Auf einer offenen Kutsche wurde Kurt Landauer durch München gefahren, Tausende standen am Straßenrand und applaudierten. Unter dem Vereinspräsidenten Landauer, einem stets akkurat gekleideten Mann von mächtiger Statur, war der FC Bayern 1932 zum ersten Mal Deutscher Fußballmeister geworden. Landauer, der Sohn eines jüdischen Kaufmanns, hatte den Klub zu einer anerkannten Adresse mit guten Kontakten geformt.
Uri Siegel, Jahrgang 1922, kann die Szenen von damals beschreiben, als wären sie gestern gewesen:
"Wir haben uns das Spiel mit Kopfhörern in Untergrainau im Landhaus meiner Tante angehört. Mit Kopfhörern, das muss man sich vorstellen."
Siegel ist Landauers letzter lebender Angehöriger. Onkel Kurt ist seit bald fünfzig Jahren tot, doch erst jetzt wächst wieder das Interesse an ihm. Landauer war in Vergessenheit geraten, dabei hat der Münchner Fußball ihm viel zu verdanken. Vielleicht würde es den FC Bayern, seinen Ruhm und seine Rekorde, ohne Kurt Landauer heute gar nicht geben.
Fast zwanzig Jahre mit Unterbrechungen ist Landauer Präsident des FC Bayern gewesen. Nach dem Gewinn der Meisterschaft 1932 folgten jedoch viele Demütigungen durch die Nazis. Uri Siegel erinnert sich:
"Er musste 1933 zurücktreten, die Bayern wollten ihn halten, sie haben verschiedene Kompensationen versucht, er hat gesagt, nein, er tritt zurück"
Fünf Jahre später wurde Landauer ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. 33 Tage war er in Baracke Nummer acht inhaftiert. Dort, wo in der vergangenen Woche der 125. Geburtstag Landauers begangen wurde. Sein Neffe Uri Siegel sprach vor den Gästen, auch Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge war gekommen. Sie saßen in der Versöhnungskirche, umgeben von niedrigen Waschbetonwänden. Gemeinsam legten sie einen rot-weißen Kranz nieder, in den Farben ihres Vereins.
Landauer hatte Dachau mit Glück entkommen können, wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg. Er flüchtete in die Schweiz, doch vier seiner Geschwister wurden von den Nazis ermordet. Trotz dieser Tragödien kehrte er 1947 zurück nach München. Landauer bewarb sich bei den amerikanischen Besatzern um die Lizenz, den FC Bayern wieder aufbauen zu dürfen. Er ebnete den Weg für erfolgreiche Jahrzehnte. Das Fundament für den heutigen Rekordmeister.
Als Legende wird Landauer beim FC Bayern allerdings nicht betrachtet. Wer auf der Internetseite des Vereins in der Suchmarke den Namen des Managers Uli Hoeneß eingibt, erhält 1646 Einträge, bei Landauer ist es nicht ein einziger. Als er 1961 starb, illustrierte die Vereinszeitschrift einen Nachruf mit einem Kruzifix, von jüdischen Wurzeln war keine Spur. Der Historiker Anton Löffelmeier, der seit 15 Jahren den Münchner Fußball erforscht, bringt es auf den Punkt:
"Für die Bayern zählen die letzten 30 Jahre, ab den siebziger Jahren, die Europapokalsiege, auch die Generation, die jetzt in der Geschäftsführung und im Präsidium ist, stammt aus dieser Zeit. Und das historische Bewusstsein ist da auch nicht weit."
Ist es Ignoranz, Unwissenheit oder Kalkül? Will der FC Bayern keine politisch-religiösen Fragen beantworten, womöglich mit Blick auf den lukrativen arabischen Markt? Auch während der Gedenkveranstaltung in Dachau gaben sich die Klubchefs zurückhaltend. Man wolle alle Menschen ansprechen, sagte Vizepräsident Fritz Scherer, fernab von Politik und Religion. Das einzige, was stets im Vordergrund gestanden hätte, seien die Lederhosen gewesen. Manager Uli Hoeneß ist vor einigen Jahren noch deutlicher geworden. Eine Reporterin wies er mit den Worten ab, er habe nicht in Landauers Zeit gelebt.
