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Keine Hilfe weit und breit

Die Ärzteverbände schlagen schon seit einiger Zeit Alarm. Auch die Kommunen in Ostdeutschland wissen, dass er kommt - der Ärztenotstand in den neuen Bundesländern. Bis 2010 geht ein Großteil der Mediziner in Pension und für viele ist Ersatz nicht in Sicht. Junge Ärzte scheuen die harte Arbeit und vergleichsweise schlechte Bezahlung eines Landarztes. Vor allem in den ländlichen Gebieten von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird es deshalb bald große Regionen geben, in denen ein Arzt nur schwer zu erreichen ist.

Von Claudia van Laak |
    Friedland, ein märkisches Dorf 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. 700 Einwohner, die Straßen neu gemacht, die meisten Häuser saniert, in den Bauerngärten blühen die Astern. Wer will, kann im benachbarten Schwielochsee baden gehen, angeln oder segeln. Eine landschaftlich reizvolle Gegend. Trotzdem findet Landarzt Reinhard Holtschke keinen Nachfolger für seine Praxis.

    " Da waren ein paar Anfragen, die wollten von mir wissen, wie viele Scheine, was sie an Geld erwarten können, und dann war Ruhe, das war´s. Und zweie haben mal telefonisch angefragt, dann habe ich gesagt, es ist ländlich, dünn besiedelt. Ach nee. Und einer war mal hier für ein Vierteljahr, der hat dann gesagt, Herr Holtschke, zuviel Arbeit, zuviel Verantwortung, ich gehe in die Klinik. "

    Reinhard Holtschke ist jetzt 62, bereits seit zwei Jahren sucht er vergeblich einen Nachfolger. Dass der Arzt - wie in Westdeutschland üblich - 100.000 Euro oder mehr für seine Praxis bekommen und damit seine Rente aufbessern kann, daran glaubt er schon lange nicht mehr. Der Mediziner würde seinen Patientenstamm sogar kostenlos abgeben.

    Wenn Reinhard Holtschke seinen Arbeitsalltag als Landarzt beschreibt, sagt er scherzhaft: "Ich bin halbtagsbeschäftigt." 12 Stunden täglich widmet er seinem Beruf. Vormittags Sprechstunde in Friedland, nachmittags Sprechstunde in den entlegenen Dörfern rundherum und Hausbesuche, abends Abrechnung. Dazu kommen die Bereitschaftsdienste am Wochenende und die Patienten, die einfach bei ihm an der Haustür klingeln. Alle in Friedland wissen, wo ihr Doktor wohnt.

    " Ich wollte das so, mich stört das nicht, wenn mich sonntags vormittags jemand anruft. Hier muss man mit der Bevölkerung leben. Ich kann ja nicht zu einem sagen, mit dem ich eine Beziehung habe, nee, mit deiner Grippe, da kannst du morgen früh kommen oder so. "

    Reinhard Holtschke verdient weniger als ein Landarzt in den alten Bundesländern. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums stehen für die ambulante Behandlung pro Versichertem in Ostdeutschland nur 81,8 Prozent der Vergütung Westdeutschlands zur Verfügung. Dazu kommt: die Zahl der lukrativen Privatpatienten ist verschwindend gering. Holtschke zeigt auf einen kleinen Stapel grüner Karteikarten auf seinem Schreibtisch.

    " Das sind meine Privatpatienten hier, das sind vielleicht 20, das ist nicht einmal 1 Prozent. Da sind zwei Förster, zwei Lehrer, der Pastor, dann hört´s auch gleich auf. "

    Die vergleichsweise geringe Vergütung, der große Arbeitsaufwand und eine schlechtere Infrastruktur als in der Stadt - das sind die drei wichtigsten Gründe dafür, dass ostdeutsche Landärzte Schwierigkeiten haben, Nachfolger für ihre Praxen zu finden.

    " Wenn jetzt jemand fertig wird und ist Allgemeinmediziner, dann geht er erst einmal in den Westen, wo er mehr verdient, und wenn er nicht in den Westen geht, geht er wenigstens in eine Stadt, wo abends um 5 seinen Laden zuschließen kann und Schluss, das ist für mich völlig verständlich. "

    Unter den Patienten von Reinhard Holtschke hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass ihr Doktor sich bald zu Ruhe setzen will. Spätestens mit 65 will der Allgemeinmediziner seine Praxis schließen, ob mit oder ohne Nachfolger. Für die älteren Damen und Herren im Wartezimmer keine gute Perspektive.

