Archiv


Kammermusik von Ludwig Thuille

Kammermusikwerke des österreichischen Komponisten Ludwig Thuille stehen nur selten auf den Konzertspielplänen, denn Thuille bevorzugte ungewöhnliche Instrumentenkombinationen wie Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn mit Klavier. Auf CD ist das natürlich kein Problem.

Von Uwe Friedrich |
    Auch die größten Kammermusikfachleute können durchs Leben gehen, ohne jemals ein Werk von Ludwig Thuille gehört zu haben. Hätte er wenigstens dieselben Instrumente verwendet wie Beethoven in seinem Septett oder Schubert in seinem Oktett, dann wäre Thuilles Sextett für Klavier und Bläserquintett sicher in Kombination mit diesen Standardwerken öfter zu hören. Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier muss ein Kammermusikveranstalter hingegen erst mal zusammen bekommen. Umso erfreulicher, dass das britische Label Champs Hill Records nun eine Doppel-CD vorgelegt hat, auf der das Falk Quartet und der Pianist Tomer Lev sowie das Londoner Conchord Ensemble vier zentrale Kammermusikwerke Ludwig Thuilles zu Gehör bringen. Diese Aufnahmen möchte ich Ihnen heute empfehlen, am Mikrofon begrüßt Sie Uwe Friedrich.

    Sextett für Klavier und Bläserquintett, 1. Satz: Allegro moderato
    (CD 1, Track 1, Dauer: 0'14)


    Wie bei seinem Studienfreund Richard Strauss spielt auch im Schaffen Ludwig Thuilles das Horn eine entscheidende Rolle. Mit dem Klavier zusammen beginnt das Horn die beiden ersten Sätze des Sextetts aus dem Jahr 1889. Im weiteren Verlauf setzt Thuille das Fagott quasi als zweites Horn ein, während er dem Pianisten virtuose Fähigkeiten abverlangt, die beinahe an die Anforderungen eines Klavierkonzerts heranreichen. All das bereitet dem London Conchord Ensemble nicht die geringste Mühe.

    Sextett für Klavier und Bläserquintett, erster Satz: Allegro moderato
    (CD 1, Track 1, Dauer: 2'14)


    Ludwig Thuille schrieb Opern von Wagnerschen Ausmaßen mit so schönen Titeln wie "Theuerdank", "Lobetanz" oder "Gugeline", um die heute selbst Raritätenjäger einen weiten Bogen machen, sowie einige Chorkantaten wie "Fridolin" oder "Traumsommernacht", die ebenfalls seit Menschengedenken nicht mehr aufgeführt wurden. Ein typisch wilhelminischer Großkomponist, so könnte man meinen, über den die Musikgeschichte durch Missachtung ihr Urteil gesprochen hat. Aber da ist noch Thuilles grandiose Kammermusik, die sich durch einen Einfallsreichtum, Esprit und Charme auszeichnet, wie sie in der weitgehend schwermütigen deutschen Romantik nur selten anzutreffen sind. Da Ludwig gelegentlich auch als Louis Thuille in Lexika geführt wird, könnte man vermuten, französische Traditionen brächen sich Bahn, aber das stimmt nicht.

    Ludwig Thuille wurde 1861 als Sohn eines Holzhändlers in Bozen geboren, das damals zu Österreich gehörte, und stand in seinen frühen Jahren stark unter dem Einfluss der Wiener Klassik, die er nachahmte. Das änderte sich erst, als der einflussreiche Kompositionslehrer Alexander Ritter ihn und seinen Studienfreund Richard Strauss mit den reichen Orchesterfarben der damaligen Avantgarde bekannt machte. Während Richard Strauss und die meisten anderen Vertreter der Münchner Schule sich jedoch kaum mit Kammermusik beschäftigten, hatte Thuille schon mit seinem frühen Sextett großen Erfolg. Das Londoner Conchord Ensemble spielt das knapp halbstündige Werk mit großem Gespür für die Klangbalance zwischen den Bläsern und Julian Mitford liefert am Klavier die rhythmischen Eckpunkte, ohne die Bläsermusik gerne mal einen etwas behäbigen Serenadenton haben kann. Auch das abschließende Vivace des Sextetts spielen die Musiker ohne den Hauch eines technischen Problems, mit größter Präzision und wie mit einem einzigen, gemeinsamen Atem.

