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Kampf gegen IS-Miliz
"Es gibt keine Patentlösung"

"Stoppt den Islamischen Staat!", fordert Navid Kermani. Aktuell erkenne er zwar einen Konsens, aber nicht den Willen, die IS-Gruppe zu bekämpfen, sagte der Schriftsteller im DLF. Deutschland könne sich seine Zurückhaltung "nur leisten, weil andere sie nicht haben".

Navid Kermani im Gespräch mit Sandra Schulz | 15.08.2014
    Der Autor Navid Kermani liest am 13.03.2014 in Köln im Rahmen des internationalen Literaturfestival lit.cologne.
    Der deutsch-iranische Autor Navid Kermani. (picture alliance/dpa/Horst Galuschka)
    Die Welt hätte zugelassen, dass sich das "Monster" Islamischer Staat entwickeln konnte, sagte der deutsch-iranische Autor im Deutschlandfunk. Diese Entwicklung müsse nun rückgängig gemacht werden, dazu müsse die Weltgemeinschaft "endlich gemeinsam handeln", auch Europa sei von der Entwicklung betroffen. Die Kurden im Nord-Irak müssten mit Waffen versorgt werden, damit sie ihren Kampf gegen die Dschihadisten erfolgreich fortsetzen könnten.
    Kermani erinnerte an das Beispiel Syrien. Hier habe man - aus Angst, das Falsche zu tun - die Lage immer weiter eskalieren lassen. Als gutes Zeichen wertete der Schriftsteller, dass die USA und der Iran mit ihrer Unterstützung für den designierten irakischen MinisterpräsidentenHaidar al-Abadi wieder an einem Strang zögen. Damit wachse die Chance, auch die Sunniten einzubinden.

    Sandra Schulz: Schönen guten Morgen!
    Navid Kermani: Guten Morgen!
    Schulz: Dass die Milizen von IS gestoppt werden sollen, diese Forderung ist wahrscheinlich hierzulande mehrheitsfähig – aber wie soll das gehen?
    Kermani: Na ja, in dem Artikel habe ich ja selbst, der heute erschienen ist, dass es keine einfache Lösung gibt, nur, dass man sich klarmachen muss, dass es nicht damit getan sein kann, die Flüchtlinge jetzt aus der akuten Not zu retten, also die Tausend, um die es noch geht, sondern natürlich auch sich nicht damit abfinden kann, dass da ein Terrorstaat womöglich von den Grenzen Irans bis wahrscheinlich demnächst bis ans Mittelmeer, also von der Größe der Bundesrepublik, einfach da jetzt existiert. Dass man hier einem solchen Gebilde, das ethnische Säuberungen betreibt, dass einen Genozid versucht, dass die eigene Bevölkerung brutal tyrannisiert, wie man weiß. Dass sich ein solcher Staat etablieren kann. Und ich glaube, da muss die Weltgemeinschaft, da müssen vor allem auch die Nachbarn endlich gemeinsam handeln, um auch langfristig oder mittelfristig jedenfalls diese Entwicklung auch wieder rückgängig zu machen.
    Schulz: Was sollen die Nachbarn machen und wer sagt es ihnen?
    Kermani: Wie gesagt, ich bin Schriftsteller, ich kann Ihnen das noch mal sagen, ich möchte jetzt nicht einen [unverständlich] abgeben. Danach muss erst mal gesucht werden. Nur im Augenblick, bis jetzt ist es ja so, dass der islamische Staat nicht etwa nur nicht gestoppt worden ist, sondern dessen Ausbreitung aktiv gefördert worden ist von verschiedenen Beteiligten.
    Die Iraner mit ihrer wirklich dummen und brutalen proschiitischen Politik im Iran, die natürlich die Sunniten ins Lager der Extremisten getrieben hat. Die Amerikaner mit diesem Irakkrieg und ihrem vorzeitigen Abmarsch, vor allem aber auch der Westen insgesamt, der zugelassen hat, dass sein eigener Verbündeter, nämlich die Saudi-Arabis, Saudi-Arabien und Katar ... Das sind die engsten Verbündeten des Westens in dieser Region. Da gibt es eine enge strategische Partnerschaft. Es waren diese Staaten, die die Dschihadisten aufgerüstet haben, die Milliarden bezahlt haben.
    Vielleicht nicht die Staaten selbst, aber jedenfalls sehr aktive Förderer, die das auf offenen Wegen gemacht haben. Das heißt, die Welt hat es zugelassen, dass sich dieses Monster überhaupt entwickeln konnte. Und wenn jetzt ... Jetzt muss diese Entwicklung immer weiter rückgängig gemacht werden, denn jetzt ist klar, dass dieses Monster sämtliche Nachbarn in der Region aber auch Europa wirklich auch akut bedroht.