    " Wie´s wäre, soll ich´s ihnen mal sagen, wie´s wäre, beschissen. Ich habe noch einen Mann, der mit Auto fährt, aber es sind so viele, die kein Auto haben.

    Es wäre nicht gut, es wäre wirklich nicht gut, es wär schon schön, wenn ein Nachfolger kommt.

    Hier wird weniger bezahlt als in Großstädten, heutzutage wollen sie alle nichts tun, und am Monatsende einen Sack voll Geld haben, das vermute ich bei allen.

    Mein Mann ist auch nicht mehr, und nun kann ich nicht mehr mit dem Auto fahren und die Kinder arbeiten alle, das wäre schwer, ich wüsste nicht, wie ich hinkomme. "

    Überall in den neuen Ländern suchen niedergelassene Ärzte Nachfolger, suchen Kliniken händeringend Mediziner. Derzeit sind in Ostdeutschland etwa 600 Hausarzt- und 230 Facharztstellen nicht besetzt. Die Zahl der freien Stellen wird sich in den nächsten Jahren vermutlich dramatisch erhöhen. Die Ärzteschaft in den neuen Ländern ist überaltert. In den nächsten 10 Jahren wird sich die Hälfte in den Ruhestand verabschieden - Nachwuchs ist nicht in Sicht.

    In den ostdeutschen Kliniken sieht es ähnlich aus. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht davon aus, dass 80 Prozent aller Kliniken in den neuen Ländern offene Stellen nicht mehr besetzen können, über 1000 Stellen sind im Moment frei. Die Medizinstudentinnen und Studenten zieht es in die Unikliniken der Großstädte oder gleich ins Ausland.

    " Ich kenne viele, die sagen, sie möchten nicht in Deutschland arbeiten, sondern in die Nachbarländer, England oder Schweiz.

    Ja, eine Universitätsklinik oder eine Klinik, wo man ein großes Spektrum von klinischen Bildern kennen lernen kann und somit die fachliche Qualität erlangen kann.

    Es gibt viele Orte, in die ich auf keinen Fall ziehen wollte, das hängt jetzt nicht mit Ost- oder Westdeutschland zusammen, sondern damit, dass ich eine Großstadtpflanze bin und ich sehe einfach vor allem das was mit fehlen würde auf dem Land.

    Um eine breite Ausbildung zu bekommen, brauche ich ein großes Krankenhaus, viele Patienten, viele Ärzte, die mir was beibringen können und nicht nur, wie ich es erlebt habe, da sind dann 2, 3, 4 Ärzte, die meiste Zeit ist man allein, und da lernt man auch nix, und das ist mein größtes Problem. "

    Nadja Thierfelder trägt ein schickes Kostüm, sie kommt gerade von einem Vorstellungsgespräch im Berliner Virchowklinikum. Das Gespräch war gut, aber eine Stelle als Assistenzärztin im Bereich Kinderheilkunde ist im Moment nicht frei. Die 28jährige gebürtige Bremerin stammt aus einer Medizinerfamilie, sie hat ihr Praktisches Jahr in Spanien gemacht, jetzt plant sie ihre Zukunft.

    Nadja Thierfelder weiß, dass in der ostdeutschen Provinz Ärztemangel herrscht, dass sie dort mit Kusshand genommen würde. Trotzdem kommt das Leben in einer ostdeutschen Kleinstadt nicht für sie infrage. Brandenburg ja, sagt sie, aber nur, wenn ich täglich nach Berlin pendeln kann.

    " Also eine Freundin von mit, die ist nach Finsterwalde gegangen, das ist zwei Stunden von hier in Brandenburg, auf eine Art habe ich sie bewundert, dass sie es wagt, diesen Schritt zu tun. Auf der anderen Seite, ich war auch dort beim Umzug und habe ihr geholfen, ich hätte nicht mit ihr tauschen wollen. "

    Nicht der geringere Verdienst sei entscheidend, meint die angehende Kinderärztin, es sei die fehlende Infrastruktur. Nicht mal abends kurz ins Kino gehen oder ins Theater, die jungen aktiven Leute zögen weg, übrig blieben die Alten. Keine guten Voraussetzungen für ein angenehmes Privatleben.

