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Kilowatt aus Wellenkraft

Dänemark setzt auf erneuerbare Energiequellen. Schon jetzt wird rund ein Viertel des Energiebedarfes mit Windkraft gedeckt, Tendenz steigend. Die Windindustrie hat sich inzwischen zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes entwickelt und ein milliardenschwerer Export sichert Zehntausende Arbeitsplätze im Königreich.

Eine Sendung von Marc-Christoph Wagner |
    Meistens weht der Wind von Westen her über das kleine Königreich, besonders im Winter. Dänemark ist flach und vom Meer umgeben, das sind ideale Bedingungen, um Rotoren in den Wind zu stellen. Auch das politische Klima in den 90ger Jahren war lange günstig im Staate Dänemark: 50 Prozent des Energiebedarfs wollte die Regierung bis zum Jahr 2030 mit Wind und Wellen decken. Im Jahr 2004 betrug der Anteil aus erneuerbaren Energiequellen an der Stromversorgung immerhin schon knapp 25 Prozent. Dreiviertel davon - also 18 Prozent - wurden mit Windkraft erzeugt. Den Rest liefert die Biomasse. Dänemark war 1971 das erste Land weltweit, das ein eigenes Umweltministerium einrichtete. Diese politische Tradition hat sich auch im privaten Bereich durchgesetzt.


    Der grüne Bauer - Biodiesel und Solarzellen sind erst der Anfang
    Das blaue T-Shirt von Erik Andersen ist nass, an seinen Schläfen laufen Schweißperlen herunter. Auch in der Landschaft hat der warme Sommer seine Spuren hinterlassen. Viele Wiesen sind bräunlich und trocken, die meisten Felder bereits abgeerntet. Erik Andersen ist auf dem Weg zurück zum Hof - mit dem letzten Raps der Saison im Schlepptau.

    " Mein Traktor und mein Auto fahren mit Rapsöl. Auf dem Dach des Hauses haben wir Sonnenzellen und dann habe ich Anteile an einem Windrad erworben. All unsere Energie auf dem Hof beziehen wir aus erneuerbaren Quellen.
    "
    Erik Andersen ist 60 Jahre alt, sein kurzes graues Haar, seine glatte Haut, sein bübisches Lächeln aber lassen ihn jünger erscheinen. Seit über vierzig Jahren ist Andersen Bauer, seit 20 Jahren bestellt er seine Äcker nach ökologischen Grundsätzen:

    " Ich möchte mich den Regeln der Natur anpassen und nicht umgekehrt. Es ist viel zu einfach, das ganze Gift zu spritzen. Wir wissen doch gar nicht, welche Folgen das alles haben wird, das wird sich erst in vielen Jahren zeigen. Ich befürchte, eines Tages werden wir für diese ganze Chemie teuer bezahlen.
    "

    " Gerade in diesem Sommer haben die Sonnenzellen sehr viel mehr Energie produziert als wir selbst verbrauchen können - unser Strom-Zähler läuft dann rückwärts. Und außerdem haben wir wie gesagt für 60.000 Kronen Anteile an einem Windrad gekauft, und auch da bekommen wir jährlich 7000-8000 Kronen zurück. Unter dem Strich also ist unser Verbrauch mehr als gedeckt.
    "

    Zurück auf dem Hof legt Erik Andersen einen Schlauch in den mit Raps gefüllten Anhänger, der das Getreide in die Presse saugt und dieses zu Öl und proteinreichem Kuhfutter verarbeitet. 3500 Liter verbrauchen Andersens Wagen und Traktor pro Jahr, was einem Raps-Anbau von vier Hektar entspricht. In einem linden Strom läuft die grünlich-gelbe Flüssigkeit in ein kleines Sieb und tropft dann in einen auf der linken Seite der Presse angebrachten Behälter.

    " Auf kurze Sicht rechnet sich das nicht, denn allein diese Presse hat 30.000 Kronen gekostet und auch den Traktor und das Auto mußte ich umrüsten. Aber nun habe ich diese Maschine und wenn andere Bauern aus der Gegend Interesse hätten, dann könnten wir uns diese natürlich auch teilen - sie kann 24 Stunden am Tag laufen und 100 Liter Öl produzieren. Ich aber sehe das ganze nicht allein unter ökonomischen Gesichtpunkten. Ich finde es faszinierend, auf pflanzlicher Basis fahren zu können. Und, da bin ich mir sicher, die Benzinpreise werden weiter steigen, das heißt auf lange Sicht wird sich diese Investition auch rechnen. Doch wie gesagt: nicht der Geldbeutel, sondern die ganze Idee dahinter ist das, was für mich zählt.
    "

    Peter Høegs neuer Roman Den stille pige (Das stille Mädchen) spielt in Kopenhagen nach einer Katastrophe, weite Teile der Innenstadt stehen unter Wasser, wie es dazu kam erfährt der Leser erst im Laufe der Lektüre. Die Hauptperson des Kriminalromans ist Kasper Krone, ein gealteter Zirkusartist, der über das absolutes Gehör verfügt.

