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Kaiser mit Migrationshintergrund

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde Rom ein Weltreich, es hielt fast 500 Jahre lang, von seinen Kaisern mühsam zusammengehalten. Einer seiner vielen Kaiser war Hadrian, dem das British Museum in London nun eine Ausstellung widmet.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Er zog die Besatzungstruppen aus dem Irak ab und kümmerte sich vor allem um "Homeland Security", indem er zum Beispiel die Außengrenzen sicherte: mit einer Mauer quer über die britische Insel und mit einem hölzernen Palisadenzaun, dem "Limes", auf dem Kontinent. War Hadrian deswegen ein Friedenskaiser? Die Ausstellung im British Museum stützt eine solche Idealisierung nicht. Sie ist aber auch keine "Demontage", wie der ‚Spiegel' in seiner typischen Krachversessenheit behauptet. Denn was gibt es schon zu demontieren an einer so widersprüchlichen Figur, deren Widersprüchlichkeit schon immer - von den antiken Geschichtsschreibern über den Historiker Ferdinand Gregorovius bis zu der Romanautorin Marguerite Yourcenar - herausgestellt wurde? Gerade Hadrians zwiespältiges Wesen als Feingeist und Krieger, als dichtender Architekt und knallharter Feldherr macht ihn ja von jeher für die Nachwelt so interessant.

    Im übrigen lohnt sich die Beschäftigung mit ihm schon deshalb, weil er einfach der mächtigste Mann seiner Zeit, ja vielleicht aller Zeiten war, denn das von ihm geführte Weltreich war mit der bekannten, zivilisierten Welt schlichtweg identisch. Daher die Hinterlassenschaft von Kolossalbauten wie dem Pantheon in Rom, der Engelsburg, die als Hadrians Mausoleum errichtet wurde, oder der alle Maßstäbe sprengenden Hadriansvilla in Tivoli, daher die Darstellung seiner Person auf Geldmünzen und in überlebensgroßen Statuen, von denen eine, ein Kopf, ein Bein, ein Fuß zumindest, vor weniger als einem Jahr in der Türkei ausgegraben wurde. Mit diesem außerordentlichen Fund, der noch nie öffentlich gezeigt wurde, beginnt der Ausstellungsparcours.

    Und gleich bei einer der nächsten Statuen übt das British Museum Selbstkritik: Es handelt sich um ein Exponat aus den eigenen Beständen, das in unzähligen Büchern über Hadrian, die römische Kaiserzeit, ja die Antike überhaupt abgebildet ist. Diese in viele Stücke zerbrochene Statue wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Nordafrika gefunden und zeigt einen bärtigen Hadrian im klassischen Philosophengewand der Griechen, statt mit der üblichen Toga bekleidet. Schon damals waren bei der Restaurierung Bedenken geäußert worden, ob die Stücke wohl alle zusammen gehören. Jetzt ergab eine neue Untersuchung, dass die viktorianischen Archäologen mit Hilfe von viel Gips und einer fixen Idee des Kaisers Kopf auf einen falschen Rumpf montiert hatten. Hadrian, von seinen Zeitgenossen "Graeculus" (kleiner Grieche) genannt, war zwar ein Intellektueller, doch sein Bart war nicht unbedingt ein griechischer Philosophenbart, wie man das bisher immer angenommen hatte, sondern das Barttragen kam zu jener Zeit gerade bei jüngeren römischen Militärs in Mode.

    Von dieser Art sind die Erkenntnisse, die durch die Ausstellung vermittelt werden - keine Umwertung, nicht Spektakuläres, aber doch eine Ansammlung von Material, wie sie vielleicht nur das British Museum zusammentrommeln kann - bei 37 Leihgebern in elf Ländern. Manches davon wird auch so schnell nicht wieder zu sehen sein, und weiterreisen wird Schau schon gar nicht. Da sind zum Beispiel feinziselierte Haushaltsgegenstände, Handspiegel, Damenschmuck samt Holzschatulle oder Basttasche, die von den vor Hadrians Todesschwadronen geflohenen Juden in ihre Verstecke am Toten Meer mitgenommen worden waren. Diese im Wüstensand unglaublich gut erhaltenen Gegenstände erzählen eine grässliche Geschichte: Mehr als eine halbe Million Juden, die gegen die Römerherrschaft revoltiert hatten, wurden zwischen den Jahren 132 und 136 in dem erstmals so genannten Land Judäa umgebracht.

    Die Ausstellung ist Teil einer großen Herrschergestalten gewidmeten Serie, die nächstes Jahr mit Montezuma endet und mit der das British Museum wieder einmal seine führende Stellung in der Kombination von Wissenschaft und Marketing unter Beweis stellt. Im Museumsshop kann man neben Carpe-Diem-Tassen und römischen Mosaiktellern selbstverständlich auch eine marmorne Hadriansbüste für 5000 Euro erwerben und - das dürfte freilich schwerer sein - auf der Stelle mitnehmen.