    Schulz: Diese militärische Stärke, diese schiere Zahl von Waffen, die in den Händen des IS sind, die machen die Gruppe natürlich mächtig – aber noch mehr darüber hinaus?
    Über Navid Kermani
    Geboren 1967 in Siegen, Nordrhein-Westfalen. Der Autor studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn, promovierte in Bonn 1998 in den Islamwissenschaften. Seine Habilitation in der Orientalistik schloss er 2006 ab. Er verfasste als Autor zahlreiche Sach- und literarische Bücher und erhielt dafür zahlreiche Auszeichnungen.
    Kermani: Na ja, es ist natürlich die Lage im Irak. Also wenn ... und im Syrien vor allem auch. Wenn Sie ein wirklich brutales Regime wie im Syrien haben, das nicht gestoppt wird, dessen säkulare Opposition von der Welt allein gelassen wird, die ja lange Zeit friedlich protestiert hat, die lange Zeit ... Auch die Freie Armee in Syrien war ja ... ist eine säkular ausgerichtete Armee. Die sind allein gelassen worden, während die Dschihadisten, die vielfach vom Ausland kamen, hochgerüstet wurden, jedenfalls unter Billigung des Westens. Muss man ja fragen: Also Saudi-Arabien ist ja nicht irgendein [unverständlich]staat, sondern das sind Staaten, mit denen der Westen enge Kontakte hat. Und diese Gemengelage – auf der einen Seite eine russisch-iranische Unterstützung eines wirklich schlimmen Diktators, der einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Auf der anderen Seite eine extremistische, sunnitische Position, die allein die Gotteskrieger finanziert, unterstützt, während man die säkularen und die demokratischen Gruppen alleine lässt.
    Der Westen, der all dies geschehen lässt. Das hat zu dieser Eskalation geführt im Süden und zum Starkwerden des islamischen Staates; zugleich im Irak – das erwähnte ich ja bereits – eine iranische, eine amerikanische Politik des Davonschleichens oder Davonfliehens, weil man diesen Krieg irgendwie nicht mehr beherrschen konnte und den Einsatz vorzeitig beendet hat, diesen von vornherein natürlich falschen Einsatz. Nur wenn man schon mal drin ist, muss man da auch geordnet abziehen. Und zugleich Iran, das unter Ahmadinedschad, also vor dem Präsidenten, eine Politik im Irak betrieben hat, die natürlich für die Sunniten katastrophal war.
    Das war auch eine fanatische schiitische Politik. Da müssen sich alle Beteiligten klar sein, dass hier, statt gegeneinander ein great game sozusagen, das frühen 21. Jahrhundert zu führen mit ... einen Stellvertreterkrieg, das hier de Punkt gekommen ist, sich an den Tisch zu setzen und zu schauen, dass ... denn der islamische Staat schadet allen Beteiligten. Er ist nicht mehr unter Kontrolle zu bringen. Auch die Saudis müssen sich heute fürchten, denn natürlich werden sich die Extremisten nicht damit abfinden, dass dort ein pro-amerikanisches, ziemlich korruptes Regime herrscht. Die Iraner können nicht zufrieden sein, die Amerikaner schon gar nicht. Und Europa, das ganz nah dran ist am Irak, kann diese Entwicklung schon gar nicht tatenlos sehen, denn diese Entwicklung wird Europa betreffen.
    Schulz: Ja, aber jetzt beraten ja die europäischen Außenminister zum Beispiel konkret heute, die USA seit einer Woche darüber, wie der IS zurückgeschlagen werden kann. Und neben den Luftschlägen, die die USA seit der vergangenen Woche machen und den Waffenlieferungen an die Kurden diskutiert jetzt auch Europa, was geht, was konsensfähig ist. Frankreich hat Waffenlieferungen schon angekündigt, Deutschland ringt noch um seine Haltung. Wie riskant ist das denn?
    Kermani: Na ja, ich finde es zunächst mal sehr, sehr gut. Also die Anzeichen der letzten Tage sind ja schon mal positiv. Der UN-Sicherheitsrat hat endlich auch die Menschenrechtsverletzungen des islamischen Staates angeprangert. Iran und USA ziehen endlich, nachdem sie über so viele Jahre den Konflikt haben eskalieren lassen, sie scheinen endlich mal an einem Strang zu ziehen, indem sie gemeinsam einen Politiker im Irak unterstützt haben, den neuen Ministerpräsidenten, der offenbar auch andere Konfessionen, Ethnien in die Regierung einbinden will. Das ist schon mal ein sehr positiver Schritt. Auch liefern sowohl Teheran als auch Washington gemeinsam Waffen an die Kurden. Also hier scheinen sich endlich alte Fronten aufzulösen, geboren aus der Not.
