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Kein Tag ohne Linie

Im neuen Paul-Klee-Zentrum in Bern soll nicht nur Kunst sondern auch Musik und kreatives Arbeiten mit Kindern und Erwachsenen fokussiert werden. Die Erfahrung des künstlerischen Sehens aber bleibt der Mittelpunkt. Um das umzusetzen hat der italienische Architekt Renzo Piano die Ausstellungsräume dem Oeuvre Klees perfekt angepasst. Die Sammlung umfasst unglaubliche 4000 Werke des Künstlers.

Von Christian Gampert | 19.06.2005
    Es soll Musik thematisiert sein, kreatives Arbeiten mit Kindern und mit erwachsenen Kindern, wenn man so will, also das Umsetzen der künstlerischen Seh-Erfahrung im Museum wiederum in eine Praxis. Mit jungen Künstlern soll in der Sommerakademie gearbeitet werden, es sollen Kongresse stattfinden, es wird Theater gespielt, Musik wird ganz entscheidend sein.

    "Monument im Fruchtland" heißt, nach einem Werk von Paul Klee, dieses Kulturzentrum im Untertitel und Straßennamen. Und es ist erstaunlich, wie virtuos der Architekt Renzo Piano die Vorgaben des Kleeschen Oeuvres in einem streng determinierten Raum aufgegriffen hat: unten, ganz nahe, lärmt noch die Autobahn, oben, hinter einem Wall, herrscht relative Ruhe und Abgeschiedenheit.

    Schon wenn man den Hügel empor geht wird klar, dass Piano nicht nur die Berner Berge, sondern Klees Motto der letzten Lebensjahre, "Kein Tag ohne Linie", sich zum architektonischen Leitmotiv gemacht hat. In drei großen Wellen, in Linien erhebt sich dieses vor allem aus Stahl und Glas bestehende luftige Gebäude, drei ineinander fließende weite Hallen mit klar definierten Funktionen: links ein großer Veranstaltungssaal und ein Museum für Kinder, das eigentlich eine Werkstatt ist; in der Mitte, auf zwei Stockwerken, die Präsentation der Sammlung, 4000 Klee-Werke haben die hier, das ist unglaublich; rechts Verwaltung und Wissenschaft.

    Geht man um die drei in den Berg hinein gebauten Röhren herum, so blickt man auf grünes Land - rechts eine Wohnsiedlung, dann ein Skulpturengarten, und linkerhand stehen in der Hitze friedlich zwei Esel vor ihrem Bauernhof. Die drei stählernen Häuser-Wellen ragen, wenn man sie nun von hinten betrachtet, wie Schanzentische ins hier noch recht freundliche Gebirge hinein, Schanzen in die andere Welt der Kunst.

    Renzo Piano hat ja auch die ganz anders, nämlich als Quader konzipierte Fondation Beyeler in Basel gebaut – und ähnlich wie da gibt es auch in Bern eine alte Villa mit Restaurant im Park gleich neben dran. Hier ist also gut sein; gleichwohl wird es einem etwas schummrig vor soviel Schweizer Wohlstand. Die Errichtung des Klee-Zentrum wurde, bei einem Investitionsvolumen von 110 Millionen Franken, mit keinem einzigen Rappen öffentlicher Gelder bezuschusst.

    Die Familie Klee gab die Werke; eine in der Hauptsache - 60 Millionen - von dem schwerreichen orthopädischen Chirurgen Maurice E. Müller finanzierte Stiftung sponserte den Bau und gab Grundstücke; Stadt und Region steuerten weiteres Bauland bei und stehen für den Betrieb des Zentrums gerade. Der Berner Regierungsrat Peter Schmid appellierte bei der Pressekonferenz leicht ironisch an andere Millionäre, doch auch mal was von ihren "Geld-Haufen" herauszurücken.

    Das Zentrum aber will vor allem schöpferische Prozesse anstoßen, sagt der künstlerische Leiter Tilman Osterwold, es will Frucht bringen:

    " Der Zentrumsgedanke ist interdisziplinär angelegt. Es soll Musik thematisiert sein, kreatives Arbeiten mit Kindern und mit erwachsenen Kindern, wenn man so will, also das Umsetzen der künstlerischen Seh-Erfahrung im Museum wiederum in eine Praxis. Mit jungen Künstlern soll in der Sommerakademie gearbeitet werden, es sollen Kongresse stattfinden, es wird Theater gespielt, Musik wird ganz entscheidend sein. Und das hat natürlich damit zu tun, dass Paul Klee ein Künstler ist – wie kein anderer seiner Generation, da bin ich ganz sicher – der sich ganz intensiv mit vielen Facetten der Kulturen beschäftigt hat. "

    Denn Paul Klee war ja nicht nur Maler, sondern auch ein begnadeter Violinist; er hat sich für Literatur und Sprachphilosophie ebenso interessiert wie für Anthropologie und Naturwissenschaften. Das alles zusammenzubringen, ist fast unmöglich, denn diese drei flachgelegten Wellen sind nicht das Centre Pompidou; aber sympathisch ist, dass man das Kindliche, die Produktivität des Kindlichen in Klees Werk gesehen hat und nun heutigen Kindern die Möglichkeit eröffnet, unter Anleitung im Museum zu zeichnen und zu malen.

    Die erste Klee-Sonderausstellung, die Tilman Osterwold im Untergeschoß zeigt, führt uns die Zeichnungen der letzten Lebensjahre vor, diese verzweifelte Produktivität des schon tödlich erkrankten Klee, als eben die Linie wieder dominant wird als Mittel, auf einem Blatt sowohl abstrakt wie auch gegenständlich zu sein.

    Oben, in der großen Schau, die aus den 4000 Klee-Werken schöpfen kann, sind dann alle Werkphasen präsent, vor allem Gemälde; Osterwold hat den Parcours, auch hier ein Klee-Motiv aufgreifend, labyrinthisch angelegt, aber übersichtlich parzelliert, auf großzügige Weise verwinkelt – natürlich gibt es da auch eine Chronologie vom Frühwerk über Blauen Reiter, Tunis-Reise, Bauhaus, Düsseldorfer pointillistisch-abstrakte Fröhlichkeit, Vertreibung durch die Nazis ins heimatlich Berner Exil und Depression und Krankheit.

    Aber die Bezüge zwischen diesen luftig gehängten Werken muss der Besucher schon selber herstellen. Programmatisch bleibt das von Osterwold zentral, gleich am Eingang gehängte Gemälde "Übermut" von, notabene, 1939: eine kahle, weit verzweigte Figur schiebt sich mit sattem Rot über ein doch eher blässliches Braun. So soll es sein, dieses Zentrum: übermütig. Und, auch in schwierigen Zeiten, produktiv.