    Peter Høegs Roman ist im Mai in Dänemark erschienen und wird derzeit ins Deutsche übersetzt. Der Münchener Hanser-Verlag plant die Veröffentlichung für das kommende Frühjahr:

    Er hatte Hunderte von Bildern gesehen, und dennoch war er vom Anblick überrascht. Er blieb stehen. Das Herz tat ihm weh. Wegen der Schönheit und Tragik.
    Das Meer hatte Kopenhagen überschwemmt. Die Kanäle waren weg, die Bürgersteige waren weg, die Strasse. Vor seinen Füssen erstreckte sich ein ungebrochener Wasserspiegel vom Holmens Kanal bis zu den Renaissance-Fassaden der Strandgade*. Auf diesem Spiegel schwamm die Börse, Christiansborg, Holmens Kirke.
    Die Akustik ging ihm direkt zu Herzen. Stille Wasserflächen sind stark reflektierend. Der Raum vor ihm war so klangvoll wie der Musikvereinssaal in Wien - mal hundert. Frei von Verkehr. Wie Venedig.
    Das Gebiet war durch Arbeitslampen erleuchtet. Jetzt konnte er die Vibrationen unter sich identifizieren. Diese mussten von Hunderten von hydraulischen Absaugpumpen stammen.
    Vor der Nationalbank arbeiteten mehrere Teams in orangefarbenen Sicherheitsanzügen von einer schwimmenden Plattform aus und errichteten Spundwände mit einer Ramme. Ein schweres Glasfiberboot mit niedriger Reling setzte eine der orangefarbenen Gestalten ab. Sie bewegte sich schnell entlang des Abhanges, wie eine Flamme über Benzin.



    Fast zeitgleich begannen Ingenieure in Amerika und Dänemark mit der Entwicklung der Windräder. Doch die Herangehensweise war unterschiedlich: in Amerika ließen sich die Ingenieure vom Flugzeugbau inspirieren. Die ersten Modell waren so leicht als möglich und von Beginn an sehr groß. Die dänischen Entwickler waren Handwerker, die zuvor Landwirtschaftsmaschinen produziert hatten, sie bauten schwere, aber solide Windräder. Rückschläge gab es anfangs genug: Konstruktionsfehler, Getriebe- und Gewitterschäden. Daraus hat man gelernt in Nordeuropa. Alle Pannen haben die Dänen nur noch mehr angespornt, bis aus der Dänischen Windkraft eine Erfolgsgeschichte wurde. Dass die Amerikaner sich im Laufe der Zeit nicht gerade mit der Entwicklung der sauberen Stromerzeugung engagiert haben ist bekannt und so machen sich die Dänen inzwischen fasst nur noch selbst Konkurrenz.

    Bereits 2001 standen sie an der Weltspitze und stellten vor Kopenhagen 20 Windräder ins Wasser: Leistung 40 Megawatt, genug um 35. 000 Wohnungen mit Strom zu versorgen. Dieser Rekord wurde schon im Jahr darauf gebrochen: 14 Kilometer vor der westjütländischen Küste ging die erste "Vestas 2 Turbine" in Betrieb, auf sie sollten noch viele folgen.



    Von der Landmaschine zur Windkraftanlage - Vestas eine Erfolgsgeschichte
    Selbst Hans Christian Andersen hätte dieses Märchen nicht schreiben können, sagt Hans Laurids Pedersen mit funkelnden Augen, während er durch die Montage-Halle führt. Rechts und links Komponenten der Windräder. Auf dem grauen Linoleumboden ist genau gekennzeichnet, wo man laufen darf und wo nicht. Sicherheit wird groß geschrieben im Hause Vestas.