    Schulz: Ja, aber sagen Sie uns noch, ... kurze Zwischenfrage: ...
    Kermani: Nur – wenn ich diesen Satz noch zu Ende sagen darf – was ich nicht sehe. Und deshalb habe ich versucht, in diese Debatte auch einzugreifen mit meinen geringen Mitteln. Was ich nicht sehe, ist: Es gibt einen Konsens darüber, dass man diesen Vormarsch des islamischen Staates verhindern muss, aber ich sehe nirgends in der Debatte, auch nicht in der politischen Debatte, einen Willen, diesen islamischen Staat auch zu bekämpfen, also quasi auch ein eine Millionenstadt wie Mossul, ...
    Schulz: Herr Kermani, das wird jetzt ein sehr langer Satz.
    Kermani: ... die lebt im Augenblick und der Terror herrscht des islamischen Staates.
    Schulz: Lassen Sie mich die Zwischenfrage noch stellen: Sie haben gerade, wenn ich es richtig verstanden habe, die Waffenlieferungen auch als einen richtigen Schritt bezeichnet. Nach dem, was Sie uns eben vor drei Minuten gesagt haben – hatten Sie denn den Eindruck, dass es bisher zu wenig Waffen in der Region gibt?
    Kermani: Nein, ich ... Erst mal: Wenn die Kurden jetzt nicht ausgerüstet worden wären, unterstützt worden von Luftanschlägen, dann hätte es einen Genozid offenkundig gegeben an den Jesiden und womöglich auch an Christen. Das heißt, Deutschland kann sich seine Zurückhaltung, die historisch natürlich sehr, sehr gut begründet ist, auch nur deshalb leisten, weil andere diese Zurückhaltung nicht haben. Also der Vergleich von Herrn Röttgen der Kurden mit den Taliban, die übrigens nicht gegen die Sowjetunion gekämpft haben, wie Röttgen sagt, sondern gegen die Mudschahedin gekämpft haben – die Taliban kam ja viel später, das müsste Herr Röttgen eigentlich wissen –, der Vergleich der Taliban mit den Kurden, den finde ich schon sehr, sehr bizarr. Die Kurden halten den Kopf hin, um die Christen, Jesiden und die anderen Minderheiten zu schützen gegen einen wirklich faschistoiden Gegner, während die Taliban selbst faschistoid waren und vom Westen unterstützt waren.
    Die Kurden sind ganz andere Partner, als es die Taliban je gewesen waren. Und ich halte es für richtig, die Kurden insofern in die Lage zu versetzen, den Fall der eigenen Städte, die jetzt Zufluchtsstätten der Minderheiten geworden sind, zu Zufluchtsstätten der Christen, Zufluchtsstätten der Turkmenen, der Jesiden und anderer, dass man diese in die Lage versetzt, dass sie sich verteidigen gegen diese Angriffe, denn sonst wäre Erbil womöglich heute schon gefallen.
    Schulz: Ja, aber ich frage mal zurück – so habe ich Norbert Röttgen eben auch verstanden: Sind Sie denn sicher, dass die Kurden die Waffen, die sie jetzt bekommen, sozusagen im westlichen Sinne immer für einen guten Zweck auch werden einsetzen wollen?
    Kermani: Nein, ich bin überhaupt nicht sicher. Und wie ich am Anfang des Gespräches ja auch sagte: Ich kann Ihnen keine Patentlösung geben. Die Lage ist derart verworren und auch derart katastrophal, dass es einen guten Weg, einen patenten Weg, einen Weg, bei dem man sich nicht schmutzig macht, einfach nicht mehr gibt. Man kann unter vielen schlechten Lösungen jetzt nur die am wenigsten schlechte Lösung suchen. Ich bin wirklich niemand, der sich an sich für Waffenlieferungen ausspricht. Aber die Lage ist nicht so, dass wir uns jetzt eine Konferenz einberufen können und da unter Beteiligung aller einen Weg suchen, wie wir ... Denn dann passiert genau das, was in Syrien passiert ist: In Syrien war man ... Weil man Angst hatte, was Falsches zu tun, hat man es zugelassen, dass die Lage immer, immer weiter schlechter wurde, bis wir diese heutige Katastrophe haben.
    Schulz: Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!
    Kermani: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.