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Kalt und reaktiv

Chemie. - An der Freien Universität Berlin kommen derzeit Physiker und Chemiker zu einer Tagung zusammen, auf der sie sich mit Kälte beschäftigen. Dabei geht es um Reaktionen bei Temperaturen, die so tief sind, dass Edelgase flüssig oder gar fest werden. Viele Wissenschaftler benutzen so erzeugte Edelgaskristalle für eine Art Behälter, der nicht mit dem Inhalt reagiert. So lernt man es ja auch in der Schule Edelgase gehen keine Verbindungen ein. Doch ein kleiner Teil der Physiker macht das erstaunliche Gegenteil.

    Ende des 19. Jahrhunderts fanden Wissenschaftler in der Luft einige wenige Substanzen, die nicht mit anderen Stoffen zu chemischen Verbindungen reagieren. Eines der Gase nannten sie Argon, das heißt "das Träge", ein anderes Xenon, das ist "das Fremde". Benny Gerber, Professor an der Hebrew University in Jerusalem:

    Die Leute sahen, dass sie nicht reagieren, dass sie chemisch sehr stabil sind. Und das ist, woher sie den Namen haben Edelgase, träge Gase. Und später, als die Leute Quantenphysik verstanden, sagten sie wow, diese Edelgasatome haben eine ganz besondere Stabilität, die daher kommt, wie sich die Elektronen im Atom herum bewegen. Und weil sie so stabil sind, reagieren sie nicht.

    Doch inzwischen haben die Wissenschaftler diese Auffassung widerlegt und Benny Gerber denkt sogar über Edelgas-Kunststoffe nach, die ganz neue Eigenschaften haben könnten.

    Ein sehr guter Theoretiker hat gesagt, na gut, im allgemeinen sind diese Atome sehr stabil, aber wenn sie sehr groß sind, wie Xenon, dann sind sie ein bisschen instabil, da die äußeren Elektronen schon recht weit vom Atomkern entfernt sind.

    Das war 1933. Dann dauerte es dreißig Jahre, bis Chemiker tatsächlich ein Xenon-Atom mit einem Fluor-Atom verbinden konnten. Argon ist etwas kleiner, und deshalb ist es noch schwieriger. Doch 1995 gelang es, ein Wasserstoff-Argon-Fluor Molekül herzustellen. Das funktioniert, da das Element Fluor Elektronen sehr stark anzieht. Doch Benny Gerber hatte eine Idee und untermauerte sie mit komplizierten Rechnungen Vielleicht funktioniert es ja auch mit Kohlenstoff-Atomen, die die Elektronen nicht so sehr anziehen. Kohlenstoff ist der Baustein der organischen Chemie und der Kunststoffe. Markku Räsänen von der Universität in Helsinki, der sich schon einen Namen mit den ersten Argonverbindungen gemacht hatte, wollte es wissen und startete die Versuche im Labor. Dazu brauchte er minus 230 Grad Kälte, um die Xenon Kristalle zu erzeugen, ein Molekül mit der Formel HCCF, das ist Wasserstoff, Kohlenstoff und Fluor, und ein Lichtblitz. Mit ihm wird vom HCCF das Wasserstoffatom abgespalten, es wandert in dem gefrorenen Xenon umher und geht dann die gewünschte Verbindung ein, bei der sich das Xenon zwischen das Wasserstoffatom und das Kohlenstoffatom schiebt. Markku Räsänen hat das mit infrarotem Licht nachgewiesen.

    Wir können das Infrarot-Absorptionsspektrum messen. Damit können wir die Schwingungen der Moleküle untersuchen. Jedes Molekül hat ein sehr, sehr charakteristisches Schwingungsspektrum. Es ist wie ein Label, ein Name, es gibt keine zwei unterschiedliche Moleküle, die das selbe Label haben. So kann man die Moleküle mit Sicherheit identifizieren.

    Der nächste Schritt zum Edelgas-Kunststoff ist, mehrere solcher Xenon-Kohlenstoffe an eine Kette hintereinander zu hängen. Denn Kohlenstoffketten sind das Prinzip der Kunststoffe. Doch es wäre etwas kompliziert, würden sie nur bei minus 230 Grad existieren. So stellt sich die Frage, ob die Xenon Verbindungen auch bei höheren Temperaturen halten. Räsänen:

    Bisher haben wir die Reaktionen bei höheren Temperaturen noch nicht untersucht. Aber Rechnungen zeigen, dass sie in sich stabil sind, zum Beispiel bei Raumtemperatur und niedrigen Drücken.

    Für die Grundlagenforschung sind diese Untersuchungen immer noch sehr interessant. Inzwischen ist zwar verstanden, dass diese Edelgasmoleküle nicht den Prinzipien der chemischen Bindung widersprechen, so wie man sie kennt. Doch trotzdem hat jede neue Atom-Kombination ihre Eigenart, die Überraschungen bringen kann. Auch im menschlichen Körper muss das Edelgas Xenon irgendeine Verbindung eingehen, vermutet Markku Räsänen. Denn es wirkt als ein sehr gutes Betäubungsmittel. Wieso, das sei bisher nicht verstanden. Daran könnte auch eine der Xenon-Bindungen beteiligt sein. Und vielleicht ist auch das Militär an Edelgasverbindungen interessiert denn sie sind sehr reaktiv und eignen sich eventuell für Sprengstoffe.