    Seit 1968 ist Hans Laurids Pedersen bei Vestas beschäftigt. Damals war das Unternehmen aus dem Westen Jütlands bekannt für den Bau solider Landwirtschaftsmaschinen. Die Ölkrise der siebziger Jahre aber bestärkte Firmenchef Peter Hansen darin, einen alten Kindheitstraum zu verwirklichen - nämlich Windräder zu bauen. Die Voraussetzungen waren gut - Vestas hatte einen exzellenten Ruf und in den Landwirten der Region erste potentielle Abnehmer. Wenige Jahre später hatte man sich für das Konzept mit den drei Flügeln entschieden. 1979 ging das erste Windrad in Serie - mit einer Leistung von 55 Kilowatt, die jüngste Generation schafft fast 100 mal mehr. Der Aufstieg von Vestas zum weltweit führenden Hersteller von Windrädern nahm seinen Lauf.

    " Die Windräder sind seither sehr viel effizienter geworden. Allein die Oberfläche der Flügel ist heute so, dass die Energie, mit der der Wind auf die Flügel trifft, dreimal so groß ist wie bei den ersten Windrädern. Das hat einerseits mit der Flügeltechnologie und den Materialen zu tun, die wir seither entwickelt haben, aber die Windräder sind heute auch höher als früher, und bis zu einem gewissen Grad steigt die Windenergie, je höher man kommt. Dann ist da der Generator, der den Strom produziert - auch dieser ist sehr viel leistungsstärker geworden. Und auch den Widerstand innerhalb der Gangschaltung haben wir reduzieren können. Nur ein halber Prozentpunkt macht hier ja sehr viel aus, wenn man eine Lebenszeit der Windräder von 20 Jahren voraussetzt.
    "

    Über eine kleine Leiter klettert Hans Laurids Pedersen hinein in die nahezu fertig montierte Rotorgondel, in den Kopf eines Windrades. Im Inneren ist wenig Platz. Um am Generator vorbeizukommen, muss der 58jährige seinen rundlichen Bauch unter dem penibel gebügelten weißen Hemd einziehen. Auch nach 38 Jahren bei Vestas hat Pedersen nichts von seinem Enthusiasmus verloren. Als Verkäufer für Landwirtschaftsmaschinen hat er angefangen, die IT-Abteilung des Unternehmens hat er mit gegründet, Einkaufschef ist er gewesen, zwischen 1987 und 2000 hat er die weltweite Serviceabteilung geleitet. Heute kümmert sich der gelernte Techniker vor allem um die Weiterentwicklung - eine faszinierende Aufgabe, sagt er, denn ein Windrad sei ein Sammelsurium an unterschiedlichsten Techniken und stelle höchste Anforderungen an das Material. Egal, ob Hydraulik, Elektronik, Hochspannungs- oder Generatortechnik, Flügelproduktion oder Computersteuerung - ein Fortschritt in einem dieser Bereiche habe meist auch Konsequenzen für den Bau der Windräder:

    " Die zukünftige Entwicklung wird nicht mit so großen Schritten voranschreiten, wie sie es bislang getan hat. Von 100 Kilowatt machten wir anfangs einen Sprung auf 200 und dann von 225 auf 500. Ich glaube nicht, dass wir die Leistung heute noch verdoppeln könnten, aber kleine Entwicklungsschritte wird es weiterhin geben und auch die Dimension der Windräder wird weiter zunehmen. Aber auch andere Dinge spielen hier natürlich eine Rolle. Denken Sie nur an den Transport: die größten Flügel sind heute knapp 50 Meter lang. Oder auch der ganze Kranmarkt: in einigen Teilen der Welt gibt es kaum Kräne, die die heutigen Windräder anheben und aufbauen können. All das will bei der Entwicklung natürlich bedacht sein.
    "

    Über dem Eingang des Hauptgebäudes weht eine chinesische Fahne - eine Delegation aus dem Reich der Mitte ist zu Gast. Dänemark selbst erzielt mittlerweile ein Viertel seines Stroms aus Windrädern. In den kommenden Jahren soll dieser Anteil infolge eines in den neunziger Jahren verabschiedeten Energieplanes auf 30 Prozent steigen - nicht durch den Bau immer neuer Windräder, sondern durch den Austausch älterer Modelle durch größere, effizientere.



