Archiv


Karat und Kippa

Antwerpen ist die zweitgrößte Stadt Belgiens, hat aber ein ganz besonderes Selbstbewusstsein entwickelt. Als Hafen- und Industriestadt und als Welthandelszentrum für Diamanten. Über die Hälfte der Weltproduktion für rohe und geschliffene Diamanten wird hier in Antwerpen gehandelt. Geschätzter Jahresumsatz: 25 Milliarden Euro.

Eine Sendung von Ruth Reichstein |
    Ein junger Diamantenschleifer in Antwerpen über die Leidenschaft für seine Arbeit…

    "Ich finde es faszinierend, und es macht Spaß. Ich arbeite mit dem teuersten Rohstoff der Welt. Das reizt mich. Und meine Freunde bewundern mich. Sie wollen wissen, wie es ist, mit einem so teuren Material zu arbeiten. Das hat schon was!"

    …und die Aktivistin einer Menschenrechtsorganisation über die Schattenseiten des Diamantengeschäfts:

    "Diamanten haben für mich zwei Seiten. Ich finde sie auch schön. Aber hinter dem schönen Glitzern verbirgt sich viel Schreckliches. Ich weiß, dass Blut an den Diamanten klebt. Ich weiß, wie oft Menschenrechte verletzt werden."

    Antwerpen ist die zweitgrößte Stadt Belgiens und würde sich vielleicht auch als ewig Zweite fühlen, wenn sie nicht ein ganz besonderes Selbstbewusstsein entwickelt hätte. Als Hafen- und Industriestadt. Und als Welthandelszentrum für Diamanten: Über die Hälfte der Weltproduktion für rohe und geschliffene Diamanten wird hier in Antwerpen gehandelt. Geschätzter Jahresumsatz: 25 Milliarden Euro, stattliche 7 Prozent des belgischen Nationalprodukts.

    30.000 Menschen sind immer noch im Diamanten-Viertel von Antwerpen beschäftigt – in einem Umfeld, das bis heute jüdisch geprägt ist, jüdisch-orthodox: Nach dem Holocaust, der auch hier einen furchtbaren Blutzoll forderte, beherbergt Antwerpen heute wieder die größte jüdische Gemeinde Europas. Ihre Geschichte reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück: Damals flohen spanische und portugiesische Juden vor der Inquisition nach Antwerpen und brachten das Diamantenhandwerk in die Hafenstadt. Später zogen viele Juden aus Osteuropa nach. Händler. Und Schleifer.


    Ein Diamantenschleifer im jüdischen Viertel

    Er bezeichnet sich als eines der letzten Urgesteine im Diamantenmilieu von Antwerpen: Wolf Ollech heißt er, ist Mitte 50 und sitzt an seinem Schreibtisch wie das Oberhaupt einer sehr großen Familie mit einer sehr langen Geschichte. Ollech ist orthodoxer Jude, trägt die Kippa, die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, auf dem grauen Haupthaar und arbeitet niemals samstags. Der Sabbat ist ihm heilig.

    "Der Mythos der Diamanten verschwindet, wenn sie täglich mit Hunderten von Steinen konfrontiert sind. Ich als Fachmann denke, dass jemand, der täglich mit ihnen arbeitet, ein ganz anderes Gefühl zu den Steinen bekommt als eine Frau, die den Diamant im Schaufenster vom Juwelier sieht. Für uns ist es Gewohnheit."

    Ollechs Credo lautet: Bescheidenheit und Diskretion. Und so wirkt alles ein bisschen gedämpft in diesem Raum: Der Ton, in dem Ollech mit seinen Kunden spricht. Die Farben an den kahlen Wänden. Hier hängen keine Bilder.

    Und es gibt keine Pflanzen in dem kleinen Raum, in dem gerade einmal zwei Schreibtische Platz haben. Nur das Neonlicht fällt grell von der Decke. Darin glitzern die Diamanten, die Ollech von seinen Kunden in Empfang genommen und vor sich auf den Tisch gelegt hat: Die meisten sind farblos, andere leuchten rot oder blau.

    "Ich denke mehr an die Bearbeitung, an den Prozess, der aus dem rohen Stein das Licht herausholt. Du bringst den Stein zum Leben und dann bleibt er für die Ewigkeit. Wenn ich eine Frau sehe und weiß, dass sie einen Stein trägt, den wir hier geschliffen haben und der nach 20 Jahren immer noch so schön ist - das ist ein wunderbares Gefühl."


    Ollech spricht nicht über Geld. Kein Wort zum Beispiel über den Wert des Diamanten, mit dem er auf der Tischplatte spielt, während seine Linke in der Westentasche steckt.

    Ollech sucht nach seinen Worten. Immer wieder beginnt er seine Sätze von neuem, als müsse er sich noch klarer ausdrücken, geschliffener. Vielleicht hat das mit seinem Beruf zu tun. Und mit der Familientradition.

    "Mein Vater war Diamantenfabrikant. Bei ihm habe ich den Beruf gelernt. Er hat mir beigebracht, die Steine zu beurteilen und zu bearbeiten. Und so bin ich schließlich Diamantenschleifer geworden."

    Sein grauer, ungezähmter Bart scheint sich um das ganze Gesicht zu legen. Ollechs Augen sind rot unterlaufen – vom Schnupftabak. Und seinen Bauch versteckt er unter einer schwarzen Weste – passend zur Hose.

    "Ehrlich gesagt fühlte ich mich gar nicht berufen zum Diamantenschleifer. Ich träumte eigentlich davon, Lehrer zu werden. Aber mein Vater hat mir diese Möglichkeit geboten. Und ich muss ehrlich zugeben, dass das am Anfang gegen meinen Willen, gegen meinen Geschmack war. Aber mit den Jahren fühlte ich mich immer mehr davon angezogen."

    Behäbig steht Ollech von seinem Schreibtisch auf und geht hinüber zu einem großen, metallenen Tresor. Das Bücken fällt ihm sichtlich schwer. Aber dann sucht er mit flinken Handbewegungen die richtige Zahlenkombination – dreht die Rädchen von links nach rechts und von rechts nach links. Zieht die schwere Tresortür auf. Und zeigt auf die Rohdiamanten, die ihm die Händler zum Schleifen gebracht haben.

