Bolz: Für einen Wissenschaftler ist natürlich Trost überhaupt keine sinnvolle Auskunft, sondern nur Analyse kann uns weiterführen. Aber nun besteht die Welt nicht nur aus Wissenschaftlern, und die meisten Menschen leben eben in der Situation, dass sie einerseits konfrontiert sind mit einer Fülle von Lebensangeboten, von Waren und Informationen, Optionen und Chancen, aber andererseits auch das Problem der Auswahl und der Sinnstiftung haben. Früher wurde ihnen das Problem von irgendwelchen Agenturen und Institutionen abgenommen: Kirche, Staat, Ideologie. Die haben abgewirtschaftet und nun, erstmals in der Kulturgeschichte, liegt diese Last, den Sinn des eigenen Lebens zu stiften, auf den Schultern jeden Einzelnen. Und dadurch ist der normale Mensch prinzipiell überfordert und sucht jetzt Hilfe und Trost. Und da ist die Adresse Philosophie sicher nicht die schlechteste.
Novy: Er sucht aber doch wohl eher Trost bei den Therapeuten, den Sinnstiftern der Jetztzeit, die ihm schnelle Abhilfe versprechen: Sorge dich nicht, lebe!
Bolz: Das ist absolut richtig, Therapeuten haben natürlich immer Konjunktur, wenn es Orientierungskrisen und -schwierigkeiten gibt. Aber die Menschen machen, glaube ich, zunehmend schlechte Erfahrungen mit diesen therapeutischen Angeboten. Das sind doch zumeist Gurus, kaum jemand nimmt die Last und schwere Arbeit einer klassischen Psychoanalyse noch auf sich. Man will das sofort funktionierende Rezept zur Rettung des eigenen Lebens und macht dann natürlich vorprogrammierte Enttäuschungen. Insofern ist das Angebot der Philosophie schon etwas interessanter und tiefgehender, allerdings auch anspruchsvoller, denn es hilft nichts, am Ende muss man irgendetwas lesen, und das ist ein bisschen mit Arbeit verbunden.
Novy: Sie sagten Last und schwere Arbeit, nun gibt es neuerdings ein Buch und gleichzeitig ein Hörbuch des jungen Philosophen Alain De Botton, es nennt sich "Trost der Philosophie", also nach einem klassischen Titel und hört sich an, als sei das doch alles die billige Lebenshilfe, die man auch aus der spirituellen oder therapeutischen Szene kennt. Zum Beispiel bei Geldmangel verordnet uns der Autor ein wenig Epikur, bei Unvollkommenheit oder gebrochenem Herzen Schopenhauer oder ganz generell bei Schwierigkeiten Nietzsche. Ist das der Trost der Philosophie?
Bolz: Natürlich ist es sehr leicht, sich darüber lustig zu machen und entsprechende Scharlatanerie im Durchforsten der Philosophiegeschichte, um daraus irgendwelche Rezepte der Lebenshilfe zu gewinnen, gab es schon, so lange es eigentlich Philosophie gibt. Trotzdem muss man überlegen, in welche Konkurrenz sich solche Angebote eigentlich stellen, und angesichts der Konkurrenz irgendwelcher Gurus, Urschrei oder Transzendentaler Meditation scheint es mit nicht das Dümmste zu sein, wenn man dazu verleitet wird, vielleicht mal Schopenhauer oder Nietzsche zu lesen. Mit Philosophie hat das natürlich noch gar nichts zu tun, aber wenn einige Menschen, die sehr fern von der Philosophie leben, auf diese Art und Weise mal Kontakt mit dieser Form, Leben zu bewältigen oder Welt zu denken, bekommen, ist das doch gut.
Novy: Es war die Spätantike, die sich besonders auf die Philosophie als Trost konzentriert hat. Wie kommt das?
Bolz: Das hängt natürlich mit der großen Orientierungslosigkeit untergehender Weltreiche zusammen. Wenn man sich an der Tradition nicht mehr orientieren kann, wird man auf das eigene Leben zurückgeworfen.
Novy: Kann man also gewisse Parallelen sehen?