    Nicht gut zu sprechen ist Hans Laurids Pedersen auf die liberal-konservative Regierung des Landes. Nicht allein habe diese kurz nach dem Machtwechsel im November 2001 alle Förderprogramme für Erneuerbare Energien eingestellt. Auch, sagt er konsterniert, fehlt Vestas die Genehmigung für ein Testgelände. In Dänemark habe das Unternehmen derzeit keine Möglichkeit, Kunden und Investoren seine neuesten, fast fünf Megawatt großen Modelle zu demonstrieren:

    " Ich sage stets, man braucht drei Dinge, um Windräder aufzustellen: Wind, ein Stromnetz und politischen Willen. Und das gilt für Dänemark und jeden anderen Ort der Welt. Man muss Abnahmepreise auf lange Sicht garantieren, so dass die Menschen in Windräder investieren. Überhaupt bedarf es einer langfristigen Energiepolitik - und genau die haben wir hier in Dänemark verloren. Und eben deswegen stagnieren die Investitionen in die Windwirtschaft, weil man nie weiß, woran man ist. Das ist ein Trauerspiel - dasjenige Land, das einst allen anderen voraus war, hechelt heute hinterher.
    "

    Literatur:
    Er sah über das Wasser. Vor ihm lag ein ungebrochener Wasserspiegel.
    Die Ritterstatue war entfernt. Auf dem Bürgersteig bis hin zur Absperrung spielte ein Kammerorchester leichtverdauliche Happen der Brandenburgischen Konzerte, der Anfang der Kopenhagener Frühjahrs- und Sommerunterhaltung. Um die Musiker herum bewegten sich Menschen in einem Strom, auf dem Weg in das Nachtleben, als ob sie eine Mission und eine Richtung im Dasein hätten.
    Er schloss die Augen und lauschte hinein in die Musik. Hinein in den Raum um sich herum. Unter der Oberfläche gab es genug Furcht, um ein ganzes Neurosenkrankenhaus zu eröffnen. Er öffnete die Augen und blickt über das Wasser. Es glich nicht dem Untergang der Welt - Pompei, Santorini, der Sintflut. Es hätte ein natürlicher See sein können. Ein sehr großer Wasserschaden.
    Er fühlte eine plötzliche Wut gegenüber Gott. Die Menschen um ihn herum hätten glücklich sein können. Er selbst hätte glücklich sein können. Statt dessen gab es Naturkatastrophen. Kindesmissbrauch. Entführungen. Einsamkeit. Die Trennung von Menschen, die sich lieben. Die Wut stieg in ihm hoch. Das Problem mit der Wut Gott gegenüber ist, dass dieses System keine höhere Instanz bietet, um zu klagen.




    Samsö ist 26 Kilometer lang und 7 breit, die Insel liegt mitten in der Ostsee und ist nur mit der Fähre oder aus der Luft zu erreichen. Von hier aus traten schon die Wikinger zu ihren Raubzügen an, vor acht Jahren brach das Inselvolk wieder zu neuen Ufern auf. Diesmal ging es in die Schlacht für besser Luft, eine vorbildliche CO2-Bilanz kurz sauberen Strom aus Wind und Sonne. 1997, noch zu Zeiten der sozialdemokratischen Regierung, wurde ein Wettbewerb unter dänischen Inseln ausgeschrieben. Innerhalb von zehn Jahren sollte sich ein Eiland ausschließlich mit erneuerbaren Energiequellen versorgen können. Der Gewinner würde mit dem Titel "regenerative Energieinsel Dänemark" geschmückt und vom Staat gefördert werden. Ein Modell das Schule machen könnte angesichts steigender Ölpreise, dem unsicheren Gasmarkt und einem Klimawandel, dessen Folgen wir heute noch gar nicht abschätzen können.

    Samsö war schon nach fünf Jahren Energieautark. 4500 Insulaner setzen auf Alternativen zum Atom- oder Kohlestrom. Und auch wenn die jetzt amtierende rechtskonservative Regierung die Fördergelder gestrichen hat, Wind und Sonne gibt es immer noch umsonst und die Kraftwerke rechnen sich inzwischen.


    Samsö- eine Insel ist Energieautark
    Die Fähre nähert sich langsam dem Kai. Einige Passagiere lehnen sich über die Reling. Unten auf dem Parkplatz winkt ein älteres Ehepaar seiner Tochter mit einer dänischen Fahne entgegen. Auf der anderen Straßenseite formen weiße Steine auf dem Rasen das Wort: Samsø.


