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Katholische Kirche
Lachen, Papst und Teufel

Der französische Soziologe Dominique Wolton - ein Agnostiker - hat den Papst interviewt und darüber ein Buch geschrieben. Franziskus sei "besessen" vom Thema Krieg und Frieden", sagt er. "Man kann ihn nicht wie einen politischen Akteur behandeln, das wäre ein absoluter Irrtum."

Von Margit Hillmann | 22.11.2017
    Papst Franziskus lacht
    Papst Franziskus lacht mit den katholischen Gläubigen in Südkoreas Hauptstadt Seoul. (afp/ Lee Jin-man)
    Dominique Wolton – 70 Jahre alt, senfgelbe Hose, dunkles Jackett - kommt mit Tempo die enge Wendeltreppe herunter, eine halbe Stunde zu spät zu unserer Verabredung. Er hat am Flughafen festgesessen, war in Lissabon sein Buch vorstellen, entschuldigt sich der Soziologe, zieht einen Stuhl heran.
    "Dann reden wir jetzt also über den Teufel, oder?" fragt er. Die Augen hinter der randlosen Brille blinzeln.
    Typisches Wolton-Witzeln. Der Wissenschaftler lacht gern und viel. Wie der Papst, sagt er. Einer der Gründe, weshalb er sich menschlich auf Anhieb mit Franziskus verstanden habe. Wie kommt ein Soziologe, der sich selbst als "laizistischer Agnostiker" bezeichnet, auf die Idee, den Papst zu treffen?
    "Ich arbeite zum Thema Kommunikation, Inkommunikation und kulturelle Vielfalt. Mich hat die Kapazität des argentinischen Papstes fasziniert, weltweit eine solche Popularität zu erreichen, weit über die katholischen Milieus hinaus. Ich war vom Kommunikationstalent beeindruckt, das er von Anfang an bewiesen hat. Und von der politisch klaren Sprache, die man in religiösen Diskursen selten hört, und noch weniger vom Papst."
    Franzose in der Tradition Voltaires
    Wolton schreibt dem Papst, schlägt ihm sein Buchprojekt vor: einen Gesprächsband mit ihm über Politik und Gesellschaft. Anfang 2016 wird der Soziologe zum ersten Treffen mit Franziskus in den Vatikan eingeladen. Zu seiner großen Überraschung kein sondierendes Vorgespräch: Der Papst stellt weder Fragen, noch irgendwelche Konditionen. Franziskus will sofort loslegen.
    "Im Nachhinein denke ich, ihm hat gefallen, dass ich mit ihm in erster Linie über Politik und Gesellschaft sprechen wollte, dass es sich um ein intellektuelles und wissenschaftliches Projekt handelt. Und dass ich Agnostiker bin, Franzose in der Tradition Voltaires, und kein Priester oder Journalist. Dieser Mann interessiert sich sehr für Politik, genau wie ich. Er ist besessen von Krieg und Frieden. Und von dem extrem gefährlichen Faktor Globalisierung. Weil die Welt nicht weiß, wo sie hinsteuert, ohne Kompass ist."
    Innerhalb eines Jahres führt der Soziologe zwölf Gespräche mit Franziskus. Jedes Mal zwei Stunden, über eine Fülle von Themen: wie etwa die Flüchtlingspolitik und Europas Verantwortung als – plädiert der Papst – "Wiege des Humanismus". Sie sprechen über die Kapitalismuskritik des Pontifex, über kulturelle Vielfalt in Zeiten der Globalisierung oder auch Ökologie oder die digitale Informationsgesellschaft. Und natürlich geht es bei dem Rundumschlag immer wieder um die Rolle und Macht des Papstes und der Katholischen Kirche, um Franziskus Glauben und seine religiösen Ansichten. - Zum Beispiel zur Homoehe oder seine Kritik an der Gendertheorie. Der Dialog war keine leichte Übung, sagt der gestandene Kommunikationsexperte Dominique Wolton.