    "Das erste, was der Schleifer tut, ist den Stein zu ‚fensterln’. Wir machen kleine Luken auf, um die Sauberkeit des Steins beurteilen zu können. Dann überlegen wir, welche Form die beste für diesen Stein ist, um den saubersten, den größten und den schwersten Diamant aus dem Rohmaterial zu bekommen. Das geht immer nach den vier Cs – CUT, CARAT, COLOR und CLARITY. Zuerst bestimmt man also die Form. In der Tat ist der runde Stein das populärste Modell. Aber es gibt auch verschiedene andere Formen wie Birnen, Markise, Prinzessin Vierkantmodelle und so weiter."

    In den großen, rauen Händen von Wolf Ollech wirken die winzigen Diamanten noch kleiner. Vorsichtig legt Ollech einen Stein in eine schwarze Apparatur neben seinem Computer. Das ist, erzählt er mit Stolz in der Stimme, eine ganz neue Maschine, eine Laserkamera, die den Stein vermessen und analysieren kann.

    Kurz darauf erscheint auf dem Computerschirm ein Bild des Diamanten – wie ein Passfoto, mit den biometrischen Daten: Der Computer schätzt das Gewicht des Steins und vermisst die Kanten. Über seine Geschichte erzählt der Apparat nichts. Und für Ollech zählt nur die Bearbeitung, nicht die Herkunft des Steins.

    "Mit den Jahren habe ich eine Art von Kommunikation mit den Steinen entwickelt. Natürlich spreche ich nicht mit ihnen. Aber wenn zum Beispiel der Besitzer eines Roh-Diamanten sagt: Ich möchte einen runden Stein daraus machen und ich denke, dass eine Fantasie-Form viel schöner wäre. Dann schaue ich den Stein an und habe das Gefühl, dass er mir sagt: Ich möchte eine Birnen-Form werden. Wir verstehen uns ohne Stimme. In die Augen schauen ist schließlich auch eine Sprache."

    Den Roh-Diamanten verpackt Ollech in ein kleines Papiertütchen, den so genannten Steinbrief. Darauf steht der Name des Kunden und dessen Unterschrift, das Gewicht des Steins und der Preis pro Karat.

    Mit diesem Umschlag geht Ollech in die Schleifwerkstatt, die direkt neben seinem Büro liegt. Lange Werkbänke aus Holz stehen in zwei Reihen hintereinander. Die meisten Arbeitsplätze sind leer. Aber vor einer Schleifscheibe sitzt ein grauhaariger Arbeiter: François, ein Flame. Er beugt sich über einen herzförmigen Diamanten.

    Mit zusammengekniffenen Augen fixiert er durch eine Lupe den kostbaren Stein, um nach jedem Schliff die kleinsten Veränderungen zu begutachten. Er presst das Stück mit einer Zange vorsichtig auf die Schleifscheibe, setzt wieder ab, schaut durch die Lupe, schleift kurz, stoppt. Prüft erneut.
    Wolf Ollech legt seinem Mitarbeiter eine Hand auf die Schulter.

    François sei einer seiner treuesten Mitarbeiter. Schon seit 1989 arbeitet er in der Schleiferei. Links neben der Drehscheibe baumelt ein Schlüsselanhänger am Regal, mit einem Foto von einem kleinen Jungen: sein Enkel, sagt Francois knapp. Er ist wortkarg. Er spricht nicht gerne bei der Arbeit, sagt er. Da schweigt er lieber.

    Aber dann spricht er doch: Es sei viel schwieriger geworden, Arbeit zu finden, meint er. Früher sei es ein leichtes gewesen, den Arbeitsplatz zu wechseln. Da konnte er einfach von einer Schleiferei zur nächsten gehen. Früher habe es für alle genug zu tun gegeben. Und Wolf Ollech bestätigt: Bis vor ein paar Jahren reihte sich hier im Diamantenviertel eine Schleiferei an die nächste. Heute machen immer mehr zu.


    Ollech will seinen Betrieb so lange wie möglich aufrechterhalten. Für seine Arbeiter, aber auch für sich selbst. Schließlich hat er sieben Kinder zu Hause, die ernährt werden wollen, sagt er und hebt die Hände zum Himmel. Er sei bestimmt die letzte Generation der Diamantenschleifer in der langen Familientradition. Seinen Kindern könne er jedenfalls nicht mehr guten Gewissens zu diesem Job raten.

    "Das Schleifen von Diamanten war schon immer ein Risiko. Es gibt bestimmte Steine die Spannung haben und durch das Aufwärmen während des Schleifprozesses kann es vorkommen, dass der Stein bricht. So ist das auch im Leben. Jeder versucht sein Bestes, um das Risiko möglichst gering zu halten. Am Ende muß man doch dem Schicksal vertrauen. Und ich, als gläubiger Mann, sage: Alles liegt in Gottes Händen."


    Diamanten sind der teuerste Rohstoff der Welt. Reiner Kohlenstoff, so hart wie kein zweites Mineral. Und Diamanten haben Symbolkraft: Ihre Klarheit und ihr Licht stehen für Liebe und Wohlstand. Aber dieses Image, das von der Diamantenindustrie mit millionenschweren Werbemitteln hochgehalten wird, hat hässliche Kratzer abbekommen.

    Das Geschäft mit Diamanten ist in Verruf geraten - es waren die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen wie "Global Witness", "Medico International" oder "Fatal Transactions", die Ende der 90er Jahre auf die fatale Rolle der sog. Blutdiamanten in den afrikanischen Bürgerkriegen aufmerksam machten: In Angola, Kongo und Sierra Leone brachten Warlords und Rebellenarmeen ertragreiche Schürfgebiete unter ihre Kontrolle. Der Krieg wurde um Diamanten geführt. Diamanten finanzierten diesen Krieg – die Steine wurden zur Triebkraft in diesen blutigen Kriegen, in denen Zigtausende von Menschen starben und Millionen in die Flucht geschlagen wurden.