Bolz: Das hat man schon immer getan. Sie wissen ja, dass der große Oswald Spengler diese Parallele prinzipiell gezogen hat zwischen unserer modernen Gegenwart und der Spätantike und vieles von der Erfahrung, die er damals getroffen hat, empfindet man auch heute noch als aktuell. Dass wir am Ende einer Epoche stehen und in der Tat ist es heute wieder so, dass viele Menschen auf sich selbst, ihr eigenes Leben, ihren eigenen Körper zurückgeworfen werden und das kann man von der Spätantike sehr gut lernen, wie man daraus eine tatsächlich tröstende Lebensphilosophie gewinnen kann. Also Orientierung am eigenen Ich, man ist Individuum und Kosmopolit in einem und das heißt eben auch negativ man ist nicht mehr Staatsbürger, gehört nicht einer Nation an, ist nicht territorial fixiert, sondern lebt als Weltkind und radikaler Einzelner. Das ist eigentlich das Bild, das die Spätantike und als philosophischen Trost vorgegeben hat und das ist heute wieder sehr aktuell. Wir sind vielfach Bürger einer Weltgesellschaft, Nation spielt kaum mehr eine Rolle und gleichzeitig sind wir radikale Individualisten. Es gibt tatsächlich eine Parallele zur Spätantike.
Novy: Nun bedeutet natürlich Trost nicht unbedingt Erlösungseffekte. Was heißt denn das eigentlich nun, was die Philosophie uns bringen kann, ist es das Sich-Abfinden oder Besser-Zurechtkommen mit den Verhältnissen oder das riskante kommunikative Vorwärtsdenken, also die Anstrengung, die Sie eben erwähnten? Wenn es nämlich nicht so wäre, wäre sie ja auch nur eine unter vielen Optionen.
Bolz: Philosophie unterscheidet sich von Religion ganz wesentlich dadurch, dass sie nicht Erlösung in einem Jenseits verspricht, sondern dass der konkrete Trost im Akt des Denkens selber liegt. Gottfried Benn hat dafür die schönste Formel, die ich kenne, gefunden, als er vom Gegenglück Geist gesprochen hat. Wir kennen zwar nicht den Weg zum Glück auf Erden und werden in dieser Suche immer wieder enttäuscht, aber es gibt ein Gegenglück, ein Pendant in der Welt des Geistes und die Philosophie ist der Königsweg dorthin. Wer also diese Anstrengung auf sich nimmt und wenn Sie so wollen spirituell lebt, kriegt etwas, was die Religion immer nur versprochen hat, nämlich das Gefühl der Erlösung oder Befreiung, des freien Durchdenkens der Welt. Ein Leiden, das man versteht, das man denkend durchdringen kann, quält nicht mehr so dumpf und stupide, wie ein Leiden, dessen simples Opfer man ist.
Novy: Da liegt also der Trost der Philosophie in der Arbeit. Das war Norbert Bolz.
Novy: Er sucht aber doch wohl eher Trost bei den Therapeuten, den Sinnstiftern der Jetztzeit, die ihm schnelle Abhilfe versprechen: Sorge dich nicht, lebe!
Bolz: Das ist absolut richtig, Therapeuten haben natürlich immer Konjunktur, wenn es Orientierungskrisen und -schwierigkeiten gibt. Aber die Menschen machen, glaube ich, zunehmend schlechte Erfahrungen mit diesen therapeutischen Angeboten. Das sind doch zumeist Gurus, kaum jemand nimmt die Last und schwere Arbeit einer klassischen Psychoanalyse noch auf sich. Man will das sofort funktionierende Rezept zur Rettung des eigenen Lebens und macht dann natürlich vorprogrammierte Enttäuschungen. Insofern ist das Angebot der Philosophie schon etwas interessanter und tiefgehender, allerdings auch anspruchsvoller, denn es hilft nichts, am Ende muss man irgendetwas lesen, und das ist ein bisschen mit Arbeit verbunden.
Novy: Sie sagten Last und schwere Arbeit, nun gibt es neuerdings ein Buch und gleichzeitig ein Hörbuch des jungen Philosophen Alain De Botton, es nennt sich "Trost der Philosophie", also nach einem klassischen Titel und hört sich an, als sei das doch alles die billige Lebenshilfe, die man auch aus der spirituellen oder therapeutischen Szene kennt. Zum Beispiel bei Geldmangel verordnet uns der Autor ein wenig Epikur, bei Unvollkommenheit oder gebrochenem Herzen Schopenhauer oder ganz generell bei Schwierigkeiten Nietzsche. Ist das der Trost der Philosophie?