    Tiefe Abneigung gegen Heuchelei
    "Der Papst denkt in anderen Zeiträumen, zweitausend Jahre und mehr. Seine Referenzen sind nicht die der säkularen Welt. Man kann ihn nicht wie einen politischen Akteur behandeln, das wäre ein absoluter Irrtum. Ich habe es also mit einer Mischung versucht: von spirituellen und politischen Fragen, nach seiner Auffassung der Welt und seiner Person. Mein großes Glück war, dass die menschliche Begegnung sehr stark war. Er hat akzeptiert, dass ich die Perspektive nach und nach ausgeweitet habe."
    Spektakuläres oder Bahnbrechendes erfährt der Leser des Gesprächsbandes nicht. Franziskus Positionen sind inzwischen allgemein bekannt, der Papst wiederholt vieles, führt es aus. Wer aber – wie Dominique Wolton – das Phänomen Franziskus verstehen will, wird in dem Buch fündig. Wolton klopft nicht nur den Intellektuellen und Chef der Katholischen Kirche ab. Er spricht auch mit Jorge Mario Bergoglio, über sein Leben und seine Vergangenheit: die enge Beziehung des jungen Bergoglio zu einer Kommunistin, die wöchentlichen Besuche mit Anfang vierzig bei einer jüdischen Psychoanalytikerin, oder seine tiefe Abneigung gegen jede Form von Heuchelei, die er - erzählt der Papst - schon als Kind hatte.
    Ist der Argentinier wirklich ein liberaler Papst, entschlossen die katholische Kirche zu reformieren?
    "In einem unserer Gespräche sagt er: "Nichts macht mir Angst". Seit dem Tag seiner Wahl zum Papst hat er eine Art innere Ruhe. Er geht die Sachen direkt an. Ich glaube, dass er heute radikaler und freier ist als zu anderen Zeiten seines Lebens. Er ist Jesuit, aber kein typischer Vertreter des Ordens. Er ist schon unabhängiger. Sein Problem: Er muss die Kirche für Reformen mobilisieren. Da ist der Widerstand groß, wenn er zum Beispiel sagt, die Kurie braucht Frauen. Oder: Die Sünden unterhalb der Gürtellinie sind die harmlosesten. Er weiß übrigens sehr genau, dass er nicht sehr weit kommen wird. Er macht sich keine Illusionen über die Menschen. Gleichzeitig ist er zuversichtlich und voller Elan. Er sagt: Wenn ich es nicht schaffe, dann passiert es eben nach mir. Eine unwahrscheinliche Geduld, die ihm aber normal erscheint."
    "Er kann hart austeilen"
    Die größte Stärke Franziskus ist seine klare Sprache, attestiert ihm der Kommunikationssoziologe. Ihn persönlich am meisten überrascht, sagt er, habe ihn die Freiheit und Menschlichkeit des Papstes; seine Fähigkeit zuzuhören und seine Bescheidenheit.
    "Es muss für ihn sehr schwer gewesen sein, sein Gleichgewicht zu finden. Politik ist ein hartes Brot, auch im Vatikan. Es gibt bei ihm eine Spannung: zwischen dem entschlossen politischen Akteur und Reformer, der alles andere als naiv ist, der – meine ich – in der Schlacht hart austeilen kann und anderseits dem Menschen Franziskus. Eine Zweiteilung, die in seinem Fall besonders ausgeprägt ist."
    "Politik und Gesellschaft" ist kein journalistisches Interviewbuch. Aber ein bisschen mehr Schärfe, weniger Harmonie hätten dem Dialog mit Franziskus gutgetan. Wolton kommt die nötige Distanz gelegentlich abhanden. Der Soziologe steht dazu: Er ist Franziskus erlegen, ein agnostischer Papstfan.
    "Oui, cette homme m'a séduit, me plaît. Voila."
    Dominique Wolton/Papst Franziskus: Politique et societé. Les éditions de l'observatoire, Paris 2017. 472 Seiten, 18 Euro.