    Es waren Zeugnisse wie diese, die die Öffentlichkeit aufschreckten und die diskreten Bahnen der Diamantenindustrie empfindlich störten:

    Angola, Herbst 2001:

    Mein Name ist Yuri Paredes. Ich bin 44 Jahre alt und lebe in Saurimo – das ist eine Provinzhauptstadt im Osten Angolas. Ich bin ein kleiner Diamantenhändler. Und ich weiß, wovon ich rede: Die Bevölkerung von Saurimo hat überhaupt nichts von den Diamanten – die Menschen sehen nichts von all dem Geld, das sie abwerfen. Schauen Sie sich doch in der Stadt um: Sieht so eine Stadt aus, die vom Diamantenhandel profitiert? Die Regierung müßte die Straßen reparieren, die Häuser instandsetzen und streichen – aber nichts tut sie! Und so bleibt hier alles, wie es ist: einfach kaputt. Die Menschen haben nicht genug zu essen. Sie schuften sich in den Minen zu Tode. Und haben zuhause noch nicht einmal Wasser. Können Sie sich vorstellen, daß ich drei bis vier Kilometer laufen muß, um an frisches Wasser zu kommen? Das ist ein schöner Profit, den die riesigen Vorkommen für uns abwerfen! Die Wahrheit ist doch, daß die Diamanten in Angola nur dafür da sind, um Waffen zu kaufen – und um die Reichen noch reicher zu machen. Ob bei der Regierung. Oder bei den Rebellen. Egal!



    1998 verhängte die UNO ein Embargo gegen die Blutdiamanten aus Angola und Sierra Leone. Kurz darauf wies die Weltbank in einer Studie darauf hin, dass Rohstoffe wie Diamanten viel häufiger zum Kriegsgrund werden als politische oder ethnische Konflikte. Da begann sich die Diamantenindustrie Sorgen um ihren guten Ruf zu machen. Der südafrikanische Monopolist De Beers zog sich als erster aus Angola und Sierra Leone zurück und erklärte den ethisch einwandfreien Handel zur neuen Marketingstrategie.

    Auch der Handelsplatz Antwerpen geriet in den Sog dieser Diskussion - der Diamanten-Weltkongress sagte dem Handel mit Kriegsdiamanten im Jahr 2000 den Kampf an. Dann kam der Kimberley-Prozeß, an dessen Ende im November 2002 die Erklärung von Interlaken stand – zum ersten Mal verpflichteten sich Industrie, Handel und die Regierungen von 69 Staaten auf ein globales Zertifizierungssystem. Es soll die Herkunft sämtlicher Diamanten lückenlos dokumentieren und so den Handel mit sog. Blutdiamanten aus Rebellenhand unterbinden.

    Das alles hat auch Spuren in Antwerpen hinterlassen, wenngleich die Geschäfte in den Diamantenbörsen dort oberflächlich noch immer ihren alten, gewohnten Gang nehmen: Keine Papiere. Keine Formalitäten.
    Allein der Handschlag zählt.
    Alte Handelsregeln unter neuen Vorzeichen - Die Diamanten-Börse und der Kimberley-Prozess

    Zwei Männer beugen sich über einen schweren Eichentisch Im grellen Schein einer Tischlampe drehen und wenden sie erbsengroße Diamanten zwischen den Fingern. Zwischen den beiden steht eine Waage. Die Männer reden so leise miteinander, dass man sie nicht verstehen kann. Sie sind orthodoxe Juden, tragen beide lange schwarze Mäntel und viereckige Hüte. Darunter kommen lange, gedrehte Haarlocken zum Vorschein.

    Ein eleganter Herr im braunen Blazer und dezenter Krawatte beobachtet die Szenerie aus einigen Metern Entfernung. Eddy Vleeschdrager ist hier in der Diamantenbörse von Antwerpen zu Hause – er ist Diamantenhändler. Seit 30 Jahren verbringt er Tag für Tag in dieser gediegenen Atmosphäre zwischen hohen, hellen Fenstern, emporstrebenden Steinsäulen und dunkel getäfelten Holzwänden.

    "Das ist die Diamantenbörse. Davon haben wir vier hier in Antwerpen: Diamanten-Club, Diamanten-Handel, Diamanten-Ring und diese Börse. Diese hier ist die größte mit ungefähr 1500 Mitgliedern. In der ganzen Welt gibt es rund 20 Börsen Andere Börsen sind nur einen Tag in der Woche geöffnet. Hier wird jeden Tag von 8 bis 18 Uhr gehandelt."

    Eddy Vleeschdrager streicht kurz über eine der glatten Säulen im riesigen Hauptsaal. Er ist gebürtiger Antwerpener und führ das Familienunternehmen bereits in der vierten Generation. Auch er hat jüdische Wurzeln, erzählt er. Aber die Religion sei ihm nicht so wichtig, dass sie seine Kleidung bestimme, seine Haltung, sein Leben.

    "Mein Urgroßvater war einer der Pioniere in Südafrika. Er hatte eine Konzession in der Kimberley-Mine, aber all diese Konzessionen hat De Beers Anfang des 20. Jahrhunderts aufgekauft. Mein Großvater war ein jüdischer Händler mit portugiesischen Wurzeln, der sich in Amsterdam nieder gelassen hat. Mein Vater hat eine Antwerpenerin geheiratet, die auch eine Schleiferei hatte und so haben sie hier angefangen."

    Sicher und selbstbewusst bewegt sich Vleeschdrager durch die riesige Halle unter den schweren Lüstern. Aber auch vorsichtig und zurückhaltend. Er achtet darauf, nie zu nah an die langen Holztische heranzukommen, die an der Fensterseite aufgereiht stehen. Hier werden die Geschäfte abgeschlossen. Es herrscht absolute Diskretion.

    Eddy Vleeschdrager zeigt auf eine Vitrine an der gegenüberliegenden Wand. Dort sind Passfotos zu sehen, jedem Foto ist ein Name zugeordnet. Als wären es Fahndungsbilder.

    "Wir haben hier eine Art schwarzes Brett. Sie sehen Namen und Fotos von Personen aus Börsen aus der ganzen Welt: Russland, Süd-Afrika, Israel zum Beispiel. Das sind alles Personen, die von der Börse ausgeschlossen wurden, weil sie nicht korrekt waren bei ihren Geschäften. Das ist ein System gegen die Menschen, die nicht ganz ehrlich sind. Wenn sie einmal ausgeschlossen worden sind, werden ihre Fotos in allen Börsen ausgehängt."

    Eddy Vleeschdrager ist selbst schon einmal auf einen solchen Betrüger hereingefallen und hat einige Steine verloren. Wie groß der Verlust war? Vleeschdrager schweigt, zuckt mit den Achseln und lacht bitter auf.

