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"Kein Kunstwerk geht verloren"

15 Millionen Euro könnte das Lehmbruck Museum in Duisburg erlösen, wenn es die Skulptur "Das Bein" von Alberto Giacometti verkaufen würde. Direktor Raimund Stecker verteidigt das Gedankenspiel und glaubt an "die Großzügigkeit von Privatsammlern".

Direktor Raimund Stecker im Gespräch |
    Katja Lückert: Das Lehmbruck Museum in Duisburg besitzt die größte museale Giacometti-Werkgruppe in Deutschland. Eines seiner Hauptwerke, die Skulptur ""Das Bein" aus dem Jahr 1958, soll nun unter anderem von dem Museum an einen Sammler für rund 15 Millionen Euro verkauft werden. Allerdings hat diese Verkaufsankündigung bei Kunstkritikern und anderen Experten zum Teil Protest, aber auch Verständnis hervorgerufen. Zumindest wird der Fall nun auch exemplarisch diskutiert werden, also die Frage: Darf ein Museum Teile seines Bestandes, auch gegebenenfalls aus dem Depot, verkaufen? Und wenn ja, welche Gründe darf es für einen solchen Verkauf geben?

    Fragen an den Direktor des Lehmbruck-Museums, Raimund Stecker. Herr Stecker, hätten Sie gedacht, dass Sie mit der Ankündigung, eine Skulptur zu verkaufen, derart in die Schlagzeilen geraten?

    Raimund Stecker: Ja. Das war uns relativ klar, dass wir in die Schlagzeilen kommen. Es gibt nur einen fundamentalen Unterschied: Zum einen wollen wir nicht verkaufen. Wir fragen, ob wir verkaufen können. Und wir wollen nicht verkaufen oder wir müssen nicht verkaufen, um irgendetwas zu machen, sondern es geht uns dezidiert darum, die Sammlung zu schärfen. Wir hatten diese große Giacometti-Ausstellung im Jahre 2010 im Hause. Sie drehte sich um die "Frau auf dem Wagen", das ist wirklich unser absolutes Masterpiece. Im Rahmen dieser Ausstellung kam ein Bild mit ins Haus, nämlich das Bild, das Giacometti an seine Atelierwand gemalt hat, als er diese Skulptur geschaffen hat. Dann kam als Leihgabe aus Amerika das Bild ins Haus, und "Das Bein" war in der Ausstellung 2010 nicht Teil der Ausstellung.

    Lückert: Das heißt, Sie wollten dieses Bild, von dem jetzt die Rede war, gerne erwerben, gewisserweise im Tausch, ja?

    Stecker: Genau. Die ganze Ausstellungskonzeption hat mir gesagt, dieses Bild muss eigentlich nach Duisburg. Dann gibt es Preise, die marktüblich sind, und ich bin einfach zwei Jahre überall nicht dazu gekommen, die erste Million zu bekommen, um mit der Dame in Verhandlung zu treten, dieses Bild für Duisburg zu sichern.

    Lückert: Nun meldete ja die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gestern, dieses "Bein", um das es jetzt ging, sei dem Lehmbruck-Museum vom Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie geschenkt worden und es dürfe gar nicht verkauft werden. Wie ist denn Ihre Haltung dazu?

    Stecker: Dass die Diskussion überhaupt in der Öffentlichkeit ist, kommt durch eine Indiskretion zustande. Wir mussten jetzt in die Offensive gehen mit unseren Argumenten. Dort gibt es Gespräche. Ich bin nicht unoptimistisch, dass wir die "Frankfurter Allgemeine" auch widerlegen können.

    Lückert: Das heißt, es wurde doch nicht geschenkt?

    Stecker: Es ist die Frage, wie Schenkende mit ihren Geschenken umgehen, wenn sie es geschenkt haben. Da muss man wirklich ganz klar und sehr offensiv mit den Leuten reden. Das steht noch aus, da hat Herr Rossmann Recht. Aber wir sind sehr optimistisch.

    Lückert: Herr Stecker, es gibt ja einen Reformstau in Ihrem Haus. Es wäre also auch nötig gebrauchtes Geld, was da durch einen solchen Verkauf ins Haus käme. Oder sind das zwei ganz verschiedene Töpfe?

    Stecker: Es sind zwei verschiedene Dinge in der momentanen Stiftungslage.

    Lückert: Und man kann auch solches Geld aus einem Verkauf nicht nutzen, um Türklinken zu renovieren oder so was?

    Stecker: In der momentanen Situation ist das unmöglich, ja.

    Lückert: Es gibt ja – in Amerika nennt man das Deaccessioning – dieses beständige Verändern der Sammlung durch Wegnehmen von Bildern. Ist man in Deutschland da zu schwerfällig nach Ihrer Einschätzung? Was haben Sie sonst noch für Erfahrungen, wie wird das gehandhabt in Europa?

    Stecker: Also ich habe im letzten Jahr auf dem Deutschen Kunstjuristentag in Heidelberg einen Vortrag dazu gehalten und habe mich da auch sehr offen gezeigt. Ich bin in der Tat der Meinung – das habe ich im letzten Jahr in der "Welt" auch schon mal publiziert –, wenn wir zwei, drei Nicht-Lebzeiten-Güsse von Lehmbruck hätten, die wir doppelt haben, und könnten die abgeben und dafür einen Lebzeiten-Guss erhalten, halte ich das unter kunsthistorischen Gesichtspunkten für total richtig, dies zu tun.

    Lückert: Die Frage ist ja immer nur, wohin geraten dann diese Bilder oder diese Skulpturen. Wenn Sie sozusagen Museen gegen Museen tauschen, ist es ja was anderes, als wenn irgendjemand das in sein Haus tut und dann sieht man es nie wieder in der Öffentlichkeit.

    Stecker: Ich muss dazu sagen: erst mal bin ich ein ganz großer Fan von Privatsammlungen. Ich weiß um die Großzügigkeit von Privatsammlern und ich glaube, dass wir alle gut beraten sind, dass wir die Globalisierung auch wirklich begreifen als global. So wie kein Quäntchen Energie verloren geht, geht auch kein Kunstwerk verloren. Lassen Sie uns optimistisch sein, lassen Sie uns von überkommenen Regionalkategorien einfach mal Abstand nehmen und sagen: Wenn wir diese beiden Giacomettis, nämlich die Skulptur, die dem Freundeskreis gehört als Dauerleihgabe im Lehmbruck-Museum, mit diesem Bild, das an der Atelierwand Giacomettis entstanden ist, wenn wir das zusammen haben, dann sind wir weltweit zum Thema Giacometti, zu diesem Abschnitt der Werkentwicklung, einfach absolut ganz, ganz oben.

    Lückert: Raimund Stecker, der Direktor des Lehmbruck-Museums in Duisburg, zur Diskussion um den Verkauf der Giacometti-Skulptur "Das Bein" war das.