Bolz: Natürlich ist es sehr leicht, sich darüber lustig zu machen und entsprechende Scharlatanerie im Durchforsten der Philosophiegeschichte, um daraus irgendwelche Rezepte der Lebenshilfe zu gewinnen, gab es schon, so lange es eigentlich Philosophie gibt. Trotzdem muss man überlegen, in welche Konkurrenz sich solche Angebote eigentlich stellen, und angesichts der Konkurrenz irgendwelcher Gurus, Urschrei oder Transzendentaler Meditation scheint es mit nicht das Dümmste zu sein, wenn man dazu verleitet wird, vielleicht mal Schopenhauer oder Nietzsche zu lesen. Mit Philosophie hat das natürlich noch gar nichts zu tun, aber wenn einige Menschen, die sehr fern von der Philosophie leben, auf diese Art und Weise mal Kontakt mit dieser Form, Leben zu bewältigen oder Welt zu denken, bekommen, ist das doch gut.
Novy: Es war die Spätantike, die sich besonders auf die Philosophie als Trost konzentriert hat. Wie kommt das?
Bolz: Das hängt natürlich mit der großen Orientierungslosigkeit untergehender Weltreiche zusammen. Wenn man sich an der Tradition nicht mehr orientieren kann, wird man auf das eigene Leben zurückgeworfen.
Novy: Kann man also gewisse Parallelen sehen?
Bolz: Das hat man schon immer getan. Sie wissen ja, dass der große Oswald Spengler diese Parallele prinzipiell gezogen hat zwischen unserer modernen Gegenwart und der Spätantike und vieles von der Erfahrung, die er damals getroffen hat, empfindet man auch heute noch als aktuell. Dass wir am Ende einer Epoche stehen und in der Tat ist es heute wieder so, dass viele Menschen auf sich selbst, ihr eigenes Leben, ihren eigenen Körper zurückgeworfen werden und das kann man von der Spätantike sehr gut lernen, wie man daraus eine tatsächlich tröstende Lebensphilosophie gewinnen kann. Also Orientierung am eigenen Ich, man ist Individuum und Kosmopolit in einem und das heißt eben auch negativ man ist nicht mehr Staatsbürger, gehört nicht einer Nation an, ist nicht territorial fixiert, sondern lebt als Weltkind und radikaler Einzelner. Das ist eigentlich das Bild, das die Spätantike und als philosophischen Trost vorgegeben hat und das ist heute wieder sehr aktuell. Wir sind vielfach Bürger einer Weltgesellschaft, Nation spielt kaum mehr eine Rolle und gleichzeitig sind wir radikale Individualisten. Es gibt tatsächlich eine Parallele zur Spätantike.
Novy: Nun bedeutet natürlich Trost nicht unbedingt Erlösungseffekte. Was heißt denn das eigentlich nun, was die Philosophie uns bringen kann, ist es das Sich-Abfinden oder Besser-Zurechtkommen mit den Verhältnissen oder das riskante kommunikative Vorwärtsdenken, also die Anstrengung, die Sie eben erwähnten? Wenn es nämlich nicht so wäre, wäre sie ja auch nur eine unter vielen Optionen.
Bolz: Philosophie unterscheidet sich von Religion ganz wesentlich dadurch, dass sie nicht Erlösung in einem Jenseits verspricht, sondern dass der konkrete Trost im Akt des Denkens selber liegt. Gottfried Benn hat dafür die schönste Formel, die ich kenne, gefunden, als er vom Gegenglück Geist gesprochen hat. Wir kennen zwar nicht den Weg zum Glück auf Erden und werden in dieser Suche immer wieder enttäuscht, aber es gibt ein Gegenglück, ein Pendant in der Welt des Geistes und die Philosophie ist der Königsweg dorthin. Wer also diese Anstrengung auf sich nimmt und wenn Sie so wollen spirituell lebt, kriegt etwas, was die Religion immer nur versprochen hat, nämlich das Gefühl der Erlösung oder Befreiung, des freien Durchdenkens der Welt. Ein Leiden, das man versteht, das man denkend durchdringen kann, quält nicht mehr so dumpf und stupide, wie ein Leiden, dessen simples Opfer man ist.
Novy: Da liegt also der Trost der Philosophie in der Arbeit. Das war Norbert Bolz.