioredakteur, Hörbuchbearbeiter und –Regisseur sowie Texter für verschiedene Comedians und Schauspieler – all das war er. Heute schreibt er, wenn er nicht gerade singt, am liebsten für Kinder:
    "Ich glaube, neben all den Dingen, die ich gemacht habe, war ich fast immer schreibend tätig. Mal als Ghostwriter, mal als Redakteur, Werbetexter, Autor für andere. Das hat mich einfach unglücklich gemacht. Obwohl ich wusste, dass ich mit dem Schreiben mein Handwerk in den fast 15 Jahren geschult hatte. Ich kann das heute anwenden, wenn mir jemand sagt: Da ist der Produktplatz, das ist die Zielgruppe, das das Medium, das muss inhaltlich etwa rein, das kann stilistisch vorkommen – da bin ich am Start, das kann ich! "Bin ja allet ikke!" Ob das jetzt gereimt ist oder bisschen schwerer von der Thematik oder eben absurd albern, ist dabei völlig egal, weil so bin ich auch!"
    Berliner ist Kai Lüftner, das ist unüberhörbar, und zwar ein vielseitiger. Einer, der sich nicht nur in verschiedensten Berufen, sondern auch als Autor schreibend ausprobieren und auf kein Genre festlegen möchte. Nach einem einfühlsamen Bilderbuch über den Tod, ist sein jüngster Coup nun eine bissig-schwarzhumorige Kinderserie. Schon am paradoxen Titel – "Das Kaff der guten Hoffnung" – lässt sich ablesen, dass hier Ironie und Übertreibung regieren. Und das ab der ersten Seite:
    "Es war ein Tag für die Tonne. Graue Wolkenwände verbarrikadierten die Hoffnung auf irgendwas. Allerdings wäre durch die verschmierten Fenster des Kinderheims mit dem Namen "Zur guten Hoffnung" sowieso nichts zu sehen gewesen. Ein Schwall Trostlosigkeit ergoss sich über das Gebäude. Dem negativen Gesamteindruck war das sehr zuträglich. Es war ein Tag, wie ihn sich nur vollkommen herzlose Buchautoren ausdenken."
    Der "vollkommen herzlose Buchautor", von dem hier die Rede ist, ist natürlich Lüftner selbst – auch der, der hier liest. Er hat sich in seiner Geschichte die Rolle der Erzählerfigur zugedacht. Einer ganz besonderen Erzählerfigur, die wie ein Comedian vor lesendem Publikum agiert und sich selbst, wie gerade zu hören war, auch mal selbst auf den Arm nimmt:
    "Ich will absurde Szenarien von absurden Figuren in ihrer kompletten Überzeichnung. Was spricht denn dagegen, klamaukig zu sein?!"
    Und beispielsweise dem Ort der Handlung zwar sinnigerweise "Klein Kalabrien" zu nennen, ihm zusätzlich einen ironischen Spitznamen zu verpassen und das Ganze folgendermaßen zu begründen:
    "Dieser Ort war so nichtssagend und erbärmlich, dass ein reisender Alleinunterhalter ihn bei einem (ebenfalls nichtssagenden und erbärmlichen) Gastspiel einst "Das Kaff der guten Hoffnung" genannt hatte. Der Name war geblieben und klebte an Klein-Kalabrien wie ein furchtbar peinlicher Spitzname, den man eigentlich für immer geheim halten wollte und den jetzt doch die ganze Klasse kennt."
    Immerzu lustige Vergleiche
    Dieser Erzähler wartet immerzu mit lustigen Vergleichen auf, erklärt dies, erklärt jenes, kommentiert Handlung und Figuren und signalisiert mit jedem Wort: Hey – das hab ich mir alles ausgedacht! Durch diesen Kunstgriff entsteht Distanz zu einem über weite Strecken doch recht unheimlichen und spannenden Geschehen. Ein Geschehen, das – ehrlich gesagt - aber auch so schlimm ist, dass es schon wieder witzig ist:
    An besagtem trostlosen Tag klopft also ein Junge auf der Suche nach seinem verschollenen Bruder an die Tür des maroden Waisenhauses und wird von einer Heimleiterin namens "Galgenstrick" unfreundlich empfangen – wen wundert's –, um in die Gruppe der sogenannten "Unvermittelbaren" oder "Makel-Kids" gesteckt zu werden, die – man denkt es sich fast - in einem feuchten Zimmer im Keller hausen müssen. "Jetzt erst recht" heißt Band 1 und könnte das Motto dieser unbezwingbaren Kindergruppe sein.
    Nicht von ungefähr erinnert Lüftners Serie an skurrile Geschichten wie Lemony Snickets "Reihe betrüblicher Ereignisse", die ...
    "... Kinderliteratur durch die Art und Weise von Humor und Derbheit nach oben hin öffnen. Das liebe ich an dieser explizit englischen Literatur. Aber ich hab eben nichts gefunden in Deutschland, was es da gibt. Und wollte das unbedingt ausprobieren. Und wollte auch mit Themen rangehen – ich meine, ich bin Sozialpädagoge, kenn mich da wirklich in der sozialen Misere aus. Und bin auch der festen Überzeugung, man müsste da eine total ernste Thematik draus machen. Ist mir auch wichtig, das aufzubrechen. Ich hatte das Bedürfnis nach Vorschlaghammer, ich hatte total Bock "voll hau drauf!", aber eben mit Substanz."
    Aus seiner Arbeit als Streetworker kennt Lüftner einen Weg, Kinder und Jugendliche zu erreichen: Einerseits sie ernst nehmen. Auf "Das Kaff der guten Hoffnung" bezogen heißt das, sie mit "politisch unkorrektem"Klamauk und unheimlichen Abenteuern maximal zu unterhalten. Zugleich aber – durch Ironie, Übertreibung und einen Comedian-Erzähler - zu animieren, hinter die Kulissen zu schauen. Kai Lüftner, der selbst eher wie ein tätowierter Kraftprotz, ein Streetworker aussieht und ganz sicher nicht so, wie man sich landläufig einen Kinderbuchautor vorstellt, ist das lebende Beispiel dafür, welchen Spaß es machen kann, mit Vorurteilen zu spielen. Sie zur Schau zu stellen und gleichzeitig zu brechen. Um, wie er selbst sagt:
    "... nicht nur diesen Stereotyp und dieses Vorrangige zu haben, sondern – "wupp" - den Sack dahinter, den man aber nicht gleich kundtut, find ich tausendmal toller."
    Band zwei der Serie ist gerade erschienen und trägt den vielversprechenden Titel „Ganz oder gar nicht!" Eine gute Botschaft, denn – hier und heute soll der Autor das letzte Wort haben:
    "Es lohnt sich immer, den zweiten Blick zu machen!"
    Bücher:
    Kai Lüftner/Dominik Rapp (Illu.): Das Kaff der guten Hoffnung. Jetzt erst recht (Bd.1)/ Ganz oder gar nicht! (Bd.2), Fischer Sauerländer 2014.