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Kerski: Nicht nur Polen gegen Nominierung von Steinbach

Im Streit um die Nominierung der Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach als Beirätin des geplanten Zentrums gegen Vertreibung hat der polnische Journalist Basil Kerski darauf hingewiesen, dass es nicht nur in Polen Vorbehalte gegen diese Personalie gebe. In Deutschland hätten sich mit SPD, Grünen und FDP große Teile des Bundestages gegen Steinbach ausgesprochen.

Basil Kerski im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.02.2009
    Tobias Armbrüster: Am Telefon kann ich jetzt mit Basil Kerski sprechen. Er ist Chefredakteur der deutsch-polnischen Zeitschrift "Dialog". Guten Tag, Herr Kerski!

    Basil Kerski: Guten Tag!

    Armbrüster: Herr Kerski, die Bundeskanzlerin hat gestern Abend vom Geist der Versöhnung gesprochen in den deutsch-polnischen Beziehungen. Was hat sie damit gemeint?

    Kerski: Also ich denke, in diesem Jahr 2009 - 70 Jahre nach Kriegsausbruch, Nazi-Deutschland hat damals Polen überfallen - sind beide Länder in der EU Partner, in der NATO auch militärische Partner. Das ist eine vollkommen neue Qualität der Beziehung, wenn man auf die letzten 200 Jahre schaut. Da hat jeder deutsche und polnische Politiker das gute Recht, von Versöhnung zu sprechen. Das sind glaubwürdige Worte. Aktuell gesehen steckt dahinter eine Fähigkeit, offen miteinander zu sprechen und auch in Ruhe Konflikte zu lösen, auch die Kritikpunkte und Anliegen des Partners ernst zu nehmen. Damit sieht es im Großen und Ganzen gar nicht so schlecht aus trotz des Konflikts um Frau Steinbach.

    Armbrüster: Nun ist es bei diesem Konflikt auch gestern Abend bei diesem gemeinsamen Abendessen offenbar nicht zu einer Lösung gekommen. Sind Sie darüber enttäuscht?

    Kerski: Nein, das habe ich nicht erwartet, und ich glaube, das hat auch Donald Tusk nicht erwartet. Die deutschen Medien berichten - das konnte ich leider nicht überprüfen -, dass Freitagvormittag Frau Merkel angedeutet hat, das Problem Steinbach in den nächsten Tagen zu lösen. Das ist interessant, denn ursprünglich ging man davon aus, dass man dieses Thema lange offen halten würde, zumindest bis zu den Bundestagswahlen in diesem Jahr.

    Armbrüster: Wie würde denn für Sie, Herr Kerski, eine Lösung in diesem Personalstreit idealerweise aussehen?

    Kerski: Also ich denke, es geht nicht nur um Frau Steinbach. Es ist wichtig, dass der BDV gemeinsam mit der Bundeskanzlerin hier eine personelle Zusammensetzung im Stiftungsrat findet, die übrigens - das muss man unterstreichen - nicht nur der polnischen Regierung gefällt, entspricht, sondern auch der Mehrheit im deutschen Bundestag. Denn auch die SPD hat sich gegen Frau Steinbach ausgesprochen, übrigens auch die Grünen und FDP. Das heißt, Sie haben auch sehr kritische Stimmen in Deutschland, die seit Jahren diese Entwicklung verfolgen. Das Entscheidende für mich, muss ich sagen, ist, dass wir in Berlin, wenn das sichtbare Zeichen entsteht, wenn die Dauerausstellung entsteht, eine Ausstellung präsentieren, die von der Mehrheit der Experten in Deutschland und in Polen angenommen werden kann als etwas Seriöses und nicht als den Versuch, Geschichte zu relativieren, den Blickpunkt zu verlagern zum Beispiel auf die Ursachen des Krieges, auf die Folgen. Und durch die starke Konzentration auf die Folgen, dass der Eindruck entsteht, na ja, die Opfer nach 1945, das war nicht nur eine größere Gruppe, aber das war die richtige Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Davor haben die Polen Angst.

    Armbrüster: Nun soll das geplante Vertriebenenzentrum ja eine deutsche Einrichtung sein. Sollten die Polen oder sollte die polnische Seite dabei ein ständiges Mitspracherecht haben?

