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Keine Antwort auf die Frage nach dem Aufstand

Die Theatergruppe "andcompany & co" inszeniert ein Stück von Alexander Karschnia nach Schiller. Alles, was zum Reizwort "Aufstand" passt, wird vorgetragen - ohne merkbare dramaturgische Kontrolle.

Von Hartmut Krug | 24.02.2012
    Sie treten mit großen Pappmaché-Eiern vor das Publikum, neun Männer mit Halskrausen und einer ärmlichen Wolldeckenbekleidung, wie sie die niederländischen Freiheitskämpfer, die Geusen trugen. Doch die Eier sind nur Sitzgelegenheiten, denn Neues brütet dieser Abend nicht aus. Er ist ein Remix aus bekannten Texten: etwas Schiller, etwas Marx, viel aus dem französischen Pamphlet "Der kommende Aufstand" aus dem Jahr 2007. Und die ärmliche Bekleidung zitiert die der Geusen, die sich als Bettler ausstaffierten. Doch die neun Schauspieler erklären, sie seien Schauspieler und bei einer Besetzungsprobe.

    "Habt keine Angst. Don´t fear. We are only actors. And we dressed up as beggars. Because wir proben hier den Aufstand."

    Die Schauspieler tragen ihre Texte in einem Vier-Sprachen-Mischmach vor. Jeder tritt einmal vor seine Mitspieler und spricht Sätze, die diese chorisch nachsprechen. Auch das Publikum wird dazu animiert und soll außerdem die Gesten nachmachen, die die Occupy-Bewegung als eingreifende Kommentare bei Reden in Madrid erfunden habe. All das nervt in seiner Redundanz und Penetranz bald. Es ist eben nur ein Einfall für Schmunzeltheater ohne szenische Kraft, wenn das Publikum ebenfalls ein wenig mit den Händen wedeln darf.

    Dagegen schrieb Schiller, er achte es mit seiner Schrift "Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung" nicht des Versuchs unwert, "in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken und ein neues unverwerfliches Beispiel zu geben, was Menschen wagen dürfen für die gute Sache, und ausrichten mögen durch Vereinigung." Die andcompany&Co nimmt Schillers Schrift, diese zitierend mit dem Satz "Das Volk, das wir hier aufstehen sehen, war das friedfertigste dieses Weltteils", zur Folie, vor der sie allerlei fremde Texte, eigene Ideen und soziale Verhaltensweisen weniger befragt als aufzählt. Und während im südamerikanischen Bergwerk das Silber, das hier ein Papiervorhang für die Bühne ist, für den König von Spanien gehauen wird, wird eine grundsätzliche Frage gestellt, auf die der Abend keine Antwort geben kann:

    "Wie sieht er denn aus, wer ist denn der Aufstand? Wer steht hier auf? Wo ist er dann, der Aufstand?"

    Szenen aus Schillers "Don Carlos" durchziehen den kaum zweistündigen Abend - "natürlich" parodiert. Also mit großen, armausbreitenden Gesten oder auf den Knien. Und Posas mehrfach als Pose vorgetragene Forderung "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit" wird konfrontiert mit Carlos' lautem Bekenntnis "Ich liebe meine Mutter." Politik und Leben, Geld und Waren, Markt und Menschen, Menschenliebe und Liebe zu einem einzelnen Menschen, sich fügen oder aufstehen, - das sind so die Dinge, die das Diskurs-Theatersystem von andcompany&-Co umspielt. Alles, was auf den Proben, und hier ist das schreckliche neudeutsche Wort einmal angebracht, auch nur "angedacht" wurde und zum Reizwort "Aufstand" zu passen schien, wird vorgetragen. Aber weniger gespielt als gesprochen, nicht weitergedacht, sondern ohne merkbare dramaturgische Kontrolle einfach dazu montiert. Als Zuschauer wird man nicht zum Denken, sondern zum Raten angeregt: Woher stammt das jeweilige Zitat, zu dem die Schauspieler oft handgemachte Musik spielen, wie zu Anfang.

    Heute müsste, so die Kampfschrift "Der kommende Aufstand", während der Krise des Kapitalismus ein Aufstand von innen kommen. Also beschäftigt sich die Inszenierung mit den Menschen, mit den Haltungen von Schillers Figuren und den Meinungen der Schauspieler. Diesmal stehen nur die Männer der Theatergruppe auf der Bühne, dazu Schauspielerkollegen aus Oldenburg und Holland. Letztere tragen nicht nur die Information vor, dass durch eine geplante 40prozentige Kürzung der staatlichen Mittel für darstellende Kunst das System der niederländischen Produktionshäuser gefährdet sei, sondern einer von ihnen belebt ein aufmunterndes, altes Lied.

    Das Lied der Bots wurde in den siebziger Jahren auf vielen Demonstrationen gesungen. Heute wirkt es allenfalls schrecklich nett, so wie das Spiel der andcompany&Co. Und wie eine merkwürdig leblose Reminiszenz an eine Zeit, als es im freien Theater reichte, eine politische Absicht und ein unbeschwertes theatrales Wollen zu besitzen. Wenn zum Beispiel ein allzu expressiver niederländischer Schauspieler aus dem Aufbegehren einer Figur plötzlich eine rechtsradikale Aggression entwickelt, dann verschenkt er die Szene, indem er auf einer Treppe zwischen den Zuschauern mit nacktem Unterkörper agiert. Denn was hier als Provokation gedacht ist, weil er Zuschauer direkt anspricht, während sein Gemächt ihnen vor der Nase baumelt, das bringt diesen so ambitionierten wie merkwürdig altmodischen Abend auf das Niveau von ranziger Avantgarde.