Der jüdische Nachlass ist nur für jene sichtbar, die genau hinschauen wollen. Ein Beispiel ist der Kurt-Landauer-Weg, am Münchner Stadtrand gelegen, im Nirgendwo zwischen Autobahn und Arena. Nicht der reiche FC Bayern oder die Stadtoberhäupter sind es, die das Erbe Landauers würdigen, sondern Persönlichkeiten wie Eberhard Schulz von der Versöhnungskirche Dachau oder Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden.
Im Oktober werden Makkabi München und die Versöhnungskirche eine zweite Veranstaltung zum Andenken Landauers geben, dazu sind eine Ausstellung, ein Konzert gegen Rassismus und ein Familienfest geplant. Eine Jugendorganisation möchte zudem einen Film über Landauer drehen. Dass Fußball eine pädagogische Brücke in die Geschichte schlagen kann, bestätigt auch Dietrich Schulze-Marmeling. Der Publizist arbeitet ehrenamtlich als Trainer. Vor kurzem ist er mit seinem Jugendteam in die KZ-Gedenkstätte Dachau gefahren:
"Wir hatten in dieser Mannschaft einige Bayern-Fans, und wir haben darüber einen Bezug zu diesem Thema hergestellt. Und das habe ich in außerordentlich positiver Erinnerung. Ich bin heute noch froh, dass ich das gemacht habe. Weil die Jugendlichen anschließend in ihren Zimmern über das Gesehene und Gehörte gesprochen haben."
Fußball als Geschichtsstunde. Der FC Bayern hat mehr Erfolge vorzuweisen als die Tore des Stürmers Gerd Müller oder die Paraden des Torhüters Sepp Maier. Der Verein hatte während des Nationalsozialismus lange seine jüdischen Mitglieder geschützt, die seit der Gründung eine wichtige Rolle gespielt hatten. Erst zehn Jahre nach Landauers Rücktritt war die Führung gleichgeschaltet. Bekannt ist dieser Widerstand nur wenigen. Historiker Anton Löffelmeier sieht darin eine vergebene Chance, für ihn kann auch die Historie einen Marketingwert haben.
Das gilt vor allem für den FC Bayern, viele Anekdoten um Kurt Landauer sind nahezu unbekannt, auch diese: 1940 bestritt der FC Bayern ein Spiel in Genf, im Exil Landauers. Die Spieler erspähten ihren früheren Präsidenten auf der Tribüne, während der Halbzeit stiegen sie hinauf, begrüßten ihn herzlich. Sie wussten, was sie Landauer zu verdanken hatten. Zu einer Tradition ist diese Dankbarkeit nicht geworden.
Uri Siegel, Jahrgang 1922, kann die Szenen von damals beschreiben, als wären sie gestern gewesen:
"Wir haben uns das Spiel mit Kopfhörern in Untergrainau im Landhaus meiner Tante angehört. Mit Kopfhörern, das muss man sich vorstellen."
Siegel ist Landauers letzter lebender Angehöriger. Onkel Kurt ist seit bald fünfzig Jahren tot, doch erst jetzt wächst wieder das Interesse an ihm. Landauer war in Vergessenheit geraten, dabei hat der Münchner Fußball ihm viel zu verdanken. Vielleicht würde es den FC Bayern, seinen Ruhm und seine Rekorde, ohne Kurt Landauer heute gar nicht geben.
Fast zwanzig Jahre mit Unterbrechungen ist Landauer Präsident des FC Bayern gewesen. Nach dem Gewinn der Meisterschaft 1932 folgten jedoch viele Demütigungen durch die Nazis. Uri Siegel erinnert sich:
"Er musste 1933 zurücktreten, die Bayern wollten ihn halten, sie haben verschiedene Kompensationen versucht, er hat gesagt, nein, er tritt zurück"
Fünf Jahre später wurde Landauer ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. 33 Tage war er in Baracke Nummer acht inhaftiert. Dort, wo in der vergangenen Woche der 125. Geburtstag Landauers begangen wurde. Sein Neffe Uri Siegel sprach vor den Gästen, auch Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge war gekommen. Sie saßen in der Versöhnungskirche, umgeben von niedrigen Waschbetonwänden. Gemeinsam legten sie einen rot-weißen Kranz nieder, in den Farben ihres Vereins.
Landauer hatte Dachau mit Glück entkommen können, wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg. Er flüchtete in die Schweiz, doch vier seiner Geschwister wurden von den Nazis ermordet. Trotz dieser Tragödien kehrte er 1947 zurück nach München. Landauer bewarb sich bei den amerikanischen Besatzern um die Lizenz, den FC Bayern wieder aufbauen zu dürfen. Er ebnete den Weg für erfolgreiche Jahrzehnte. Das Fundament für den heutigen Rekordmeister.
