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Kein Draufgänger und kein Gentleman

In Deutschland ist Stewart Granger bis heute vor allem als Old Surehand aus den Karl-May-Filmen bekannt. Dabei arbeitete er in seiner Karriere mit vielen herausragenden Regisseuren und Schauspielerkollegen. Seinen ursprünglichen Namen hat er schon früh abgelegt - wegen Verwechslungsgefahr.

Von Katja Nicodemus | 06.05.2013
    Er drehte mit Regisseuren wie Fritz Lang, George Cukor und Henry Hathaway, mit Partnerinnen wie Elisabeth Taylor, Deborah Kerr oder Ava Gardner. Aber für das deutsche Publikum war Stewart Granger vor allem Old Surehand: Der einzelgängerische Westerner, der sichere Schütze in Lederkluft und mit weißen Schläfen. Der Mann, der sich bei seinem ersten Auftritt in der Karl-May-Verfilmung "Unter Geiern" ein Zigarillo mit einem brennenden Span vom Lagerfeuer anzündet, dann ein halbes Dutzend Indianermörder vom Pferd schießt und seinen großen Freund in die Arme schließt:

    "Winnetou grüßt den großen Jäger Old Surehand und seinen Freund Old Webble."
    "Old Surehand und sein Freund sind dankbar, dass unsere Pfade sich kreuzen."

    Old Surehand war eine Altersrolle Stewart Grangers, und auch hier brachte er, wie immer, wenn er gut eingesetzt war, die Leinwand zum Leuchten. Mit seinen grünen Augen, seiner athletisch federnden Art, mit der für ihn typischen Mischung aus jungenhaftem Charme und Abgeklärtheit. Dieser Old Surehand hatte schon alles gesehen, und auch seinen Darsteller Granger konnte ein in Jugoslawien gedrehter deutscher Western, in dem der Franzose Pierre Brice einen Indianerhäuptling spielt, nicht erschüttern.

    "Nach 23 Jahren als Filmschauspieler habe ich praktisch jede Art von Rollen gespielt. Kostümrollen, Liebhaber und moderne Rollen. Ich habe in Amerika auch ein paar Western gedreht, bei denen ich nicht sehr gut war. Es ist eigentlich ganz komisch für einen Engländer in einem Western zu spielen. Trotzdem scheint es, dass ich als Karl May-Westerner ankomme. Das, verstehen Sie, ist ein Westerner und doch keiner. Denn Karl May, wie sie alle wissen, hat nie Amerika besucht. Und was er schrieb, war seine romantische Vorstellung davon, wie ein Western sein sollte."

    Schon der Beginn der Karriere Stewart Grangers war ein Schritt weg von der eigenen Identität: Am 6. Mai 1913 in London als James Lablanche Stewart geboren, musste er erst einmal den Namen wechseln, um nicht mit dem noch berühmteren amerikanischen James Stewart verwechselt zu werden. Nach ersten Jahren an Londoner Theatern machte er in Hollywood Karriere – und blieb als Schauspieler ein Zwischenwesen. Granger war als Draufgänger stets zu sehr Gentleman und als Gentleman zu draufgängerisch. Die Strategie, mit der er diesen Widerspruch auf der Leinwand auflöste, war eine augenzwinkernde ironische Distanz. Auch in der Rolle des Old Surehand:

    "Ich hatte, bevor ich in ‚Unter Geiern‘ spielte, noch nie ein Buch von Karl May gelesen. Ich fürchte, am Anfang war es dem deutschen Team nicht Recht, wie ich die Rolle angelegt habe. Ich habe sie komisch gesehen, sie hatten sie wohl mehr heroisch erwartet, aber das konnte ich nicht machen. Ich bin kein heldischer Typ."

    Am besten war Stewart Granger dann, wenn er den manchmal etwas plumpen Heroismus seiner Rollen unterwandern konnte. So wie bei einem seiner berühmtesten Auftritte, in Georges Sidneys Mantel-und-Degen-Drama "Scaramouche" aus dem Jahr 1952. In dem Film, der im Frankreich vor der Revolution angesiedelt ist, spielt Granger den Landedelmann Alain Moreau. Sein bester Freund, ein junger Revolutionär, wurde von einem arroganten Aristokraten, gespielt von Mel Ferrer, umgebracht. Beim Degenduell sucht Moreau Rache. Während Mel Ferrer elegant den Degen führt, benutzt Stewart Granger die Waffe wie eine Axt. Voller Wut und Leidenschaft drischt er auf seinen Gegner ein, spielt lustvoll den Fechter, der nicht fechten kann, und der schließlich einfach die Pistole aus der Satteltasche zieht:

    "Ja, ich werde sie töten. Aber nicht mit dieser Pistole. Sie sollen genauso sterben wie er: durch den Degen. Schritt um Schritt sollen Sie zurückgedrängt werden, bis Sie so hilflos dastehen, wie er es tat."

    Sechzig Filme drehte Stewart Granger, der 1993 mit 80 Jahren im kalifornischen Santa Monica starb. Er spielte Husaren, Soldaten, Büffeljäger, Kolonialoffiziere, Könige und auch mal den biblischen Lot. Er wagte es, die Kluft zwischen eigenem Anspruch und mittelmäßigen Drehbüchern, schauspielerischer Möglichkeit und filmischer Wirklichkeit spürbar werden zu lassen. Vielleicht mochte ihn das Publikum gerade deshalb, weil seine hybriden, schillernden, manchmal etwas deplatzierten Figuren ihn auf der Leinwand so menschlich machten.