Montag, 29. April 2024

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Kammermusik
Vergessene Schätze

Wer kennt diese Komponisten noch: den Liszt-Schüler Anton Urspruch oder Ferdinand Hiller, einst berühmter Pianist und Dirigent? Cellistin Joanna Sachryn und Pianist Paul Rivinius zeigen mit ihrer neuen CD "Forgotten Treasures", wie sehr es sich lohnt, diese Fundstücke hochromantischer Kammermusik zu hören.

Am Mikrofon: Johannes Jansen | 18.10.2020
    Eine Frau sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Hocker und hält auf ihrem Schoß ein querliegendes Cello.
    Joanna Sachryn mit ihrem Cello aus der Werkstatt des deutschen Geigenbauers Urs Mächler. (Hong Fei Ni)
    Musik: Ferdinand Hiller, Sonate a-Moll, op. 172
    Mit einem leisen Plopp, als würde irgendwo im Hintergrund eine Flasche Wein entkorkt, führt sich die Cellistin Joanna Sachryn in Ferdindand Hillers Sonate ein. Doch das beiläufig hingezupfte Pizzicato ist nur ein elegantes Täuschungsmanöver. Schon beim ersten Bogeneinsatz wird klar, dass sie hier die Führung übernimmt und der Pianist sich in die Rolle des aufmerksamen Begleiters zu fügen hat.
    Zartes Schnurren, Gurren und Surren
    Der Komponist Hiller hat es so gewollt: Das Cello ist der Star. In diesem Fall ist es die Kopie eines Modells von Giuseppe Guarneri aus der Werkstatt des deutschen Geigenbauers Urs Mächler. Den Kosenamen ›can[n]one‹ – so nannte einst Niccolò Paganini seine Lieblingsgeige – trägt dieses Instrument zu Recht. Und die Cellistin Joanna Sachryn ist eine überaus versierte Kanonierin, die der ›eingebauten‹ Durchschlagskraft noch ein beeindruckendes Arsenal an Ausdrucksqualitäten hinzuzufügen weiß, vom zarten Schnurren, Gurren und Surren bis zum wilden Wiehern. Ferdinand Hillers zweite Sonate für Violoncello liefert dafür das rechte Notenfutter.
    Musik: Hiller, Sonate a-Moll
    Ferdinand von Hiller – 1875 wurde er in den persönlichen Adelsstand erhoben – war ein Großer seiner Zeit. Groß als Pianist, größer noch als Musik-Organisator, bedeutend als Lehrer und weithin berühmt als Leiter der Kölner Gürzenich-Konzerte, hat er ein reiches Œuvre hinterlassen, das sämtliche Musik-Gattungen umfasst. Doch schon bald nach seinem Tod erging es ihm wie den meisten jüdischstämmigen Komponisten, über deren Namen und Vermächtnis sich schon vor der organisierten Auslöschung durch die Aufführungsverbote der Nazi-Zeit ein Schleier des Vergessens legte. Auch daran erinnert ›Forgotten Treasures‹, der Titel dieser CD.
    Musik: Hiller, Sonate a-Moll
    Nach einer geheimnisvoll leuchtenden Des-Dur-Episode kehrt der Kopfsatz in seine Ausgangstonart a-Moll zurück. Charakteristisch und für den weiteren Verlauf bis zum Schluss bestimmend bleibt ein grollendes Tremolieren in der Bassregion, wobei auch hier das Cello seine Stärken gegenüber dem konstruktionsbedingt weniger wandelbaren Klavier ausspielt.
    Musik: Hiller, Sonate a-Moll
    Das Cello behält die Oberhand, aber in den Folgesätzen kommt auch Paul Rivinius, der Pianist, zu seinem Recht, ohne freilich der Versuchung zu erliegen, sich auf Kosten seiner Partnerin zu profilieren. Passionierte Kammermusiker, die sie sind, legen beide im Allegro-Schlusssatz die Betonung eher auf den Zusatz ›affettuoso‹ als auf das ›vivace‹ und feiern mit fast zärtlicher Hingabe ihre Entdeckung dieses feinen Fundstücks hochromantischer Kammermusik. Der Einsatz hat sich gelohnt!
    Musik: Hiller, Sonate a-Moll Anfangstakte 4. Satz, Allegro affettuoso, ma vivace