    " Dass es dort keine Kinder mehr gibt, dass dort die jungen Leute wegziehen, da sage ich mir auch, warum soll ich jetzt diejenige sein, die das ausbadet, was da die Politiker oder solche Leute verbockt haben. "

    Hans-Joachim Helming kennt diese Argumente. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Ost der Kassenärztlichen Vereinigungen beobachtet seit einigen Jahren, dass freiwerdende Arztstellen nicht besetzt werden können. Helming warnt vor einem dramatischen Ärztemangel in den neuen Ländern und forderte kurz vor der Bundestagswahl ein Sonderprogramm der Bundesregierung in Höhe von 700 Millionen Euro.

    " Wenn wir das jetzt nicht beginnen, dann wird in 2,3 Jahren, egal welche Partei an der Regierung ist, die wird ein unbeschreibliches Problem kriegen, ob es kommunale Politiker sind, Landes- oder Bundespolitiker, da werden alle mörderisch dran zu knabbern haben. "

    Die rot-grüne Bundesregierung hat die 700-Millionen-Euro-Forderung der Kassenärztlichen Vereinigung umgehend zurückgewiesen. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung sei eine Aufgabe der Selbstverwaltung, erklärte das Bundesgesundheitsministerium. Zudem operiere die Kassenärztliche Vereinigung mit falschen Zahlen.

    Die Vertretung der niedergelassenen Ärzte gibt an, der Verdienst der ostdeutschen Ärzte liege bei nur knapp 73 Prozent des Westniveaus. Gleichzeitig müssten die Mediziner 36 Prozent mehr Patienten versorgen. Die Situation werde außerdem dadurch erschwert, dass Ostdeutsche öfter und länger krank seien als Westdeutsche. Der Anteil an Rauchern und Übergewichtigen sei deutlich höher, außerdem litten sie öfter an chronischen Erkrankungen.

    Das Bundesgesundheitsministerium dagegen kann keine höhere Belastung der ostdeutschen Ärzte erkennen. Eine Ost-West-Schere bei den Honoraren gäbe es nicht. Durchschnittlich verdiene ein niedergelassener Arzt in Ostdeutschland 97,6 Prozent seines westdeutschen Kollegen. Der drohende Ärztemangel wird allerdings auch vom Gesundheitsministerium bestätigt.

    Die Kassenärztlichen Vereinigungen der neuen Länder reagieren mit unterschiedlichen Initiativen. Die KV Sachsen zahlt zum Beispiel in unterversorgten Gebieten 60.000 Euro an einen Allgemeinmediziner, der eine bestehende Praxis übernimmt oder eine bereits geschlossene wieder eröffnet. In Sachsen-Anhalt beträgt der Zuschuss 15.000 Euro. Außerdem wird versucht, betagte Mediziner davon zu überzeugen, nicht in Pension zu gehen. Wer erst mit 67 in den Ruhestand geht, bekommt einen Zuschuss von 15.000 Euro.

    Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen unterstützt Ärzte in unterversorgten Gebieten mit finanziellen Zuschüssen für einen Assistenten. Dieser erhält 500 Euro monatlich von der KV, befristet auf zwei Jahre. Außerdem hat die KV eine eigene Praxis in der Stadt Ohrdruf eröffnet. Die Kassenärztliche Vereinigung übernimmt Miete und Praxisausstattung, Ärzte und pflegerisches Personal werden angestellt. Die KV Brandenburg garantiert Haus- und Fachärzten in bestimmten Gebieten ein feststehendes Honorar. Dazu Hans-Joachim Helming, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Potsdam.

