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Kein Spiegelbild

Immer wieder wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft als Symbol für gelungene Integration interpretiert. Wie steht es um das deutsche Olympiateam? Der Deutsche Olympische Sportbund hat verkündet, dass zwei Dutzend seiner Sportler in London einen Migrationshintergrund haben, bei 392 deutschen Athleten sind das rund sechs Prozent. Insgesamt haben in der Bundesrepublik etwa 19 Prozent der Bevölkerung Wurzeln außerhalb Deutschlands. Warum also sind die Olympioniken kein Spiegelbild ihrer Gesellschaft?

Von Ronny Blaschke |
    Für die Wissenschaft ist es keine Überraschung, dass der Teamsport Fußball einen leichteren Zugang für Menschen mit Migrationshintergrund bietet. Der Sportsoziologe Eike Emrich aus Saarbrücken.

    "Im Sport wirkt die soziale Ungleichheit im Kern ähnlich wie im Bildungsbereich und Fußball ist traditionsgemäß von seiner Herkunft her sehr stark auch ein Arbeitersport gewesen, deshalb hat er historisch sehr früh viele Menschen mit Migrationshintergrund in seinen Reihen zählen können."

    Laut dem Sportentwicklungsbericht 2010 liegt die Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Breitensport bei 9,3 Prozent. Der Bericht, der auf Vereinsangaben basiert, weist ein Gefälle auf. Im Fußball gibt er den Migrationsanteil mit 20 Prozent an, bei den Kanuten mit sieben, bei den Schützen mit fünf Prozent. Der Sportsoziologe Silvester Stahl ordnet Sportarten wie Rudern, Reiten oder Hockey eher der bildungsnahen Mittelschicht zu. Stahl lehrt an der Sporthochschule Köln, in einer Studie hat er die "Selbstorganisation von Migranten im deutschen Vereinssport" untersucht, auch die geringe Beteiligung von Mädchen und Frauen.

    "Das hat ein bisschen damit zu tun, dass in vielen Herkunftsländern der Migranten, die in Deutschland sind, eben die Sportbeteiligung von Frauen längst nicht Selbstverständlichkeit ist."
    Es gibt andere Beispiele: Das Ringen genießt in der Türkei oder im Iran hohe Anerkennung, das wirkt sich auf deutsche Vereine aus. Auch das Boxen ist beliebt bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Für Michael Vesper, den Generaldirektor des DOSB, sind Vereine an der Basis wichtige Instanzen für Zuwanderer, um Selbstvertrauen, Deutschkenntnisse und Zugehörigkeit zu entwickeln.

    "Unsere Mannschaft ist viel bunter und vielseitiger geworden als früher. Also heute ist Integration fast nichts Besonderes mehr. Und diese Sportlerinnen und Sportler sind ja auch ein Symbol, und die strahlen deswegen auch aus, und das wollen wir. Und das sind Sportler, die voll integriert sind, die aber auch dafür stehen, dass Integration durch Sport am einfachsten ist. Da braucht es keine komplizierten Regelungen, sondern Sport und Integration funktionieren Hand in Hand."

    Die Tennisspielerin Andrea Petkoviæ: zog mit ihren Eltern nach der Geburt aus Bosnien/Herzegowina nach Deutschland. Der Schwimmer Dimitri Colupaev: kam im sechsten Lebensjahr aus Moldawien. Der Turner Marcel Nguyen: geboren in München mit vietnamesischen Wurzeln, war nie in der Heimat seines Vaters. Der DOSB möchte künftig mehr auf diese unterschiedlichen Lebensläufe seiner Sportler aufmerksam machen. Er hat viele Integrationsprojekte angestoßen, das verbandsnahe Magazin Faktor Sport überschrieb die Debatte mit dem Titel Schwarzrotbunt. Ob auf der Amateursportebene das gleiche Ziel verfolgt wird? Der Sportsoziologe Eike Emrich.

    "Ich glaube nicht, dass das ein wichtiger Punkt auf dem Radar der Sportfunktionäre momentan in Deutschland ist, sondern man sollte auch darüber nachdenken, wie man in den Funktionärsführungsriegen den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund angemessen abbildet, um den Zugang von Menschen zum Sporttreiben zu erleichtern. Und andererseits auch die, die bereits Sport treiben, angemessen abzubilden in den Führungsriegen."

    Laut einer Studie der Universität Frankfurt sind weniger als fünf Prozent der erwachsenen Einwanderer in Sportklubs ehrenamtlich aktiv, sie fehlen Kindern und Jugendlichen als Vorbilder in Funktionärs- und Schiedsrichterstrukturen. Der Migrantenanteil in Deutschland soll noch etwa drei Jahrzehnte wachsen. Künftige Olympiamannschaften werden auf Zuwanderer angewiesen sein, um im viel beachteten Medaillenspiegel nicht abzurutschen und staatliche Förderung zu verlieren. Doch bislang haben sich wenige Verbände auf den demografischen Wandel eingestellt. Eine Ausnahme ist der Deutsche Basketball-Bund, der Broschüren an Trainer und Lehrkräfte verteilt. Der Sportsoziologe Silvester Stahl.

    "Also es geht zum einen darum, Hindernisse abzubauen, Hindernisse, die darin bestehen können, dass Bedürfnisse, Besonderheiten nicht berücksichtigt werden. Zum Beispiel den Umgang mit Nacktheit, das gleiche gilt für das sprichwörtliche Bier nach dem Training, das ja in vielen Sportvereinen in Deutschland zur Vereinskultur gehört. Das ist gerade für viele Muslime nicht akzeptabel. Es geht im Wesentlichen darum, qualifiziertes Personal zu haben, das interkulturelle Kompetenzen hat."

    Der DOSB will die Fachverbände intensiver in die Debatte einbeziehen. Generaldirektor Michael Vesper sagt, es sei eine Frage der Zeit, bis der deutsche Fahnenträger bei Olympia eine Einwanderungsgeschichte hat.