Als Legende wird Landauer beim FC Bayern allerdings nicht betrachtet. Wer auf der Internetseite des Vereins in der Suchmarke den Namen des Managers Uli Hoeneß eingibt, erhält 1646 Einträge, bei Landauer ist es nicht ein einziger. Als er 1961 starb, illustrierte die Vereinszeitschrift einen Nachruf mit einem Kruzifix, von jüdischen Wurzeln war keine Spur. Der Historiker Anton Löffelmeier, der seit 15 Jahren den Münchner Fußball erforscht, bringt es auf den Punkt:
"Für die Bayern zählen die letzten 30 Jahre, ab den siebziger Jahren, die Europapokalsiege, auch die Generation, die jetzt in der Geschäftsführung und im Präsidium ist, stammt aus dieser Zeit. Und das historische Bewusstsein ist da auch nicht weit."
Ist es Ignoranz, Unwissenheit oder Kalkül? Will der FC Bayern keine politisch-religiösen Fragen beantworten, womöglich mit Blick auf den lukrativen arabischen Markt? Auch während der Gedenkveranstaltung in Dachau gaben sich die Klubchefs zurückhaltend. Man wolle alle Menschen ansprechen, sagte Vizepräsident Fritz Scherer, fernab von Politik und Religion. Das einzige, was stets im Vordergrund gestanden hätte, seien die Lederhosen gewesen. Manager Uli Hoeneß ist vor einigen Jahren noch deutlicher geworden. Eine Reporterin wies er mit den Worten ab, er habe nicht in Landauers Zeit gelebt.
Der jüdische Nachlass ist nur für jene sichtbar, die genau hinschauen wollen. Ein Beispiel ist der Kurt-Landauer-Weg, am Münchner Stadtrand gelegen, im Nirgendwo zwischen Autobahn und Arena. Nicht der reiche FC Bayern oder die Stadtoberhäupter sind es, die das Erbe Landauers würdigen, sondern Persönlichkeiten wie Eberhard Schulz von der Versöhnungskirche Dachau oder Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden.
Im Oktober werden Makkabi München und die Versöhnungskirche eine zweite Veranstaltung zum Andenken Landauers geben, dazu sind eine Ausstellung, ein Konzert gegen Rassismus und ein Familienfest geplant. Eine Jugendorganisation möchte zudem einen Film über Landauer drehen. Dass Fußball eine pädagogische Brücke in die Geschichte schlagen kann, bestätigt auch Dietrich Schulze-Marmeling. Der Publizist arbeitet ehrenamtlich als Trainer. Vor kurzem ist er mit seinem Jugendteam in die KZ-Gedenkstätte Dachau gefahren:
"Wir hatten in dieser Mannschaft einige Bayern-Fans, und wir haben darüber einen Bezug zu diesem Thema hergestellt. Und das habe ich in außerordentlich positiver Erinnerung. Ich bin heute noch froh, dass ich das gemacht habe. Weil die Jugendlichen anschließend in ihren Zimmern über das Gesehene und Gehörte gesprochen haben."
Fußball als Geschichtsstunde. Der FC Bayern hat mehr Erfolge vorzuweisen als die Tore des Stürmers Gerd Müller oder die Paraden des Torhüters Sepp Maier. Der Verein hatte während des Nationalsozialismus lange seine jüdischen Mitglieder geschützt, die seit der Gründung eine wichtige Rolle gespielt hatten. Erst zehn Jahre nach Landauers Rücktritt war die Führung gleichgeschaltet. Bekannt ist dieser Widerstand nur wenigen. Historiker Anton Löffelmeier sieht darin eine vergebene Chance, für ihn kann auch die Historie einen Marketingwert haben.
Das gilt vor allem für den FC Bayern, viele Anekdoten um Kurt Landauer sind nahezu unbekannt, auch diese: 1940 bestritt der FC Bayern ein Spiel in Genf, im Exil Landauers. Die Spieler erspähten ihren früheren Präsidenten auf der Tribüne, während der Halbzeit stiegen sie hinauf, begrüßten ihn herzlich. Sie wussten, was sie Landauer zu verdanken hatten. Zu einer Tradition ist diese Dankbarkeit nicht geworden.