    Die zweite Entdeckung auf dieser CD ist eine Sonate des rund vierzig Jahre jüngeren Anton Urspruch, der im Gegensatz zu Hiller zwar kein Komponist der ersten Reihe war, aber keineswegs unbedeutend, schon aufgrund seiner Position am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main. Urspruch, vormals Schüler von Franz Liszt, unterrichtete dort Komposition und Klavier, Seite an Seite mit berühmten Kollegen wie dem Cellisten Bernhard Cossmann und der noch weitaus berühmteren Pianistin Clara Schumann. Die Cellosonate ist ihr – damals schon eine alte Frau – gewidmet. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte sie das a-Moll- Klavierkonzert ihres Mannes Robert Schumann aus der Taufe gehoben, ein Triumph, an dem auch Ferdinand Hiller als Widmungsträger und Uraufführungsdirigent beteiligt war.
    Lohnender Einsatz
    Eine Verbindung zwischen Hiller und Urspruch wiederum besteht darin, dass beide aus Frankfurt stammen und zeitweilig denselben Verleger hatten, nämlich Urspruchs Schwiegervater Alwin August Cranz. Schon damals war die Welt ein Dorf. Aber der Mittelpunkt, soweit es die Musik betrifft, war Wien und der oberste Dorfheilige Johannes Brahms. Auch Urspruch blickte zu ihm auf. Man hört es sogleich ...
    Musik: Anton Urspruch, Sonate D-Dur
    So sehr die fallenden Linien und der verwickelte Klaviersatz an Brahms gemahnen, wäre es doch falsch, Urspruch als Epigonen abzustempeln. Der formale Aufbau seiner Sonate mit zweigeteiltem Adagio-Schlusssatz ist bemerkenswert ›unakademisch‹, meidet allerdings nicht die Gefahr der Aneinanderreihung etwas kurzatmiger Episoden. Zum Glück finden die beiden Musiker dieser neuen CD, Joanna Sachryn und Paul Rivinius, für die mitunter prekären Übergänge stets die passende gestalterische Lösung. Bei einer Festveranstaltung anlässlich seines 150. Geburtstags haben sie die Urspruch-Sonate schon vor zwanzig Jahren erstmals aufgeführt und bringen nun all ihre Erfahrung in die Ersteinspielung ein – was diese CD in doppelter Hinsicht zur Referenzaufnahme macht. Hier ein Ausschnitt aus dem toccatenhaft bewegten Mittelsatz.
    Musik: Anton Urspruch, Sonate D-Dur, aus 2. Satz
    Anleihen bei älterer Musik ebenso wie Konzessionen an den Salon-Geschmack sind nicht nur hier bei Anton Urspruch zu hören, sie waren auch Ferdinand Hiller alles andere als fremd. Seine dreiteilige Serenade für Violoncello und Klavier, ebenfalls auf dieser CD zu finden, ist eine verkappte Sonate mit einem Menuett als Zwischensatz. Es ist so recht das, was man in Wien ein Schmankerl oder Gustostückerl nennen würde, und wird von Joanna Sachryn und Paul Rivinius entsprechend – aber mit nicht zu viel Schlagobers – serviert.
    Musik: Ferdinand Hiller, Serenade, Ausschnitt 2. Satz
    Die Serenade für Violoncello und Klavier, op. 129 erscheint als Dreingabe zur Ersteinspielung der a-Moll-Sonate, op. 172 von Ferdinand Hiller zusammen mit der D-Dur-Sonate op. 29 von Anton Urspruch beim Label Kaleidos in Co-Produktion mit dem Hessischen Rundfunk. Dahingestellt, ob man die als ›Forgotten Treasures‹ annoncierten Stücke als wirkliche Schätze oder eher als Perlen des Salons betrachtet, das Repertoire bereichern sie auf jeden Fall.
    Frischer Schwung und überlegene Reife
    Mit gleichermaßen sicherer und leichter Hand setzen Joanna Sachryn und Paul Rivinius fast schon Vergessenes erneut in Szene. Da paaren sich frischer Schwung und überlegene Reife. Wie in diesem kleinen Menuett. Auch im Internet unter deutschlandfunk.de und in unserer Dlf-Audiothek-App können sie diese Sendung hören. Damit verabschiedet sich am Mikrofon und dankt fürs Zuhören Johannes Jansen.
    "Forgotten Treasures" – Werke für Violoncello und Klavier
    von Ferdinand Hiller und Anton Urspruch
    Joanna Sachryn (Violoncello) und Paul Rivinius (Klavier)
    Kaleidos 6348-2 (LC 15981) EAN: 4260164634824