    Sextett für Klavier und Bläserquintett, 4. Satz: Finale: Vivace
    (CD 1, Track 4, Dauer: 1'53)


    Bereits in seinem Gründungsjahr 2002 trat das Conchord Ensemble in der berühmten Londoner Wigmore Hall auf, danach folgten die bekanntesten Festivals, die wichtigsten Konzertsäle und viele Aufnahmen, darunter das gesamte Kammermusikwerk von Francis Poulenc. Die Ironie Poulencs auch bei Thuille finden zu wollen, wäre vergebene Liebesmüh. Dass es aber auch in München um 1900 eine Belle Epoque und eine lebensbejahende Fin-de-Siècle-Spielart gab, machen die Geigerin Maya Koch, der Bratscher Douglas Paterson und der Pianist Julian Mitford im Klaviertrio Es-dur deutlich. Sowohl im harmonischen als auch im kompositionstechnischen Aufbau ist dieses Trio weitaus konventioneller als das Sextett. Doch schon im ersten Satz fällt auf, dass Thuille wiederum zwei Instrumente, diesmal die beiden Streicher, in der Sonatenhauptsatzform gegen einen Opponenten, das Klavier antreten lässt. Dem Pianisten mutet er zwar nicht ganz so viel zu wie im Sextett, aber auch hier muss der musikalische Gedankenaustausch zwischen den Instrumenten mit größter Präzision gestaltet werden.

    Klaviertrio, 1. Satz: Allegro moderato (CD 1, Track 5, Dauer: 2'10)

    Auf der zweiten CD mit Kammermusik von Ludwig Thuille findet sich sein Hauptwerk, das Es-dur-Klavierquintett op. 20 aus dem Jahr 1901. Schon allein durch seine Länge von fast einer Dreiviertelstunde meldet es den Anspruch an, eines der ambitioniertesten Kammermusikwerke der Generation nach Johannes Brahms zu sein. Die gewagte Chromatik und die symphonische Anlage verweisen auf Wagners Einfluss, doch Thuille entwickelt auch hier einen durchaus abenteuerlustigen, eigenen Ton, dem sich das Falk Quartet und der Pianist Tomer Lev geradezu ekstatisch hingeben.

    Klavierquintett Es-dur op. 20, 1. Satz: Allegro con brio
    (CD 2, Track 1, Dauer: 1'50)


    Eine ausgedehnte Walzerpassage im ersten Satz des Es-dur-Klavierquintett erinnert an Richard Strauss, der seinem Freund Ludwig Thuille übrigens die Symphonische Dichtung "Don Juan" widmete und anlässlich seiner "Sinfonia Domestica" sagte, Thuille beherrsche den Kontrapunkt deutlich besser als er. Auch hier zeigt sich Ludwig Thuilles konservativer Zug, der ihn trotz vieler harmonischer Kühnheiten vor Experimenten zurückschrecken ließ, wie sie Max Reger zur gleichen Zeit wagte. In einer vor allem auf Fortschritt und Weiterentwicklung konzentrierten Musikgeschichtsschreibung spielt Thuille kaum eine Rolle. Er wollte weder die tradierten Formen sprengen, noch vertrat er radikale gesellschaftspolitische Thesen, die durch seine Musik hätten befeuert werden sollen. Nach seinem frühen Tod im Jahr 1907 galt er schnell als verspäteter Romantiker, und das war durchaus als Schimpfwort gemeint. Unbestritten blieb allein seine Bedeutung als Verfasser einer Harmonielehre, die auch international als Standardwerk anerkannt wurde, sowie als Kompositionslehrer, der einen starken Einfluss auf seine Schüler ausübte. Zu ihnen zählten unter anderem Ernest Bloch, Walter Braunfels oder Hermann Abendroth. Glücklicherweise verliert der Fortschrittsgedanke in der Musikwissenschaft immer mehr an Einfluss, erfahren nun auch jene Komponisten wieder Beachtung, die um 1900 einen eigenen Ton finden wollten, ohne gleich das ganze Kompositionssystem über den Haufen zu werfen. Komponisten wie Ludwig Thuille mit seinem frühen g-moll-Klavierquintett, das ebenfalls vom Falk Quartet und dem Pianisten Tomer Lev gespielt wird.

    Klavierquintett g-moll, 4. Satz: Allegro e risoluto
    (CD 2, Track 4, Dauer: 3'51)


    Das Falk Quartet und der Pianist Tomer Lev spielten den vierten Satz des Klavierquintetts g-moll von Ludwig Thuille, einem Komponisten der Zeit, in der München leuchtete. Diese Aufnahme findet sich auf der Doppel-CD mit Kammermusikwerken, darunter auch das Bläsersextett, gespielt vom London Conchord Ensemble. Diese Box ist beim britischen Label Champs Hill Records erschienen. Mit dieser Empfehlung verabschiedet sich Uwe Friedrich.

    Ludwig Thuille: Sextett für Klavier und Bläserquintett B-dur, Klaviertrio Es-dur
    London Conchord Ensemble
    LC 24055: Champs Hill Records CHRCD001

    Ludwig Thuille: Klavierquintette B-dur und Es-dur
    Falk Quartet und Tomer Lev
    LC 24055: CHRCD002