    Angelehnt an seinen dunkelblauen Volvo, die Arme vor der Brust verschränkt, in Shorts und gestreiftem Polo-Shirt gekleidet wartet Jens Peter Nielsen. Seit drei Jahren lebt er mit Frau und seinen beiden Jungs auf der Insel. Lohn und Brot verdient er bei der Energieagentur. Nielsen und seinen Kollegen ist es zu verdanken, dass Samsø heute nicht mehr nur für seine Kartoffeln und seine schöne Landschaft bekannt ist.


    Von Kolby Kås im Südwesten der Insel geht es nach Nordby im Norden - Wegstrecke: rund 20 Kilometer. Das Energieprojekt, sagt Jens Peter Nielsen, ist mittlerweile zu einem Teil der Identität Samsøs geworden:

    " Ganz bestimmt. Und das hat vor allem damit zu tun, dass man die Bürger von Anfang an in das Projekt miteinbezogen hat. Sie hatten die Möglichkeit, Anteile an Windrädern zu kaufen, für den Anschluss an das Fernwärmenetz haben sie lediglich einen symbolischen Preis zahlen müssen, Strom und Heizung sind heute günstiger als zuvor. "



    " Zudem hat das Energieprojekt viel mit regionaler Entwicklung sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort zu tun. Das meiste, was auf die Beine gestellt wurde, wurde von Handwerksbetrieben auf der Insel ausgeführt. Und auch bei den größeren Projekten, etwa der Errichtung des Fernwärmenetzes, haben wir stets darauf gedrängt, dass die auswärtigen Unternehmen lokale Handwerker beschäftigen. Und das ist uns auch weitgehend gelungen.
    "

    Nach gut 20minütiger Fahrt ist das kleine Heizwerk außerhalb Nordbys erreicht, Jens Peter Nielsen findet den Schlüssel für die Anlage in einem kleinen Verschlag. Im Inneren wirkt alles wie neu. In einer Halle liegen Berge von Holzspänen. Kombiniert mit einem Feld von Solarzellen sorgen sie für warmes Wasser in 200 Haushalten. Insgesamt vier solcher kleinen Fernwärmewerke gibt es auf Samsø, berichtet Nielsen. Alle größeren Dörfer sind versorgt, für die abliegenden Häuser und Höfe wurden zum Teil individuelle Lösungen gefunden. 70 Prozent aller Inselbewohner beziehen ihre Wärme mittlerweile aus erneuerbaren Quellen:

    " Im Moment haben wir alle Ressourcen auf der Insel, um die Kraftwerke zu betreiben, aber man muss diese natürlich richtig dimensionieren, um nicht eines Tages Stroh oder Holzspäne nach Samsø einführen zu müssen. Andererseits kann ich nicht erkennen, wo man weitere Fernwärme-Werke bauen sollte, denn die Dörfer, in denen so viele Menschen wohnen, dass sich die Etablierung eines Fernwärme-Netzes lohnt, sind versorgt.
    "

    Während der Fahrt zurück ziehen weiße Strände, urige Dörfer, Wiesen, Felder und Waldstücke an der Windschutzscheibe vorbei. Griechenland des Nordens wird Samsø im Volksmund genannt - eine kleine Oase im Kattegatt. Seit 1998, sagt Jens Peter Nielsen, während er den Wagen mit nur einer Hand am Steuer lenkt, hat Samsø den Import an fossilen Brennstoffen, an Öl und Benzin, von jährlich 55 auf 30 Millionen Kronen reduziert. In Zukunft sollen Autos und Busse mit grünem Strom und Rapsöl fahren können, sollen auch die letzten Ölheizungen verschwinden. Ob das Modell Samsø zu einem Modell Dänemark, ja zu einem weltweiten Vorbild werden könnte - Jens Peter Nielsen geht einen Augenblick in sich:

    " Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, wenn man ein solches Projekt unvoreingenommen angeht, wenn man dezentrale Kraftwerke etabliert und die Zahl der Windräder erhöht, dann könnte man ein gutes Stück weit vorankommen. Natürlich kann man sich nicht nur auf die Windräder verlassen, aber da gibt es ja neue Technologien - Wasserstoff-Zellen und Elektrolyse -, bei denen man Energie auch speichern kann, bis man sie braucht. Ich denke, man könnte sehr weit kommen.
    "