    Kerski: Also es gibt hierbei eine schlechte Nachricht. Es gab durchaus das Interesse des polnischen Premierministers Donald Tusk, der übrigens aus Danzig stammt, seit den 80er-Jahren, seit seiner Untergrundtätigkeit, sich für das Thema, das Schicksal der Deutschen nach 1945, einzusetzen. Die negative Nachricht ist: Es gab eigentlich kein ernsthaftes Angebot, so ist mein Eindruck, an die polnische Seite, zu sagen, lasst uns mal doch gemeinsam eine solche Einrichtung schaffen, und wir, wir Deutschen, sind zum Beispiel bereit, unseren Blickwinkel etwas zu relativieren, zu verändern, von euch zu lernen, vielleicht auch in Form von zwei Ausstellungen in einer, zwei Interpretationen. Den Willen gab es nicht. Die Bundeskanzlerin, so ist mein Eindruck, wollte einfach eine bestimmte Lobbygruppe in ihrer Partei zufrieden stellen. Das ging nicht gut, wie man sieht, weil das Interesse für dieses Thema doch breiter ist. Es gibt aber vom polnischen Premierminister einen anderen Vorschlag, ich denke, der ist sehr interessant: In Danzig wird ein Museum des Zweiten Weltkriegs entstehen in ein paar Jahren, und dort soll auch das Thema "Folgen des Krieges 45-49", zum Beispiel die Vertreibung, die Zwangsumsiedlung von Deutschen aus Mitteleuropa, übrigens auch von Polen, aus Osteuropa thematisiert werden, aber in dem richtigen Kontext "Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg". Wir dürfen ja auch Stalins Sowjetunion nicht vergessen, die diese Umsiedlungsexzesse, -fantasien, die er ja hatte und ausgeführt hat, auch ausführen wollte. Also das ist nach Ansicht des Premierministers der richtige Kontext, die richtige Sprache, der richtige Blickwinkel. Also es wird ein polnisches Angebot, ich denke ein interessantes, zu diesem Thema geben.

    Armbrüster: Aber bleiben wir noch mal, Herr Kerski, beim Vertriebenenzentrum in Berlin, bei dem geplanten. Es soll eine deutsche Einrichtung sein, und können Sie verstehen, wenn sich deutsche Politiker jetzt ein wenig darüber aufregen, wenn sich polnische Politiker darin einmischen?

    Kerski: Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Politiker oder Journalisten, die sehr spät in dieses Thema eingestiegen sind - zum Beispiel Äußerung des BDV und Frau Steinbach zu Polen, zur polnischen Erinnerungskultur, zum polnischen Beitritt zur EU -, wenn sie spät eingestiegen sind und den Eindruck haben, also da flippen irgendwelche Polen aus, irgendwelche polnischen Journalisten produzieren sehr emotionale Artikel, und hier steht doch eine Bundestagsabgeordnete da und wird angegriffen. Also wenn man spät in diese Debatte eingestiegen ist, vor allem im Zusammenhang mit den letzten polnischen Präsidentschaftswahlen 2005, kann man durchaus den Eindruck gewinnen, hier geht es sehr emotional zu. Wer diese Debatte länger verfolgt, wie zum Beispiel auch manch ein kompetenter Außenpolitiker in Deutschland, der weiß eigentlich, worum es inhaltlich geht. Dass dieses Thema von polnischen Medien populistisch aufgegriffen wurde, hat viele Ursachen, auch zum Beispiel eine neue Medienvielfalt, ein harter Kampf unter den Medien. Es waren übrigens interessanterweise auch deutsche Medien oder deutsche Investitionen in Polen, die da sehr unsachlich Frau Steinbach angegriffen haben.

    Armbrüster: Die "Süddeutsche Zeitung" spricht in dieser Woche von einer Patriotismusfalle, in die die Journalisten in Polen tappen würden. Die polnischen Medien, schreibt die Zeitung, würden so einseitig über Deutschland berichten, als müssten sie ständig für die Ehre der polnischen Nation kämpfen. Ist da was dran?

    Kerski: Also dieser Artikel ist ärgerlich, denn er greift nicht die polnischen Medien an, sondern er greift Bartoszewski an, Tusk und die polnischen Medien, die sich in den letzten 20 Jahren sehr stark für die Aussöhnung mit Deutschen eingesetzt haben, und behauptet, diese würden sich aus ihren Positionen zurückziehen, weil sie Angst vor polnischen Populisten hätten, also das ist eine Behauptung, die absolut nicht stimmt. Man muss Folgendes sagen: Die von der "Süddeutschen", konkret von Thomas Urban, nicht von der gesamten "Süddeutschen"-Redaktion, angegriffenen Medien haben ein Problem mit dem Alleinvertretungsanspruch des BDV für die Vertriebenen. Man weiß sehr wohl, dass seit Willy Brandts Besuch 1970 in Polen, seit der faktischen politischen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, sehr viele deutsche Vertriebene aus dem BDV ausgestiegen sind - der wollte ja lange die Grenze nicht anerkennen -, ganz andere Formen der Organisation geschaffen haben. Diese sind übrigens in diesem neuen sichtbaren Zeichen, in dieser Stiftung nicht vertreten. Und sie stellen die Frage: Wer ist Frau Steinbach? Frau Steinbach ist 1943 als Tochter eines Wehrmachtssoldaten in einer vor 1939 polnischen Stadt geboren.

    Armbrüster: Einschätzungen waren das von Basil Kerski, dem Chefredakteur der deutsch-polnischen Zeitung "Dialog". Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kerski!