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Katja Lange-Müller über Probleme als Antrieb
Schriftstellerin mit links

In der Schule durfte Katja Lange-Müller nicht mit der linken Hand schreiben. "Entweder man vermeidet das Schreiben, oder man nimmt die Herausforderung an", sagte sie im Dlf. "Ich habe mir gesagt: Jetzt erst recht!" Ein Gespräch über Probleme als Wendepunkte, Humor und widerwillige Romanfiguren.

Katja Lange-Müller im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 30.07.2019
Das Foto zeigt die Schriftstellerin Katja Lange-Müller auf der Buchmesse 2016 in Frankfurt am Main.
Katja Lange-Müller auf der Buchmesse 2016 in Frankfurt am Main. (dpa / picture alliance / Sven Simon)
Der Lebenslauf der Schriftstellerin Katja Lange-Müller liest sich wie ein abwechslunsgreicher Abenteuerroman: Wegen frecher politischer Äußerungen flog sie in der DDR von der Schule, arbeitete als Hilfsschwester auf geschlossenen Psychiatrie-Stationen, absolvierte ein Praktikum in einer Teppichfabrik in Ulan Bator und übersiedelte 1984 von der DDR nach West-Berlin. Zwei Jahre später gewann sie beim Wettlesen am Wörthersee den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Linkshändig schreiben war verboten
Dabei waren ihre anfänglichen Schreib-Versuche in der Grundschule problematisch, erinnert sich die Schriftstellerin. Weil Lange-Müller eigentlich Linkshänderin ist, versuchte sie auch in der ersten Klasse, mit der linken Hand zu schreiben. Ihre Grundschullehrerin habe das aber unterbunden, so Lange-Müller.
"Wenn es einem so geht, gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder man vermeidet das Schreiben, oder man nimmt die Herausforderung an", sagte sie im Deutschlandfunk. "Ich habe mir gesagt: Jetzt erst recht!" Heute könne sie mit links und rechts gleichzeitig schreiben - "absolut stereo".
Figuren mit eigenem Willen
Schwierige Lebenssituationen seien für Schriftsteller grundsätzlich interessanter als problemlose Übergänge von einer Lebensphase in eine nächste. Es reize sie nicht, so Lange-Müller, "eine solche Versuchsanordnung literarisch durchzuspielen". Sie selbst fange immer erst an zu schreiben, wenn sie das Ende des Buches schon fest im Kopf habe. Dabei überlege sie, welche Figuren sie dafür nicht zu sehr manipulieren müsse, "damit sie tun, was ich von ihnen erwarte". Denn: "Die Figuren wehren sich oftmals auch gegen das, was man ihnen zumutet als Autor. Sie wollen einfach nicht so sein wie der Autor sie will."
Bei ihrem Buch "Die Letzten" habe sie sich mit der Figur des schweigsamen Schriftsetzers Willi selbst "eine Falle gebaut" - als es an der Zeit war, Willi ein Geheimnis verraten zu lassen, ging das nur, indem er einen Brief schrieb, statt darüber zu sprechen.
Komik als Wendepunkt
In ihren Werken nutze sie Komik als eine "Art Notwehr", so Lange-Müller. "Wenn ein großer Dicker einem kleinen schwächlichen Dünnen bedrohlich nahe kommt und ihm auf die Schnauze hauen will, hat der kleine Dünne nur eine Chance: Er muss den großen Dicken zum Lachen bringen. Dann haut er ihn nicht mehr."
Komik sei so auch mit Wendepunkten verbunden: "Wenn Du in einer bestimmten Situation, die explosiv ist, jemanden zum Lachen bringst, dann ist das ein Wendepunkt in der Geschichte. Auch in der Geschichte dieser Begegnung."
Mit zunehmendem Alter ist die Schriftstellerin nun etwas ruhiger geworden. "Als junger Mensch ist man unterwegs wie ein Blaulicht", sagte Lange-Müller. "Der Kopf dreht sich ständig. Irgendwann hat man genug ausprobiert und weiß sehr viel genauer, was man von sich erwarten und verlangen kann und was eben nicht. Mit nunmehr 68 komme ich nicht mehr auf die Idee, das Balletttanzen auszuprobieren."
Katja Lange-Müller wurde 1951 in Ost-Berlin geboren. Ihre Romane und Erzählungen wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt sie 1986 den Ingeborg-Bachmann-Preis, 2008 den Wilhelm Raabe-Literaturpreis und im Jahr 2013 den Kleist-Preis. "Drehtür", ihr jüngster Roman, ist 2016 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Katja Lange-Müller lebt in Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.