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"Keine Mutter hält ihr Kind hoch und weint vor der Kamera"

Was derzeit in Syrien passiert, sei beschämend, sagt Nahla Osman vom Aktionsbündnis Freies Syrien. Statt Nachzudenken müsse man endlich handeln. Die Rechtsanwältin fordert eine Flugverbotszone, dann Assads Truppen hätten auf dem Boden kaum mehr Macht.

Nahla Osman im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.08.2013
    Friedbert Meurer: Die Rebellen in Syrien behaupten, 1300 Menschen, mehr sogar noch, seien nach dem Einsatz von Giftgasgranaten in einem Vorort von Damaskus ums Leben gekommen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen spricht immerhin von bisher 355 Toten, bei denen man Hinweise gefunden hat, dass sie an den Folgen eines Nervengifts gestorben seien. Nahla Osman gehört zum Aktionsbündnis Freies Syrien, sie ist Rechtsanwältin, in Deutschland aufgewachsen. Sie lebt in der Nähe von Frankfurt, in Rüsselsheim. Guten Morgen, Frau Osman!

    Nahla Osman: Schönen guten Morgen, hallo!

    Meurer: Sie halten Kontakt zu Ihrer Heimat via Internet, Facebook – ist das, ist der Giftgasanschlag, der mögliche Anschlag das Thema, das im Moment alle umtreibt.

    Osman: Auf jeden Fall, natürlich. Meine Familie kommt ursprünglich aus Aleppo, und sie befürchten jetzt auch, dadurch, dass immer noch eine Untätigkeit seitens, ja, der ganzen Weltgemeinschaft herrscht, dass nun auch in den befreiten Gebieten in Aleppo mit so einem Giftgas gerechnet wird. Und natürlich ist das das erste und das einzige Thema, das gerade besprochen wird.

    Meurer: Tun Ihre Eltern irgendetwas, um sich zu schützen?

    Osman: Meine Eltern selbst leben zum Glück auch in Deutschland, sonst könnte ich hier nicht so ruhig sitzen. Aber die ganzen Menschen haben natürlich jetzt Vorkehrungen getroffen, sie bereiten wieder ihre Keller vor, und es ist wirklich grausam, die Situation momentan.

    Meurer: Aber Schutzmaßnahmen hat die Bevölkerung nicht, also Schutzmasken – Schutzmasken gibt es nicht?

    Osman: Nein, die gibt es kaum. Ja, Schutzmasken, die hatten wir versucht, letztes Jahr, da gab es ja schon mal einige Angriffe, wo gedacht wurde, dass es möglicherweise Giftgas sei, und da wurden Schutzmasken auch nach Syrien gebracht, aber die reichen natürlich überhaupt nicht.

    Meurer: Es ist aber prinzipiell möglich, Masken zu liefern? Das geht?

    Osman: Wir können natürlich über Daraa, also über Jordanien oder über die Türkei reinbringen, das ist überhaupt kein Problem. Nur die Frage stellt sich natürlich, wieso sollten wir einen erneuten Angriff riskieren. Also, ich finde es beschämend, dass wir immer noch, nach so vielen Toten, also mittlerweile über 200.000 überlegen, gibt es überhaupt einen Giftgasangriff, wer hat diesen getan? Es liegt auf der Hand, wir haben Kontakte nach Damaskus, nach Rota selbst. Die Menschen haben ihre Kinder in der Hand, und es sind meistens junge Männer, die auch bei der FSA mit gekämpft haben, deren Familienmitglieder jetzt gestorben sind. Und nicht nur ein, zwei oder drei Kinder, die ganze Familie ist tot. Und es ist wirklich grausam, was passiert, man muss endlich handeln.

    Meurer: Die FSA sind die Rebellen, ist die Armee der Rebellen. Es hat eben in der Vergangenheit viele Dinge gegeben, die Amerikaner haben vor zehn Jahren gelogen, was Massenvernichtungswaffen im Irak angeht, die hat es dann doch nicht gegeben. Ich erinnere mich daran, dass es beim Einmarsch in Kuwait durch den Irak zu Lug und Trug gekommen ist. Das ist so ein bisschen der Hintergrund der westlichen Skepsis. Oder was glauben Sie?

    Osman: Also wie gesagt, wir haben – der Herr Neudeck zum Beispiel hatte vor einem Jahr –

    Meurer: Der Vorsitzende der Grünhelme, Rupert Neudeck.