    Trotz des Ehrenkodex hat auch Eddy Vleeschdrager Zweifel an der Ehrlichkeit einiger seiner Kollegen. Er sagt es nicht gerne, Namen nennt er selbstverständlich keine. Er kratzt sich am Kopf und schaut vorsichtig über seinen Brillenrand.

    "Ich muss sagen, dass es überall schwarze Schafe gibt. Aber wir versuchen doch so gut es geht, sie zu eliminieren. Wir wollen nicht, dass es uns so geht wie den Pelzhändlern, wo es eine unglaubliche Kampagne gab, wegen der Tiere, die abgeschlachtet werden für den Pelz. Dort hat die Branche nicht reagiert. Wir wollen nicht den gleichen Fehler machen, wenn man jetzt sagt: Die Diamanten finanzieren Kriege, damit werden Drogen bezahlt und so weiter."

    Steine im Wert von mehrerer Millionen Euro werden jährlich in Antwerpen gehandelt.

    "Der Kunde fragt nicht unbedingt. Aber wenn wir ihm sagen, dass der Diamant sauber ist, dass da keine Kinderarbeit drin steckt und auch keine Geldwäsche, dann merken wir sofort, dass der Kunde vertrauen hat und lieber kauft. Sonst hätte er mehr Angst, weil er so viele Geschichten gehört hat, die sich mit der Zeit aufgeblasen haben. Wenn wir ihm also die Herkunft garantieren, dann fühlt er sich gleich viel besser."

    Eddy Vleeschdrager malt mit seinem rechten Arm einen großen Kreis in die Luft, als wollte er seine Kollegen in das einschließen, was er sagt:

    "Wir haben das Problem bei den Hörnern gepackt und schließen alles aus, was den leisesten Zweifel an der Herkunft der Steine lässt. Das fängt bei der Mine an: Da dürfen keine Kinder arbeiten, darf es keine Zwangsarbeit geben. Der Kunde darf keine Zweifel haben. Er muss sagen können: Das ist ein Stück Ewigkeit, ein Liebesbeweis, zu seiner Freunde. Und er muss wirklich Vertrauen haben kann."

    Deshalb haben Eddy Vleeschdrager und einige Kollegen ein neues Zertifikat entwickelt, das fünfte C – wie Confidence, also Vertrauen. Für Diamanten, die mit einem solchen Sigel verkauft werden, garantieren die Händler ihren Kunden eine saubere Herkunft ohne Drogen-, Waffenhandel oder Kinderarbeit.


    Heute sind die Kriege in Angola und Sierra Leone zwar vorbei, doch das Geschäft mit den Diamanten aus Westafrika hat nichts von seiner Brisanz verloren. Erst jüngst sind die Diamanten im Konflikt zwischen Elfenbeinküste und Burkina Faso wieder zum gefährlichen Sprengstoff geworden. An den Arbeitsbedingungen in den Minen und Diamantenfeldern von Sierra Leone oder Kongo hat sich ohnehin nichts geändert: Dort sind Kinderarbeit, Ausbeutung und schwerste Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung.

    Sierra Leone, Februar 2004

    Ich heiße Sheka Kamara und bin 18 Jahre alt. Ich bin seit einem Jahr Minenarbeiter im Fluss Sewa. Ich bleibe zwei Stunden unter Wasser, in zehn Metern Tiefe. Das ist sehr kalt. Die Luft bekomme ich durch einen Dieselkompressor

    Kongo, Juli 2004

    Ich heiße Agalula Thimanga, ich bin 52 und arbeite sechs Tage in der Woche. Ich arbeite nur für mich selbst und nicht für einen Kontraktor. Ich muß meine ganze Familie ernähren. Das Problem ist, daß ich kaum noch Steine finde.

    Sierra Leone, Februar 2004

    Ich heiße Ishmail Nyaka, bin 34 Jahre alt und in Koidu geboren. Als der Krieg ausbrach, bin ich nach Bo geflüchtet. Ende 2003 bin ich zurückgekommen. Jetzt arbeite ich in einer Mine. Es geht uns gar nicht gut hier. Wenn etwas passiert, sind wir überhaupt nicht abgesichert. Ich bekomme kein Geld, sondern nur etwas zu essen. Deshalb wohne ich auch in diesem Camp. Wenn einer von uns einen Diamanten findet, teilen wir das Geld untereinander auf. Es ist schon eine ganze Woche her, daß wir den letzten Karat gefunden haben.




    Das Kimberley-Abkommen lässt den Exporteuren und Importeuren, den Diamantenhändlern und –schmugglern immer noch allzu viele Schlupflöcher, sagen nichtstaatliche Organisationen wie Fatal Transactions. Diamanten sind klein, handlich, wertvoll und schnell zu Geld zu machen. Eine ideale Schmuggelware im Tausch gegen Waffen und Drogen. So wird die Forderung nach einer drastischen Verschärfung des Kimberley-Katalogs immer lauter. Aus dem Abkommen mit Selbstverpflichtungscharakter müsse ein unabhängiges Kontrollsystem mit einem verbindlichen Strafenkatalog werden, heißt es. Doch genau das ist bis heute gescheitert – an den Beteiligten.

    Die Organisation "Fatal transactions" und ihre Forderung nach noch mehr Transparenz im Diamantenhandel

    In einer der idyllischen Gassen im Diamantenviertel von Antwerpen hört eine Gruppe von Jugendlichen einer älteren Dame zu. Die Führerin zeigt auf das dunkle Backsteingebäude der Diamantenbörse und erklärt mit ausschweifenden Gesten, was dort geschieht und welche Rolle das Geschäft mit den Diamanten für Antwerpen spielt: Nirgendwo sonst in Europa könne man so herrliche Steine kaufen wie hier, sagt sie.

    Herlinde Gerrits hat einige Meter entfernt zugehört und schüttelt den Kopf. Die hoch gewachsene Holländerin fährt sich mit der Hand durch ihre hellbraunen Haare und vergräbt sie dann in den tiefen Taschen ihres roten Anoraks.

    "Diamanten haben für mich zwei Seiten. Ich finde sie auch schön. Aber hinter dem schönen Glitzern verbirgt sich viel Schreckliches. Ich weiß, dass Blut an den Diamanten klebt. Ich weiß um die Arbeitsbedingungen und wie Menschen in Afrika darunter leiden. Ich weiß, wie oft Menschenrechte verletzt werden. Zum Beispiel werden Menschen von ihrem Land vertrieben, weil da Diamanten liegen. Kurzum: In Afrika profitieren die Menschen nicht von den Diamanten."

