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Kein altes Eisen

Vielen Hochschulen droht derzeit eine regelrechte Pensionierungswelle. Allein in Nordrhein-Westfalen scheiden jährlich mehr als 300 Professorinnen und Professoren aus dem Dienst aus. Damit der Hochschulbetrieb nicht leidet, haben viele Bundesländer die Pensionierungsgrenze von 65 auf 68 Jahre angehoben. Das heißt: Immer mehr Studierende werden es in Zukunft mit sogenannten Seniorprofessoren zu tun bekommen.

Vo Michael Engel |
    33 Jahre lang arbeitete er als Stadtbaurat. Erst in Neustadt am Rübenberge, dann Wolfsburg, zuletzt in Bonn. 2006 war damit Schluss. Seit zwei Semestern unterrichtet Prof. Sigurd Trommer "Stadtplanung und Stadtentwicklung" an der Universität Kassel - als Seniorprofessor:

    "Es macht einen, ich kann sagen, diebischen Spaß mit den jungen Leuten zu arbeiten. Auch aus dieser Erfahrung, aus dieser gewissen Gesetztheit, die man hat. Man kann auch spielerisch durchaus arbeiten und das macht den jungen Leuten besonders Spaß, dass nicht alles so - ich sag' mal - bierernst auf Prüfungen zugeschnitten ist, sondern man versucht mit den jungen Leuten richtig miteinander zu arbeiten."

    Der 64-Jährige "Seniorprofessor" bringt jahrzehntelange Berufserfahrung mit - eine Ausnahme im Hochschulbetrieb. Als Dr. Achim Block gefragt wurde, ob er denn Germanistik an der Universität Hildesheim lehren möchte, war er schon seit vielen Jahren "Präsident des Niedersächsischen Landesprüfungsamtes für Lehrämter a. D." - außer Dienst:

    ""Ich bin damals schon fast 75 gewesen, und habe das auch als ein gewisses Abenteuer empfunden, quasi als Großvater vor die Enkelgeneration zu kommen. Das hat sich aber als völlig unproblematisch herausgestellt. Es ging mir zum Beispiel auch darum, dass ich keinerlei Honorar genommen habe, obwohl man es mir anbot, weil ich die Ressourcen für die Aktiven reserviert sehen wollte und nicht wollte, dass meine Tätigkeit irgend jemandem die Chance nimmt, auch nur einen Teilauftrag an der Universität zu bekommen."

    Seniorprofessorinnen und -Professoren entlasten die jüngere Generation, sie stärken das Wissenschaftspotential einer Hochschule, und sie bereichern das Studium, so die Ansicht von Prof. Horst Callies.

    "Die Studenten merken das sehr schnell, ob jemand aus einem tiefen Fundus von Wissen und Erfahrung agiert. Und es kommt hinzu, dass die Studenten wie übrigens auch die jüngeren Mitarbeiter jemanden mit Verbindungen mit besonderem, über viele Jahre geschulten Urteilsvermögen, über Verbindungen auch im Forschungsbereich zum Beispiel hat."

    Callies erarbeitete im Vorstand der "Gesellschaft für wissenschaftliche Kooperation der Generationen" einen Negativkatalog: Demnach sollen Seniorprofessoren nicht zu einer Verdrängung führen, indem vakante Stellen nicht oder mehr so zügig besetzt werden. Auch als Sparmodell für die Landeshaushalte sei das Konzept nicht geeignet: Vielmehr als eine zusätzliche Bereicherung der Universitäten:

    "... und ich kann mir sehr gut vorstellen: Wenn ein ehemaliger Professor oder eine Professorin in einer anderen Hochschule über die Altersgrenze hinaus tätig ist, dass dieses von der neuen Umgebung, von der Person aus, ebenfalls einen interessanten Kreativitätsschub in der anderen Hochschule sein wird. Wir sind ein Zeitlang davon ausgegangen, dass diese Seniorprofessuren in welcher Breite auch immer in der Regel gerade nicht in der eigenen Hochschule stattfinden soll, sondern woanders."

    Die Praxis indes sieht anders aus: Die Mehrzahl der Seniorprofessoren will an ihrer angestammten Hochschule bleiben, und statt zu lehren, möchten sie lieber mehr Zeit für die Forschung haben. Nur wenige Programme wie die "Hertie-Senior-Professur" oder "65 plus" in Niedersachsen setzen diese Ziele - und ausschließlich für hochkarätige Wissenschaftler mit internationalem Renommee, dann allerdings weit bis über die "70" hinaus. Prof. Erich Barke sieht das Thema "Seniorprofessur" sehr gelassen. Wir haben genug jungen Nachwuchs, um die Stellen zu besetzen, so der Präsident der Leibniz Universität Hannover.

    "Im Moment ist das Thema sehr populär. Und deswegen werden diese Fälle auch sehr breit dargestellt, obwohl es in Wirklichkeit Einzelfälle sind. Denn das Programm ist hier in Niedersachsen gerade einmal mit zwei Millionen Euro ausgestattet. Für ganz Niedersachsen ist das natürlich nicht die Welt. Aber vielleicht ist das ja auch gut so, dass wir wirklich eine strenge Auswahl treffen und Wissenschaftler suchen, die das absolut verdienen, wo überhaupt kein Zweifel aufkommt, dass das eine sinnvolle Konstruktion ist. Und nur die sollten das Geld nehmen."