    Osman: Genau, der Vorsitzende, der Rupert Neudeck wollte vor einem Jahr nach Syrien, um sich selbst ein Bild zu machen, weil man hier natürlich in der Öffentlichkeit überhaupt nicht weiß, wer jetzt gegen wen kämpft, wer welche Waffen hat, wer wen tötet, und hat sich ein Bild vor Ort gemacht. Ich war selbst auch im März in Aleppo, hab mir auch ein Bild gemacht. Und diese Rebellen, die Freie Syrische Armee, die da kämpft, das sind Menschen, die versuchen, ihre Familien vor Luftangriffen, vor Panzern, vor Raketen zu schützen. Es ist wirklich nicht mehr an der Zeit, immer noch zu hinterfragen, wen man retten soll, wen man schützen soll. Natürlich waren Zweifel da, aber mittlerweile, bei über fünf Millionen Flüchtlingen sollte man sich wirklich diese Frage nicht mehr stellen.

    Meurer: Frau Osman, was fordern Sie? Eine Flugverbotszone?

    Osman: Das, was wir seit zwei Jahren fordern, die Flugverbotszone. Denn dann ist das Assad-Regime auf jeden Fall besiegt, denn auf dem Boden haben die Assad-Truppen kaum mehr Macht. Wenn eine Flugverbotszone geschehen würde, dann hätten auch zum Beispiel meine Verwandten, mit denen wir gestern telefoniert haben, die in Aleppo wohnen bei einem Stützpunkt, keine Angst, dass die NATO sie zum Beispiel angreifen würde oder irgend andere Mächte von außen, sondern dann hätten die Rebellen oder die Freie Syrische Armee die Möglichkeit, endlich das Land zu befreien.

    Meurer: Die Bundesregierung in Berlin sagt ja bisher, wir pflegen eine Kultur der militärischen Zurückhaltung. Es gibt so erste Anzeichen, dass das sich vielleicht jetzt nach dem wahrscheinlichen Giftgasanschlag ändert. Sind Sie enttäuscht, speziell von Deutschland?

    Osman: Sehr. Also besonders über die Berichterstattung. Vor drei Tagen, als das mit dem Giftgas sehr aktuell in den Nachrichten war, kam sogar einmal bei mir im Radio zu hören, ja vielleicht ist das alles nur ein Schauspiel. Also dieser Satz, der hat mich wirklich, ich hab über eine Stunde nur geweint, denn keine Mutter hält ihr Kind hoch und weint vor der Kamera, so wie wir das gesehen haben.

    Meurer: Und wenn sie gezwungen wird?

    Osman: Das kann ich mir nicht vorstellen. Wie gesagt, ich war selbst vor Ort, und das war ja nicht nur ein Schauspiel – nicht nur ein Platz, der gezeigt hat, was dieser Giftgaseinsatz bewirkt hat, ja. Es waren über 1800 mittlerweile Tote, über 5000 Verletzte und – das kann nicht vorgespielt werden.

    Meurer: Da Sie uns auch von den Grünhelmen empfohlen wurden als Gesprächspartner, wir haben aber, und viele in Deutschland denken, da gibt es mittlerweile bei den Rebellen jede Menge Leute, das sind sozusagen die Falschen von al-Qaida. Ganz auszuschließen, dass dort ein Interesse besteht, mittels eines Giftgaseinsatzes die Amerikaner in den Krieg zu ziehen?

    Osman: Natürlich besteht diese Gefahr, und wir haben natürlich auch Angst davor. Das Problem ist, dass wir einfach zu lange gewartet haben damit. Also ich war ja, als ich im Norden von Syrien war, habe ich natürlich viele – oder was heißt hier viele, ich kann das nicht einschätzen, aber Leute gesehen, die eben von außerhalb kamen, Nicht-Syrer. Aber die Syrer, die Freie Syrische Armee selbst, das syrische Volk selbst, vertritt oder unterstützt diese Menschen von außerhalb überhaupt nicht. Es gibt momentan Parallelströme, und man muss unbedingt das unterbinden, damit es nicht so wird wie im Irak.

    Meurer: Nahla Osman gehört zum Aktionsbündnis Freies Syrien, wirkt hier von Deutschland aus, in Rüsselsheim, um ihrer Heimat zu helfen. Frau Osman, danke schön und auf Wiederhören!

    Osman: Ja, danke Ihnen, Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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