    Während die Sonne naturbedingt nur tagsüber scheint, und der Wind mal mehr, mal weniger stark weht, sind die Gezeiten eine verlässliche Kraft, die zwar schwankt, aber nie pausiert. Nachdem die Dänen schon Pioniere bei der Windtechnologie waren, versuchen sie sich seit längerem auch in der Verstromung der Wellenkraft. Für ein Land das von zwei Meeren umgeben ist macht das vielleicht auch doppelt Sinn. Im Meer schaukeln inzwischen erste Wellenkraftwerke, die die Wogen in Kilowatt umwandeln. Der "Wave Dragon" ist ein Modell; mit 237 Tonnen schaukelt das Krebsähnelnde Ungetüm auf offener See, streckt seine Vorderbeine aus und fängt so die Wellen ein. Wenn das Wasser aus seinem Schlund zurück ins Meer strömt treibt es dabei 16 Turbinen zur Stromerzeugung an. Dieses schwimmenden Kraftwerke ist noch nicht in Serie, doch der Prototyp wird schon getestet, auf hoher See-

    Das Wellenkraftwerk auf hoher See
    Am blauen Himmel ist weit und breit keine Wolke zu sehen. Die Sonne brennt, allein die frische Brise macht den Aufenthalt im Freien erträglich. Gut 150 Meter sind es bis hin zur Plattform auf dem Wasser. Ist das abgeschlossene Eisentor neben der holprigen Küstenstrasse erst einmal passiert, führt der Weg über eine schmale hölzerne Brücke. Unter ihr, gut drei Meter tiefer, treiben schäumende Wellen in Richtung Land - Reihe an Reihe, wie an einer Schnur gezogen.

    " Vor sieben, acht Jahren haben wir erkannt, dass es einer Versuchsstation bedurfte - einer Versuchsstation, in der die Entwickler ihre eigenen Anlagen testen konnten, um herauszufinden, ob diese im Meer überhaupt funktionierten und überleben würden.
    "

    Preben Maegaard gestikuliert lebhaft, während er spricht. Seit 1984 leitet der 71jährige das sog. Folkecenter in Sønder Ydby im Nordwesten Jütlands - eine mannigfach preisgekrönte Versuchsschmiede für die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen. Im Jahr 1998 beschloss die damals sozialdemokratisch geführte Regierung, eine Versuchsstation für Wellenkraftwerke zu bauen. Die Wahl fiel auf die Nissum Bredning, eine durch eine schmale Landzunge geschützte Meeresbucht nur wenige Kilometer vom Folkecenter entfernt:

    " Zunächst wurden die Wellenkraftanlagen ja in den Wassertanks der Universitäten ausprobiert, doch heute sind die unterschiedlichen Modelle dafür zu groß. Noch dazu mußte man sie unter authentischen Bedingungen testen - hier im Wasser gibt es Algen und Muscheln, Sand treibt herum, jede Menge Abfall und Holz, dem allen muss die Anlage natürlich standhalten. Doch auch diese Versuchsstation ist nur ein Zwischenstadion. Die nächste Phase sind noch größere Wellenkraftanlagen, die dann weit hinaus in die Nordsee gelegt werden, wo die Wellen noch sehr viel größer sind. Diese Versuchsstation bezeichne ich immer als eine Art Laufgitter, in dem das Kind erste Schritte machen kann, bevor es sich dann in der großen weiten Welt bewähren muss.
    "
    Preben Maegaard hält sich eine Hand über die Augen, um von der Sonne nicht geblendet zu werden. Sein weißes, in einem Kranz um das gebräunte Haupt gewachsene Haar flattert im Wind. Dass die Wellenkraft in Zukunft einen wesentlichen Teil der weltweiten Energieversorgung ausmachen wird, davon ist Maegaard fest überzeugt. Noch acht Stunden nachdem der Wind sich gelegt hat, gibt es Wellen, sagt er - so sei die Wellenkraft nicht allein gut im voraus zu berechnen, sondern könne manches Windloch in der Stromversorgung überbrücken.

    " Ich würde sagen, dass die Wellenkraft heute dort steht, wo sich die Windenergie Ende der siebziger Jahre befand. Es gibt Anlagen, die funktionieren, die sich aber noch nicht in der kommerziellen Produktion befinden; wir können sehen, dass es sich um eine viel versprechende Technologie handelt, und mit einem nachhaltigen und zielgerichteten Einsatz könnte die Wellenkraft ein wichtiges Element neben anderen unserer zukünftigen Energieversorgung werden. Die Entwickler aber haben noch einen weiten Weg vor sich - von den heutigen Anlagen bis hin zu kommerziellen Wellenkraftwerken im Meer ist es ein großer Schritt.
    "