    Herlinde Gerrits arbeitet für die nichtstaatliche Organisation Fatal Transactions aus den Niederlanden. Die Organisation bemüht sich darum, die Öffentlichkeit auf die Schattenseiten des Diamantengeschäfts aufmerksam zu machen und auf die unwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den afrikanischen Ländern.

    "Viele Kinder arbeiten in den Minen. Es sind schwere Arbeitstage ... Die Menschen bekommen nichts bezahlt, sie bekommen nur etwas zu essen. Wenn sie einen Diamanten finden, dann teilen sie das Geld untereinander auf. Das ist ein sehr schweres Leben. Aber die Menschen tun das, weil sie keine Alternative haben und weil sie hoffen, dass sie doch den großen Diamanten finden, der sie reich macht."

    Das große Geld wird aber fernab der Minen gemacht – in Europa und Amerika; in den Diamantenbörsen wie hier in Antwerpen.
    Hinter Herlinde Gerrits öffnen sich immer wieder die großen, automatischen Glastüren der Diamantenbörse. Jüdische Händler in langen schwarzen Mänteln gehen geschäftig ein und aus. Sie sind ins Gespräch vertieft und haben für die junge Frau mit der roten Jacke noch nicht einmal einen Blick übrig. Nur einer mustert im Vorübergehen ihren dicken Bauch unter dem Anorak – Herlinde Gerrit ist im sechsten Monat schwanger.

    "Ich bin eigentlich Biologin und ich habe lange Zeit an einem ganz speziellen Molekül gearbeitet. Aber ich fand es schade, dass niemand verstanden hat, was ich da eigentlich mache, noch nicht einmal meine eigene Mutter. Da habe ich beschlossen, etwas zu tun, was die Gesellschaft und ihre Probleme wirklich betrifft. Ich habe darüber nachgedacht, was denn wirklich wichtig ist im Leben. Natürlich finde ich vieles wichtig - ich hätte auch für eine Tierschutz-Organisation arbeiten können. Aber Menschenrechte und Ungerechtigkeit waren mir doch am allerwichtigsten. Dann habe ich angefangen nach einem entsprechenden Job zu suchen."

    Zunächst arbeitete die Holländerin für Amnesty International. Dann las sie in der Zeitung über die Blutdiamanten – und wie sie Rebellengruppen und Diktatoren ermöglichen, Kriege zu führen, Waffen zu kaufen und Drogengelder zu waschen. Das wollte sie ändern – und begann ihre Arbeit bei Fatal Transactions.

    Herlinde Gerrits betritt eines der Diamantengeschäfte, die nur unweit der Börse liegen. Der Händler hinter seinem Tresen mustert sie von oben bis unten. Die junge Frau in Jeans und Anorak sieht nicht aus wie eine interessierte Kundin mit dem entsprechenden finanziellen Hintergrund.

    Herlinde Gerrit beugt sich über eine der Vitrinen – ein Diamant liegt neben dem nächsten, in Gold gefasst, in Silber, in Platin. Der Händler trägt Glatze und einen abgewetzten, braunen Pullover. Fragend sieht er Herlinde Gerrits an.

    Die stellt sich und ihre Organisation vor und fragt den Händler, ob er denn wisse, woher seine Diamanten kommen.
    Das interessiere ihn nicht, erwidert der Mann. Schließlich würden alle Diamanten nach den Vorgaben des Kimberley-Prozesses kontrolliert, sobald sie nach Belgien importiert werden. Dafür seien die Behörden und nicht er verantwortlich. Seine Diamanten seien sauber. Jeder Stein verfüge über die nötigen Papiere. Mehr gebe es nicht zu sagen. Auf Wiedersehen.

    "Ich muss erst einmal ein Missverständnis aus der Welt schaffen: Kimberley bedeutet nicht, dass Du nur noch saubere Diamanten aus fairem Handel kaufen kannst. Kimberley sagt nur, dass der entsprechende Diamant, der gehandelt wird, aus einem Land kommt, in dem eine legitimierte Regierung an der Macht ist, dass es also nicht Rebellen sind, die die Diamanten verkauft haben. Das Zertifikat sagt aber nichts aus über die Arbeitsbedingungen, über die angemessene Bezahlung der Arbeiter und so weiter…"

    Der Händler schaut Herlinde Gerrit noch misstrauisch durchs Schaufenster hinterher, dann wendet er sich dem Fernsehschirm zu, der in einer Ecke seines Geschäftes von der Decke hängt.

    Herlinde schlendert zurück in Richtung Börse. Dort wird nicht nur gehandelt. Dort kontrollieren auch die Experten von Zoll und Wirtschaftsministerium all jene Diamanten, die in Belgien ankommen. Der Zutritt ist nicht gestattet. Ein Besuch unerwünscht. Aus Sicherheitsgründen, heißt es im zuständigen belgischen Wirtschaftsministerium.

    Nur wenn die Diamanten ein Kimberley-Zertifikat haben, dürfen sie nach Belgien eingeführt werden. Das ist zumindest die offizielle Version.

    "Wir haben zwei Probleme: Erstens sagt das Zertifikat wenig darüber aus, ob die Diamanten tatsächlich von dort kommen, wo sie auch deklariert wurden. Zweitens bezweifle ich, dass hier alle Händler sauber bleiben, wenn jemand mit einem Rucksack voller kongolesischer Diamanten ankommt und einen guten Preis macht. Nicht jeder wird dann sagen: Nein, die kaufen wir nicht, weil da kein Zertifikat dabei ist."

    Auch Herlinde Gerrit und die Organisation Fatal Transaction kennen die Händler nicht beim Namen, die es mit Kimberley und der Moral nicht so genau nehmen. Aber es gibt immer noch zu viele Schlupflöcher, sagt die junge Frau – und die Kontrollen seien eben noch nicht lückenlos. So sind Verstöße gegen das Kimberley-Abkommen nur sehr schwer nachzuweisen.

    "Wir glauben, dass es eine Diamanten-Miene gibt hier unter der Stadt Antwerpen – wie anders ist denn zu erklären, dass viel mehr Steine exportiert als importiert werden? Ich vermute, dass hier einige Steine importiert werden ohne Zertifikat."