    " Wenn eine Praxis, die derzeit in einer Versorgung etabliert ist, aus Altersgründen von einem Praxisinhaber aufgegeben wird und es kommt ein junger Kollege, der sich in dieser Region niederlassen will, dann haben wir die Möglichkeit, diesem Arzt für die Anfangsphase eine Umsatzgarantie zu zahlen, das heißt, er bekommt zwei Drittel des Umsatzes garantiert, den die Ärzte in seiner Fachgruppe im Monat erzielen. "

    Dieses Angebot existiert seit zwei Jahren, wird allerdings kaum nachgefragt. Bislang sind Verträge mit 8 Ärzten zustande gekommen, nur 5 davon laufen noch. Zwei Ärzte haben bereits wieder aufgegeben, einem Mediziner wurde der Zuschuss seitens der Kassenärztlichen Vereinigung gestrichen. Er hatte nur eine Praxis zum Schein aufgemacht, um das Garantiehonorar zu kassieren.

    " Das Missbrauchspotential ist bei solchen Förderungsmöglichkeiten natürlich groß. 69 Irgendwelche verkrachte Existenzen, die eine Karriere auf Mallorca weiß sonst wo hinter sich haben, die versuchen dann auf ihre letzten Tage hier noch eine Praxis zu kriegen und irgendwelche Mittel abzufassen, das muss man wissen, das Missbrauchspotential ist da. "

    Beispiel Casekow. Die uckermärkische Gemeinde ist seit einem halben Jahr ohne Hausarzt. Gegenüber der verwaisten Praxis hängt ein weißer Briefkasten mit einem roten Kreuz. "Rezeptsammelstelle" ist dort zu lesen. "Montag bis Freitag 15.00 Uhr, Ausgabe am Tag darauf." Doch hier wirft niemand mehr ein Rezept in den Briefkasten. Nach wenigen Monaten hat der von der Kassenärztlichen Vereinigung subventionierte Hausarzt wieder die Segel gestrichen. Der Berliner konnte sich mit dem Landleben nicht anfreunden, die Patienten haben das Nachsehen.

    " Wenn ich zum Arzt will, da fahre ich nach Schwedt, das sind 25 Kilometer. Da muss man sich erst einen neuen Hausarzt suchen und viele Ärzte dort sind überlastet, sie nehmen keine neuen Patienten auf, deswegen ist es für uns schwierig, einen neuen Hausarzt zu finden. "

    Im 15 Kilometer entfernten Passow hatten die Patienten Glück. Dank des Engagements von Bürgermeister und Gemeinderat konnte ein neuer Arzt gefunden werden. Die Gemeinde entschied sich schweren Herzens, dringend notwendige Investitionen auf die lange Bank zu schieben und stattdessen das Geld in die vorhandenen Praxisräume zu stecken. Der ehrenamtliche Bürgermeister Walter Henke.

    " Wir mussten die alte Praxis nach modernen Verhältnissen herrichten und haben von heute auf morgen den Haushalt umgestoßen, habe bestimmte Maßnahmen rausgenommen, z.B. die Sanierung der Kindertagesstätte, haben dann mit dem Geld von 168.000 Euro dann innerhalb von einem Jahr die Praxis saniert. "

    Nur unter diesen Voraussetzungen war Axel Wollenberg bereit, die Praxis in Passow zu übernehmen. Der Mediziner ist mit seinem Job als Landarzt zufrieden. Eine betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung ermöglicht es ihm, die Praxis effektiv zu führen und um 18.00 Uhr Feierabend zu machen.

    Axel Wollenberg kann die Klagen vieler Kollegen nicht verstehen. Obwohl er in der ostdeutschen Provinz praktiziert, verdient er nach eigenen Angaben mehr als ein Durchschnittsarzt. Es sei alles eine Frage des Managements. Die alten Karteikarten haben bei ihm ausgedient, Diagnosen und Beratungen erfolgen per Telefon, qualifizierte Arzthelferinnen übernehmen viele Hausbesuche.

    " Man muss immer überlegen, bei welcher Krankheit ist es denn nötig, dass der Arzt kommt? Das ist eben nur so, weil jemand, der 80 ist, den Arzt gerne mal sehen will. Und Frau Doktor oder Herr Doktor, das ist etwas Besonderes, das ist das Highlight der Woche für den Patienten und deshalb erfolgt der Hausbesuch. "

    Es seien weder die Finanzen noch die Arbeitsbelastung - Landarzt Wollenberg sieht den Hauptgrund für den drohenden Ärztemangel in der fehlenden Infrastruktur. Aufgrund der demographischen Entwicklung - Überalterung, Abwanderung - wird sich die Situation weiter verschlechtern. Viele Schulen und kulturelle Einrichtungen wie Bibliotheken oder Theater stehen längerfristig vor dem Aus. Keine guten Voraussetzungen für junge Familien, in die ostdeutsche Provinz zu ziehen.