    Rund vierhundert Kilometer von der Nissum Bucht entfernt, nämlich im Norden Kopenhagens, ist Hans Christian Sørensen dabei, den ersten Kaffee des Tages zu kochen. Nickelbrille, markantes Kinn, ein verbindliches Wesen. Sørensen ist einer von zwei Köpfen hinter der Wellenkraftanlage Wave Dragon, eines von derzeit drei dänischen Konzepten:

    " Grosse Unternehmen wie Siemens und Danfoss stellen uns ihre beste Technik zur Verfügung und nehmen großen Anteil an unserer Arbeit. Auch die EU-Kommission finanziert uns und hat erkannt, dass es für die Wellenkraft einen riesigen Markt gibt. Alle warten auf die erste große Anlage - dann sind sie bereit, auf den Wagen aufzuspringen.
    "

    Sørensen nimmt eine Tasse Kaffee und setzt sich an seinen Schreibtisch. Lange Zeit wurde Wave Dragon an der Versuchsstation des Folkecenter getestet, heute liegt die Anlage zwanzig Kilometer weiter südlich - die Energie der Wellen ist dort um ein Vielfaches höher. Über diverse Web-Kameras kann Hans Christian Sørensen jede Bewegung des Wellendrachen auf dem Bildschirm seines Computers verfolgen. Über ein Steuerprogramm kann er von hier aus diverse Einstellungen modifizieren und Tests durchführen.



    Hans Christian Sørensen teilt die Einschätzung Preben Maegaards, dass die Wellenkraft derzeit mit der frühen Entwicklungsstufe der Windkraft vergleichbar ist. Allerdings werde schon die nächste Generation - die erste Anlage auf dem offenen Meer - ebenso viel Strom produzieren, wie die größten Windräder heute. Das Problem der Wellenkraft, sagt Sørensen, ist weder die Technik noch der fehlende Markt. Das Problem sei die Trägheit der Politiker:

    " Wenn wir nur ein Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken würden, wären wir größer als die gesamte dänische Windindustrie es heute ist. Die Perspektiven sind fantastisch, aber - und damit kämpfen alle Wellenkraftanbieter gleichermaßen - die staatlichen Behörden stehen auf dem Standpunkt, jetzt warten wir erst einmal ab, ob die erste Anlage im offenen Meer funktioniert. Die Investoren hingegen stellen sogleich die Frage, was geschieht, wenn diese ein Erfolg wird? Denn dann möchten sie natürlich Hunderte Anlagen auf einen Schlag finanzieren. Politik und Staat aber haben uns bis heute nicht signalisiert, wo wir Wellenkraftanlagen in diesem Maßstab ggf. bauen dürften. Mit anderen Worten: alle warten auf alle - die Investoren auf die Politiker, die Politiker auf die ersten erfolgreichen Anlagen - und so passiert derzeit gar nichts.
    "

    Zumindest nicht in Dänemark, fügt Hans Christian Sørensen hinzu und zeigt eine elektronische Karte der walisischen Küste, auf der sämtliche Schiffsbewegungen der letzten Jahre verzeichnet sind. Portugal und Großbritannien zeigten nämlich ein erhebliches Interesse an der Wellenkraft. Gemeinsam mit den Behörden sei man derzeit dabei, die ersten konkreten Wellenkraftwerke im offenen Meer zu planen. Offenbar, sagt Sørensen schmunzelnd, während er den Duft des Kaffees einatmet, wolle man Dänemark nicht noch einmal - wie seinerzeit bei der Windenergie - eine ganze Zukunftstechnologie alleine überlassen.


    Generalverteidigung, sagte Mørk - das ist der offizielle Name. Das ist ein schöner Gedanke, sehr dänisch. Er beinhaltet eine unbegrenzte Zusammenarbeit. Wenn die Katastrophe eintritt, wie hier, arbeiten alle zusammen. Die Polizei, Falck, das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr. Und das Militär. In Dänemark haben wir Angst davor, den Ausnahmezustand zu erklären. Die Politiker glauben, sie können alles allein mit Gesetzen bewerkstelligen, bis hin zum Staatscoup. Mit anderen Worten: was wir haben, ist eine Notsituation. Die Polizei leitet die Nachforschungen innen im Zentrum. Die Reservisten sperren ab. Das Technische Hilfswerk räumt auf. Das Militär stellt die Muskeln. Selbst das Kirchenministerium ist dabei - ein schöner Gedanke. Natürlich haben sie keinen Funk, so dass sie nicht miteinander kommunizieren können. Und auch ihre IT-Geräte sind nicht miteinander abgestimmt, so dass sie sich auch nicht schriftlich austauschen können. Und sie sind an 7000 Gesetze und Verordnungen gebunden, die respektiert werden müssen. Und dennoch sind sie, nach höchstens einer Woche, einigermaßen etabliert. Das war die Zeit, die es brauchte. Eine Woche. Nach dem ersten Beben.