    Wo die Miene wohl ist?

    (lacht)"Sollen wir sie suchen? Ich weiß nicht, wo sie ist. Aber ich denke, wir sind hier ganz nah dran!"


    Kongo, Juli 2004
    Ich heiße Mbaya Kafui und bin 42 Jahre alt. Ich bin Diamantenhändler in MbujiMayi. Seit elf Jahren bin ich auch Pfarrer. Ich habe eine eigene Kirche aufgebaut. Drei Mal in der Woche halte ich dort Gottesdienste ab. Da kommen so um die 10.000 Menschen. Vor und nach dem Gottesdienst verkaufen sie mir die Diamanten, die sie in den Minen gefunden haben. Das ist ein gutes Geschäft.

    Kongo, ebenfalls Juli 2004

    Ich heiße Omer Tshiayanga, 34 Jahre alt. Ich bin hier MbujiMayi geboren. Vor 18 Jahren habe ich als kleiner Diamantenhändler angefangen. Damals bin ich immer in den Busch gegangen, um dort Minenarbeiter zu treffen und ihre Diamanten zu kaufen. Heute habe ich drei Diamantengeschäfte, drei Bars, ein Hotel und sieben Läden mit allem Zubehör für Minenarbeiter: Wasserpumpen, Schaufeln und so. Das Geld, das sie von mir für die Diamanten bekommen, geben sie gleich in meinen Läden und Bars wieder aus. Ich kaufe jeden Monat Diamanten mit einem Gewicht von 15.000 Karat und einem Wert von 200.000 bis 300.000 Dollar. Das sind hauptsächlich Industriesteine, also nicht ganz so wertvoll. Ich habe zwei Frauen, drei Kinder und vier Autos.




    Nicht jeder Diamantenhändler und nicht jeder Diamantenschleifer ist steinreich. Diese immer noch weit verbreitete Vorstellung hat sich längst als unhaltbares Klischee erwiesen. Der ganzen Branche ging es schon einmal besser.

    Das lässt sich an den vielen heruntergekommenen Gebäuden ablesen, an den schäbigen Büros und den leer stehenden Läden und Werkstätten: Die Zahl der Diamantenschleifer ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 30.000 auf 3000 zurückgegangen. Der Grund: Der Kreis der Kunden wird immer kleiner. Die Konkurrenz aus Indien, Pakistan oder Russland wird immer größer. Und die Diamantenindustrie verlagert ihre Produktion immer öfter in Billiglohnländer.

    ATMO 4: Stimmen im Saal

    Es herrscht also Krisenstimmung im Diamantenviertel. Und die jüdische Gemeinschaft rückt zusammen. Ohne Spenden aus der eigenen Gemeinde kämen viele jüdische Familien gar nicht mehr über die Runden, heißt es. Die Zentrale hilft. Die Zentrale – das ist ein jüdischer Hilfsverein, der einmal im Jahr zu Spenden aufruft.

    Sozialer Notruf der Diamantenhändler: Der Spendenverein "Zentrale" hilft verarmten Juden in Antwerpen

    Der Eingang zum großen Hauptsaal des jüdischen Gemeindezentrums. Nacheinander streben gut gekleidete, ältere Damen in Richtung eines Tisches, gleich neben der Tür. Jede legt einen Geldschein auf ein silbernes Tablett. Grüsst und wendet sich einem der runden Tische zu, die in der Saalmitte aufgestellt sind. Dort haben sich schon etliche Damen eingefunden. Sie trinken Kaffee und plaudern miteinander. Der Saal ist mit rotem Teppichboden ausgelegt. Prächtige Kronleuchter tauchen den Raum in ein warmes, festliches Licht.


    Die beiden älteren Damen hinter dem Tisch gleich neben dem Eingang sind Freiwillige des "Hilfsvereins Zentrale": einer Wohltätigkeitsorganisation der jüdischen Gemeinde von Antwerpen. Beide haben das Rot ihrer Lippen auf die Farbe ihrer Kleider abgestimmt, die eine in Kirsch, die andere in Bordeaux. Konzentriert tragen sie jede neue Besucherin in eine Liste ein. Neben jedem Namen ist ein kleines Kästchen aufgemalt – und dort wird die gespendete Summe eingetragen.

    "Die Damen werden eingeladen. Und dann können sie den Nachmittag hier verbringen. Jeder gibt, was er kann. Das geht von zehn Euro bis 200 Euro. Man kauft dann etwas für ein Seniorenheim. Man kauft, was man dort so braucht. Das ist einmal im Jahr."

    Die beiden Damen haben keine Zeit für lange Erklärungen. Sie wenden sich wieder ihren Besucherinnen zu. Eine kleine, braunhaarige Dame scheint im Hintergrund Regie zu führen - Betty Parnaz, heißt sie. Sie ist zu den Frauen am Tisch gekommen und überfliegt die ersten Einnahmen. Sie trägt ein schwarz-goldenes Kostüm und strahlt über das ganze Gesicht. Sie hat fröhliche Lachfältchen um die Augen.

    "Ich wollte schon immer helfen. Ich habe eines Tages beschlossen, dass ich damit meine Zeit verbringe. Ich habe keine anderen Hobbys mehr. Mein Hobby ist es, anderen Menschen zu helfen. Ich mag das wirklich gerne, vor allem, wenn ich sehe, dass es so gut funktioniert."

    Betty Parnaz ist die Vorsitzender der Damen-Abteilung der Zentrale und verantwortlich für die Organisation des Nachmittags. Es wird immer voller, das Stimmengewirr lauter. An den Tischen mischen sich die Sprachen. Die meisten unterhalten sich auf flämisch oder französisch – die beiden belgischen Sprachen. Aber es sind auch ein paar Worte Jiddisch und Hebräisch zu hören. Die "Freiwilligen" gehen von Tisch zu Tisch und schenken Kaffee aus.

    Einmal im Jahr kommen die Damen der jüdischen Gemeinschaft hier zusammen, um einen Nachmittag gemeinsam zu verbringen und Geld für die Armen in der Gemeinde zu sammeln. Von denen, sagt Betty, während sie das bunte Treiben beobachtet, gebe es immer mehr.

