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Keine Rollkoffer und EU-Beamte

Mit Brüssel verbindet man in erster Linie die Europäische Union, Lobbyisten und Parlamentarier aus allen 27 europäischen Mitgliedsländern. Im Ferienmonat August ist davon nichts zu spüren. Aber wer der belgischen Hauptstadt dennoch treu bleibt, kann viel entdecken.

Von Annette Riedel |
    Zu dem, was es im August alles nicht gibt, in Brüssel, gehören die hier…

    "… die unvermeidlichen Rollkoffer. Ansonsten sind sie ohne Unterlass zu sehen und zu hören. Immer sind Dutzende EU-Angestellte im Europäischen Viertel mit ihnen unterwegs – also da wo die Institutionen der EU sich ballen. Immer – außer im August …"

    Und, hören Sie mal [Autoverkehr]

    Das ist im Moment der Verkehr, zur Hauptverkehrszeit, morgens gegen 8:30 Uhr, an einer der Hauptverkehrsstraßen im Europäischen Viertel. Da fahren richtig Autos – sie fahren! Normalerweise stehen sie um diese Zeit, in endloser Schlange. Normalerweise müssen für 500 Meter im Auto schon mal leicht eine viertel Stunde Fahrzeit eingeplant werden. Jetzt, im August, arbeiten in allen Europäischen Institutionen nur noch die Not-Not-Besetzungen. Alle Anderen - Parlamentarier, Parlamentsmitarbeiter, Kommissare, Beamte, Lobbygruppen, Fachleute und ihre Familien – sie alle haben die Stadt verlassen, sind im Urlaub. Und die meisten Journalisten entsprechend auch.

    "Ich habe keine Kinder – also fahre ich nie zur Ferienzeit im Juli und August in den Urlaub. Es ist hier wie im Urlaub. Es ist leer, man kann später aufstehen, um zur Arbeit zu kommen. Und wenn man abends unterwegs ist, muss man nicht 2 Stunden lang einen Parkplatz suchen."

    Freuen sich die, die wie dieser Brüsseler, im August in der Stadt bleiben. Was es in Brüssel allerdings auch nicht gibt – wohl das dickste Minus bei der Beurteilung des Sommerlebens in der Stadt: begehbares Wasser. Kein Fluss, kein See, kein Freibad - nirgends. Letzteres in ganz Belgien nicht. Wer im Sommer ins Wasser will, fährt zum Meer. Und da, an der knapp 70 Kilometer langen belgischen Nordseeküste, sind dann aber alle, die nicht in Brüssel sind, möchte man meinen, wenn man die Massen sieht. Nicht nur Belgier sind da. Noch viele Andere mehr. Auch aus Deutschland.

    Brüssel im Sommer, Brüssel im August - das heißt, man sitzt auf alle Fälle, um etwas zu trinken, draußen, wenn es nicht regnet. Das heißt – falsch – selbst wenn es regnet. Tut es zwar im Moment nicht. 30 Prozent mehr Sonnenschein im Juli als normal und zwei Grad höhere Durchschnittstemperatur als normal vermelden die Statistiken. Der Sommer strengt sich an, um seinen im Frühsommer gründlich ruinierten Ruf zu retten. Aber wenngleich es in Belgien nun wirklich nicht verlässlich mediterranes Wetter gibt, findet im Sommer hier immer unverdrossen unendlich viel an Kulturellem und an Partys im Freien statt. Und nicht selten umsonst.

    "Es gibt jedes Wochenende Musikfestivals und Konzerte. Es gibt die wöchentlichen Rollerskates-Paraden durch die Stadt, es gibt den künstlichen Strand ‚Bad Brüssel’, der nett ist, selbst man zwar nicht schwimmen kann."

    "Überall gibt es Festivals und Konzerte mit teilweise Super-Gruppen. Für mich ist der August der Festival-Monat."

    Und zwar ist für jeden Geschmack etwas dabei. Jazz, Rock, Klassik, elektronische Musik.

    Das alles gibt es, wohlgemerkt, immer im August, selbst wenn der Sommer wie in den letzten Jahren meteorologisch überwiegend ein Reinfall war. Schließlich gibt es Regenschirme.

    Wenn es so richtig "sommert", in Brüssel, dann gehört dazu, dass in den diversen Parks der Stadt Liegestühle aufgestellt sind, dass es vielerorts DJs gibt, die zum Aperitif auflegen, den man sich am kleinen Stand, der neben dem DJ aufgebaut ist, kauft.

    Und auch das gibt es im Sommer in Brüssel. Jeden Morgen gegen 09:30 Uhr hört man an der gleichen Stelle, wo es abends elektronische Rhythmen gab, asiatische Klänge vom iPhone: Ein kleines Grüppchen trifft sich täglich, um die fünf Übungen der Falun Gong zu praktizieren. Das stärkt Geist und Seele, glauben die Anhänger dieser traditionellen chinesischen Meditations-Praxis. So versunken oder konzentriert sind sie an diesem Morgen, dass sie die Reporterin
    gar nicht bemerken.