    Um zumindest das finanzielle Risiko für junge Ärzte zu reduzieren, besteht seit der Gesundheitsreform die Möglichkeit, Haus- und Fachärzte anzustellen. Arbeitgeber sind die so genannten Medizinischen Versorgungszentren, in der DDR Poliklinik genannt. So müssen sich die Ärzte nicht selbständig machen und hohe Kredite für die Ausstattung ihrer Praxis aufnehmen. Sigrun Stepphuhn, Abteilungsleiterin Gesundheit im Brandenburger Sozialministerium.

    " Angestellte Ärzte sind sicherlich kein alleiniges Mittel, aber wenn man sich vorstellt, dass in Medizinischen Versorgungszentren Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung zusammenarbeiten, nicht mehr als Einzelkämpfer mutterseelenallein sind, ist das sicherlich auch attraktiver. Mit Kollegen zusammenarbeiten, sich auch Bereitschaftsdienste zu teilen, Urlaubsvertretung besser zu organisieren und auch den fachlichen Austausch besser zu pflegen. "

    In Brandenburg besteht bereits seit der Wende die Möglichkeit, als angestellter Arzt in der ambulanten Versorgung zu arbeiten. Als einziges neues Bundesland hat Brandenburg die DDR-Polikliniken nicht aufgelöst, sondern in so genannte Gesundheitszentren überführt. Ein Modell, das jetzt bundesweit umgesetzt wird, aber kein Allheilmittel gegen den Ärztemangel ist.

    Einige Gesundheitsministerien der neuen Länder setzen zusätzlich auf ausländische Ärzte. Ein entsprechender Vertrag zwischen Sachsen und Österreich wird gerade vorbereitet. In Brandenburger Kliniken würde ohne Mediziner aus Osteuropa bereits jetzt Notstand herrschen. Von 100 Ärzten im uckermärkischen Klinikum Schwedt stammen 19 aus Polen.

    " Na, Frau Malinowski, wie geht es Ihnen? Haben Sie Wehen, nein? Mit dem Essen ist alles gut, haben Sie irgendwelche Probleme, Fragen? "

    Mit seinen deutschen Patientinnen hat Frauenarzt Wlodimiercz Grobelne keine Probleme, doch das Ausländeramt in Schwedt bereitet ihm Schwierigkeiten. Der 42jährige kann nicht verstehen, warum die Behörde ihn zwingt, in Deutschland seinen Hauptwohnsitz zu nehmen. Er würde lieber auf der anderen Seite der Oder wohnen, zumal seine Kinder in Polen zur Schule gehen.

    " Ich musste hier eindeutig nachweisen, dass ich hier wohne mit meiner Familie, weil meine Kinder gehen nach Stettin in die Schule und das Ausländeramt sagte, das geht nicht. "

    Auch seine polnischen Kollegen klagen über die Bürokratie, über die Schwierigkeit, eine deutsche Berufserlaubnis zu bekommen. Wir werden hier gebraucht, sagen die Mediziner, warum legt man uns Steine in den Weg? Einige von ihnen berichten außerdem über ausländerfeindliche Übergriffe in Schwedt. Chefarzt Janusz Rudzinsky.

    " Sogar Flugblätter gegen Polen wurden hier verteilt in der Stadt vor zwei oder drei Jahren, da wurden auch Flugblätter verteilt. Es gab anonyme Briefe, anonyme Anrufe. "

    Es scheint paradox: einerseits sind die Klagen groß über fehlende Ärzte in der ostdeutschen Provinz, andererseits werden ausländische Mediziner nur schwer akzeptiert. Vielleicht ist dies der Grund, warum Brandenburgs Sozialministerium keine aktiven Anwerbeversuche im Ausland startet. Im Ministerium setzt man stattdessen auf die Änderung von Bundesgesetzen, eine Bundesratsinitiative ist in Vorbereitung. Die Forderungen an die neue Bundesregierung: Die Berufsordnung soll flexibilisiert, die Niederlassungsbedingungen vereinfacht werden.