    "Der Diamantenhandel läuft viel schlechter als früher. Viele sind nach China und nach Indien abgewandert. Deshalb bleibt hier immer weniger übrig und die Menschen haben finanzielle Probleme. Die Zentrale hilft all diesen Menschen. Die Armut spürt man überall. Leute, die früher die Zentrale unterstützt haben, mussten damit aufhören, weil sie selbst in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind."

    Betty setzt ihren Rundgang durch den Raum fort. Immer wieder wird sie angesprochen und wechselt dann ein paar freundliche Worte. Betty ist in Antwerpen geboren und aufgewachsen. Jeder kennt sie hier. Und sie kennt jeden.

    "Früher war es sehr einfach, Freiwillige für unsere Arbeit zu finden. Die Frauen mussten nicht unbedingt arbeiten, weil ihr Ehemann genug für die ganze Familie verdient hat. Heute lernen sehr viele Frauen einen Beruf und beginnen zu arbeiten. Das ist notwendig. Ein Einkommen reicht nicht mehr aus."

    Im hinteren Teil des Saales sind einige Damen bereits zum Kartenspiel übergegangen. Sie haben ihre Kuchenteller beiseite gestellt und breiten ihr Blatt vor sich auf kleinen, viereckigen Tischen aus. Die Damen sind sich einig: Die Zeiten waren schon einmal besser. Nicht, dass sie selbst betroffen wäre, sagt eine von ihnen, und streicht sich durch das blondierte Haar:

    "Es ist schwierig, es wird immer schwieriger. Die Diamantenhändler werden von allen um Spenden gebeten und ich weiß nicht, ob sie noch viel geben können. Grosse Spender gibt es nicht mehr."

    Jetzt red nicht so viel, fällt ihr eine Nachbarin ins Wort. Wer spricht schon gern von Armut.

    "Ja, weil das sehr unangenehm ist, wenn man von jemandem sagt: Schau, der ist arm. Da schämt man sich doch. Und alle kennen sich hier. Da mag man nicht um Geld bitten. Deshalb sind wir hier sehr diskret. Wir wollen nicht, dass man weiß, wer das Geld braucht," sagt Betty Parnaz, die sich vom Bridgetisch der Damen abwendet und noch einmal zum Eingang eilt. Der Stapel aus Geldscheinen ist mittlerweile ganz schön angewachsen. Wie viel zusammen gekommen ist, wollen die Frauen nicht verraten. Auch hier ist das eine Frage der Diskretion – wie in der gesamten Branche. Aber Betty lächelt. Und ihre Augen leuchten.

    "Es stimmt: Ich liebe es, den Menschen zu helfen. Das ist wie ein Feuer, das in mir brennt. Ich mache wirklich alles, um zu helfen. Wenn bei uns jemandem ein Unglück passiert, dann ist er nicht alleine. Es wird immer jemand da sein, um ihm zu helfen. Wir sind eine große Familie, egal aus welchem Milieu wir kommen. Alle helfen einander."


    Angola, Herbst 2001

    Mein Name ist Jose Belos, ich bin 35 Jahre alt und Journalist. Ich lebe in Saurimo – und werde wohl niemals eine Chance haben, von hier wegzukommen. Ich kann meinen Kindern kein bißchen Hoffnung mitgeben. Nur all den Dreck hier. Es gibt keine Schulen. Keine Universitäten. Keine Bildung, nichts. Die Menschen wissen doch gar nicht, was mit ihnen geschieht! Und mit all dem Geld, das die Diamanten abwerfe. Wenn die Regierung wirklich den Handel mit illegalen Steinen bekämpfen wollte, dann müßte sie hier beginnen! Aber es gibt einfach zu viel Korruption. Und ich glaube nicht, daß sich daran etwas ändern wird.




    An der Schelde hat sich schon viel verändert: Die Diamantenhändler und –schleifer von Antwerpen bekommen die Globalisierung gleich in mehrfacher Hinsicht zu spüren: Trotz größter Diskretion haben sie es mit einer immer wachsameren Öffentlichkeit zu tun, die sich der hässlichen Rolle der schönen Steine in Bürgerkriegen und Konfliktregionen bewusst geworden ist. Trotz ihrer Verschwiegenheit arbeiten sie unter den Augen international vernetzter Behörden, die darauf achten, dass die Bestimmungen des Kimberley-Abkommens eingehalten werden. Und trotz ihres Zusammenhalts unterliegen sie dem Diktat einer globalisierten Industrie, die die Arbeit dorthin verlagert, wo sie am billigsten ist.

    Die Branche ist im Umbruch. Das Wachstum nicht mehr ungebrochen. Die Chancen auf einen krisenfesten Arbeitsplatz sind deutlich geringer geworden.

    Das zeigt sich auch beim Nachwuchs. Früher gab es mehrere Schulen für Diamantenschleifer in Antwerpen. Heute gibt es gerade mal noch eine. Es gibt immer weniger Schüler. Und doch zieht es immer wieder junge Leute in den Bann der Diamanten. Fünf Jahre dauert die Ausbildung an der SIHA, der Schule für den rechten Schliff. Und in jeder Klasse sitzt ein Dutzend Schüler.

    Die Schule für den rechten Schliff - Ausbildung zum Diamantenschleifer

    Der Klassenraum 5A liegt in der zweiten Etage des roten Backsteingebäudes. Es ist kühl hier, ein paar der großen, hohen Fenster sind geöffnet, eine leichte Brise weht durch den Raum. Das lang gezogene Klassenzimmer wirkt wie zweigeteilt: Auf der rechten Seite eine große, grüne Schultafel, ein Lehrerpult und ein paar Tische und Stühle aus Holz. Die sind verwaist.

    Auf der linken Seite geht es lebendiger zu: Ein Dutzend halbwüchsiger Schüler sitzt vor tellergroßen Scheiben aus Stahl, die sich unablässig drehen – Schleifscheiben für Diamanten.

    "Wir haben alle helles Licht über uns, damit wir den Stein gut sehen können. Das Licht muss genau über dem Stein sein."

    Hadley Dames. 17 Jahre alt. Coole Jeans unter nüchternem, blauem Arbeitskittel. Hadley arbeitet konzentriert. Eine Haarsträhne ist ihm ins Gesicht gefallen, er beugt sich tief über die Werkbank, um den Stein besser zu sehen.

