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Keine Zukunftsmusik mehr

Am 1. Januar 2006 bricht im deutschen Gesundheitswesen endgül-tig das digitale Zeitalter an: Alle Krankenversicherten verfügen dann – so hat es der Gesetzgeber im Gesundheitsmodernisierungsgesetz beschlossen – über eine elektronische Gesundheitskarte. Mit dieser Karte stellt der Arzt Rezepte aus, Untersuchungsergebnisse und Laborberichte verschickt er als elektronische Post, mittelfristig sollen sogar ganze Patientenakten inklusive Röntgenbilder auf Ser-vern gespeichert werden. Natürlich war die Gesundheitskarte auch Thema auf der CeBIT in Hannover, gestern reihte sich eine Veranstaltung an die andere.

Von Mirko Smiljanic |
    An das Kärtchen mit dem Chip haben wir uns mittlerweile gewöhnt, brav geben wir es beim Arztbesuch ab, aber – Hand aufs Herz – so richtig ernst nimmt die Krankenversichertenkarte niemand. Mit der elektronischen Gesundheitskarte wird sich das ändern.

    "Die Gesundheitskarte der Zukunft dient nicht nur für Verwaltungsdaten sondern sie dient auch für medizinische Applikationen, ich kann damit meine Krankengeschichte verwalten, das heißt, ich vermeide in Zukunft, das Doppeluntersuchungen durchgeführt werden und dass ich Medikamente bekommen, gegen die ich allergisch bin oder Kontraindikationen habe."

    Womit Sibylle Mund von der Siemens AG die beiden wichtigsten, immer und immer wieder genannten Argumente für die Gesundheitskarte gleich zu Beginn ins Spiel bringt: Doppeluntersuchungen entfallen, außerdem sehen fremde Ärzte sofort, ob der neue Patient sagen wir auf Penicillin allergisch reagiert. Vorausgesetzt freilich, der Mediziner kommt an die Daten heran. Das ist aber nach dem jetzt auf der CeBIT vorgestellten Konzept keinesfalls sicher. Die konkreten Anwendungen der Gesundheitskarte unterteilen sich in zwei Bereiche: Erstens in Pflichtanwendungen wie die Prüfung des Versicherungsschutzes und das elektronische Rezept, und zweitens in freiwillige Anwendungen wie die Arzneimitteldokumentation, das Verwalten von Notfalldaten und die elektronische Patientenakte. Auf die freiwilligen Anwendungen hat der Patient unmittelbaren Einfluss: Zukünftig kann er Dokument für Dokument bestimmen, was welcher Arzt sehen darf. Hat ein Mediziner etwa bei einem Notfall diese Rechte nicht, führt er doch wieder alle Untersuchungen durch – auch die längst dokumentierten. Der Datenschutz hat höchste Priorität! Und weil die Daten geheim sind, werden sie natürlich über ein spezielles Netz transportiert.

    "Hier geht es um ein eigenes Netz, es geht nicht übers Internet, es ist wie bei Banken, ein eigenes Datennetz, es geht über eine sichere Authentisierung, dass sich ein Arzt sich mit seinem Ausweis authentisiert, der Patient sich mit seinem Ausweis authentisiert, und erst über die Daten, die auf der Patientenkarte sind, das sind Wegweiser, Pointer, habe ich den Zugriff auf die Daten in den Rechenzentren."

    In den Rechenzentren – sagt Volker Brunsiek von der Siemens AG – werden die Patientendaten verschlüsselt abgespeichert. Entschlüsseln lassen sich die Daten nur mit der jeweiligen Gesundheitskarte.

    "Aus diesem Grund kann eigentlich ein Arzt keine falschen Daten bekommen, es sei denn der Patient hat eine falsche Gesundheitskarte dabei und dass kann er auch überprüfen, denn die Gesundheitskarte der Zukunft wird ein Bild haben. "

    Ob ein Foto wirklich verhindert, dass Unbefugte gewollt oder ungewollt an fremde Patientendaten kommen, darf bezweifelt werden! Außerdem geht es um die Frage, wo denn diese gewaltige Datenmengen überhaut abgespeichert werden: Zentral oder dezentral?

    "Es wird dezentral wahrscheinlich sein, das wird nicht zentral sein, das die Daten von 80 Millionen Patienten in einer Datenbank gespeichert werden, das wird schon datenschutzrechtlich nicht gehen, es werden dezentral vielleicht einige Krankenhäuser Datenzentren anbieten, vielleicht gibt es auch Provider, die Zentren anbieten, auch so, dass Röntgenbilder ein bestimmtes Zentrum anbietet, Arztbriefe ein anderes."

    Und wie steht es um den Patienten? Für ihn soll alles ganz einfach werden. Wobei allerdings eines jetzt schon klar ist: Am heimischen PC mal in der eigenen Krankenakte schmökern, ist nicht möglich.

    "Es wird also nicht so sein, dass Sie von zu Hause aus auf Ihre Daten zugreifen können, aus den Aspekten, dass so etwas natürlich missbraucht werden kann. Wenn eine Lebensversicherung Sie unter Druck setzt, bestimmte Gesundheitsdaten von Ihnen zu bekommen, und das wollen wir natürlich nicht, auch im Arbeitsverhältnis, aus diesem Grund sollen nur beim Arzt im Vertrauensverhältnis diese Daten angezeigt werden."

    Bleibt die Frage nach dem Zeitplan: Ob neun Monate reichen, um das deutsche Gesundheitswesen reif zu machen für das digitale Zeitalter, bezweifeln viele. Aus diesem Grund wird die elektronische Gesundheitskarte wohl auch nur schrittweise eingeführt. Denn eines ist schon jetzt klar: Das gewaltigste IT-Projekt Deutschlands darf auf keinen Fall als zweites Toll Collect enden!