    Mit dem Erhalt der DDR-Polikliniken hat Brandenburg gute Erfahrungen gemacht. Angesichts des drohenden Ärztemangels soll nun eine weitere DDR-Institution wiederbelebt werden - die Gemeindeschwester. Sigrun Stepphuhn, Abteilungsleiterin Gesundheit im Potsdamer Sozialministerium.

    " Das war in der Regel eine Krankenschwester, die noch eine Zusatzqualifikation direkt als Gemeindeschwester hatte, mit dieser Qualifikation war sie ein Vorposten vor Ort, ein Stück medizinische Grundversorgung, aber auch Betreuung älterer Menschen, aufsuchende Dienste, Hausbesuche, Beratung von Familien mit Kindern, Vorsorgeuntersuchungen, aufs Impfen zu achten, vor allem im ländlichen Raum, aber nicht nur. "

    Die Gemeindeschwester war im staatlichen DDR-Gesundheitswesen angestellt, meist in Polikliniken oder so genannten Landambulatorien. Sie übernahm medizinische, aber auch soziale Aufgaben und entlastete den Hausarzt in vielerlei Hinsicht. Hans-Joachim Helming, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg.

    " Diese Struktur der Gemeindeschwester ist hocheffektiv, wäre gerade mit Blick auf die Ärztemangelsituation eine ganz geeignete Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen und die Versorgungsstabilität herzustellen in der Kooperation mit den Ärzten. Nur ist es unheimlich schwer, die Struktur wieder zu beleben, die damals mal beerdigt wurde, leider. "

    Die Gemeindeschwester passt nicht in die Struktur des bundesdeutschen Gesundheitssystems. Wo soll sie angebunden sein: in den Kommunen, bei Wohlfahrtsverbänden oder niedergelassenen Ärzten? Wer soll sie bezahlen: der Staat, die Pflegekasse, die Krankenkasse? Bevor die erste Gemeindeschwester ihren Dienst antritt, müssen viele Fragen geklärt werden. Sigrun Stepphuhn vom Brandenburger Sozialministerium.

    " Wir wollen ja im Grund ein Berufsbild neu in das gesundheitliche und soziale Versorgungssystem einbauen. Und da sind wir jetzt dabei, ein Tätigkeitsprofil zu erarbeiten, dann ein Anforderungsprofil, dann, was für eine Qualifikation sollte die Gemeindeschwester haben, dann die Frage der Anbindung, haftungsrechtliche Fragen, was darf sie völlig allein machen, wo gibt es den Arztvorbehalt und nicht zuletzt Finanzierungsfragen. "

    Die Kassenärztliche Vereinigung begrüßt die Initiative des Potsdamer Sozialministeriums, die Institution der DDR-Gemeindeschwester wieder zu beleben. Man erhofft sich dadurch eine Entlastung der vorhandenen Ärzte und eine Entspannung der Situation. Auch die Kommunen sind dafür. Natürlich nur, wenn sie die Gemeindeschwester umsonst bekommen.

    Die Pflegedienste sind skeptisch - überschneiden sich doch die Arbeitsbereiche von Gemeindeschwester und häuslichen Pflegediensten. Die Krankenkassen reagieren abwartend - sie müssen nach Ansicht des Potsdamer Sozialministeriums die größte finanzielle Last tragen. Sigrun Stepphuhn.

    " Hauptfinanziers werden die Krankenkassen sein, die sind ja auch Nutznießer davon, wenn vor Ort Ärzte nicht mehr da sind, dass eine qualifizierte Gemeindeschwester eine Menge Leistung erbringen kann. "

    Das Potsdamer Sozialministerium will bald offizielle Verhandlungen mit Krankenkassen, kommunalen Spitzenverbänden, der Kassenärztlichen Vereinigung und den Berufsverbänden aufnehmen. In zwei oder drei Regionen, in denen jetzt schon Ärzte fehlen, soll dann das Modell der Gemeindeschwester erprobt werden.