    Mit schlanken Fingern hält Hadley eine schwere Zange aus Eisen fest umklammert. Mit der rechten rückt er den Stein zurecht und zieht dann die großen Schrauben links und rechts der Zangenwange fest. Nur kurz schaut er von seiner Arbeit auf:

    "Auf jeden Fall musst Du die Zange gut festhalten, damit Du den Stein fest einspannen kannst. Dann schleife ich die Kanten eines Diamanten, die bisher noch rau sind. Ich schleife an zwei Punkten, die an der unteren Seite des Steins liegen. Du musst so schnell wie möglich eine gleichmäßige Kante schleifen. Wenn die Kante nicht gut ist, musst Du viel mehr von dem Stein abschleifen, um eine schöne, glatte Fläche zu bekommen. Aber das Ziel ist natürlich, dass der Durchmesser des Steins möglichst dick bleibt."

    Ganz vorsichtig, mit langsamen Bewegungen, setzt Hadley den Stein auf die Schleifscheibe, die sich im Uhrzeigersinn dreht – 3500 Umdrehungen pro Minute. Schon nach wenigen Sekunden nimmt er die Zange wieder von der Scheibe und betrachtet seinen Diamanten durch eine Lupe, die kaum größer ist als der eigene Augapfel.

    "Mein Vater hat früher auch schon mit Diamanten gearbeitet. Es liegt sozusagen in der Familie. Wir hatten ein kleines Geschäft. Mein Vater war zwar nicht Schleifer, aber er hat sich immer mit Diamanten beschäftigt. Er ist sehr früh gestorben. Wenn ich mit Diamanten arbeite, denke ich an ihn."

    Neben Hadley sitzt Jockie. Er ist 16 und ein viel kleiner als Hadley. Vielleicht ein Meter fünfzig. Aber viel lauter. Und immer gut gelaunt.

    "Ich bin der erste in meiner Familie, der mit Diamanten arbeitet. Und ich will das mein Leben lang tun. Das ist mein ganz eigener Wunsch. Meine Familie ist glücklich darüber. Es ist etwas Besonderes. Meine Mutter ist Köchin und mein Vater Schweißer."

    Diese Welt hat ihn wie magisch angezogen, erzählt Jokie. Die Diamanten in den Schaufenstern. Die glitzernden Steine in den Auslagen. Die Händler in den Strassen rund um die Diamantenbörse. Er wollte einfach nur dazugehören,

    "weil es faszinierend ist und es Spaß macht. Ich arbeite mit dem teuersten Rohstoff. Das reizt mich. Meine Freunde bewundern mich. Sie wollen wissen, wie es ist, mit einem so teuren Stoff zu arbeiten. Das hat eine gewisse Brisanz,"
    sagt Jockie und schielt zu seiner Lehrerin hinüber, die sich neben ihn an einen Schrank gelehnt hat. Josée de Valck heißt sie und nickt ihrem Schüler aufmunternd zu. Sie freut sich, wenn sich ihre Schüler für ihren späteren Beruf begeistern – "denn das ist nicht immer der Fall", sagt sie.

    "Vor zehn Jahren ist der letzte Schüler von hier abgegangen mit echter Familientradition, dass heißt: Sein Papa war auch noch Schleifer. Jetzt ist es vor allem ein Beruf, von dem viele gar nicht so recht wissen, was da auf sie zukommt. Klar ist, dass es kein belgischer Beruf mehr ist. Heute haben wir hier Jugendliche mit allen möglichen Nationalitäten."

    Josée de Valck lehrt schon seit Jahren, Diamanten zu schleifen. Nur selten hält es die blonde Flämin an ihrem Pult. Sie ist immer in Bewegung. Meistens beobachtet sie ihre Schüler bei der Arbeit, gibt ihnen Tipps, wie die Kanten der Diamanten besonders glatt werden oder hilft ihnen, die kleinen Steine in die widerspenstigen Zangen zu spannen. Sie ist groß und kräftig. So ähnlich wie ihr Schüler Jockie kam auch sie nicht aus einer Schleiferfamilie:

    "Der Beruf hat mich angesprochen, weil Diamanten ja eigentlich etwas für reiche Menschen sind. Ich kam aus einer echten Arbeiterfamilie. Deshalb wollte ich das wirklich ausprobieren. Ich habe ganz ohne Vorkenntnisse angefangen. Fünf Jahre habe ich in einer Fabrik als Schleiferin gearbeitet, und ich habe das sehr gerne gemacht. Deshalb wollte ich den Beruf an andere weiter geben. Aber noch wichtiger war für mich: Als ich in der Fabrik gearbeitet habe, war das noch eine echte Männerwelt. Daran wollte ich etwas ändern."

    Und doch sitzt noch immer kein einziges Mädchen in der Klasse von Josée de Valck. Die Jungs bleiben unter sich.

    Hadley ist nach vorn zu seiner Lehrerin gekommen und fragt sie um Rat. Er will es besonders gut machen und fühlt sich offenbar ein wenig unsicher. Hadley fragt, ob er seinen Diamanten fest genug in die Zange geklemmt hat. De Valck nickt. Der Stein sitzt fest in der Halterung und kann sich beim Schleifen nicht lösen.

    So beugt sich Hadley wieder über seine Schleifscheibe. Er und seine Mitschüler werden voraussichtlich in einem Jahr mit ihrer Ausbildung fertig sein. Was sie dann erwartet, weiß keiner von ihnen. Immer mehr Schleifereien in Antwerpen müssen schließen. Der Beruf verliert an Attraktivität. Die alten jüdischen Familien schicken ihre Kinder nicht mehr in die traditionellen Werkstätten. In Hadleys Klasse sitzt kein einziger orthodoxer Jude mehr. Hadley will trotzdem sein Leben den Diamanten widmen und so den Beruf seines Vaters fortführen:

    "Ich habe natürlich Angst, dass ich hier keinen Job finde. Aber ich habe Familie in Argentinien und Süd-Afrika. Ich befürchte schon, dass ich diese Arbeit nicht in Belgien ausüben kann und ins Ausland gehen muss. Aber das hat den Vorteil, dass ich die Welt sehen kann. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt."

    Die Interviewauszüge aus Sierra Leone und Kongo stellte uns der niederländische Journalist und Photograph Kadir van Lohuizen zur Verfügung. Die Zitate aus Angola überließ uns ARD-Korrespondent Stefan Schaaf.