    Der Wind bläst auf der See fast doppelt so stark wie im Binnenland, die Stromausbeute ist hier um ein vielfaches höher. Doch die Gefahren für die Windmühlen sind auf dem Meer ebenfalls größer: Im Frühjahr und Herbst können die Nordseewellen 20 Meter hoch schlagen, und auf der Ostsee rammen die Eisschollen gegen die Türme. Egal zu welcher Jahreszeit, die salzige und feuchte Meeresluft frisst am Material, ruiniert das Getriebe. Der größte Offshore-Windpark weltweit wurde vor die dänische Küste gestellt. Doch die Witterung setzt den Mühlen derart zu, dass vor zwei Jahren 80 Windräder auf hoher See abgebaut und an Land teuer repariert werden mussten. Das war für den Hersteller die "Vestas-AG" und für die gesamte Windbranche ein herber Schlag. Doch trotzdem liegt die Zukunft der Branche auf hoher See, denn wenn der Platz an Land knapp wird dann heißt es: raus aufs Meer.

    Der Windpark im Meer
    Der kleine Hafen von Gedser. Etwa eine Stunde braucht das Versorgungsboot von hier bis zu den 72 Windrädern draußen auf dem Meer - zehn Kilometer von der Küste entfernt. Auf dem Deck genießt Bjarne Haxgart die Sonne. An einem Tag wie diesem macht die Arbeit Spaß, sagt der Leiter des 24 Quadratkilometer großen Windparks.

    " Der Bau der Anlage war eine riesige Herausforderung. Schauen Sie, der ganze Meeresgrund musste zunächst präpariert werden. Dann die Fundamente: Die haben wir in Polen fertigen lassen, jedes einzelne wiegt knapp 1500 Tonnen. Sie mussten transportiert und mit einem Spezialkran zentimetergenau aufgestellt werden. Im Vergleich zu den Kraftwerken, die ich bisher gebaut habe, war das hier etwas ganz besonderes. "


    Doch der Aufwand hat sich gelohnt, sagt Haxgart stolz. Zwar sei die Aufstellung eines Windrades im Meer mit 25 Millionen Kronen rund viermal so teuer wie an Land, seien Wartung und Versorgung schwieriger. Doch gebe es auch jede Menge Vorteile: der Wind wehe konstanter, die Mühlen müssten nicht so hoch gebaut werden. 145.000 Einfamilienhäuser versorgen die 72 Windräder mit sauberem Strom. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Kohlekraftwerk gelangen jährlich eine halbe Million Tonnen CO2 weniger in die Luft, 490 Tonnen Schwefel und 440 Tonnen Stickstoff werden zusätzlich eingespart.

    " Egal, wie man die Sache betrachtet, die Windenergie ist ein gutes Geschäft. Wir als Betreiber erhalten einen guten Preis für die Kilowattstunde, Dänemark reduziert seinen CO2-Ausstoß und hat als Land einen umweltpolitischen Gewinn.
    "

    Das Boot erreicht das erste Windrad. Zwei Mechaniker hieven ihre Werkzeug- und Ersatzteilkästen auf das Deck. An diesem Windrad ist die Arbeit getan. Über dem Schiff ziehen die Flügel des Windrades ihre rauschenden Kreise:

    O-Ton Mechaniker
    " Wir haben eine Stelle abgedichtet, so dass kein Öl auslaufen kann. Und dann sind da stets kleinere Wartungsarbeiten. Schwieriger wird es bei der nächsten Mühle - die steht still. Aber das bekommen wir hoffentlich in den Griff.
    "

    Einige Minuten später ist das defekte Windrad erreicht. Auf dem Betonfundament wird die obligatorische Schwimmweste mit Trägergurten und Stahlhaken vertauscht - wenn es brennt oder der Fahrstuhl ausfällt, müssen die Arbeiter sich abseilen oder klettern können:

    " Hier draußen muss man sich zu helfen wissen. Man darf nie vergessen: Wir sind auf dem Meer und jede Hilfe, egal ob sie per Schiff oder mit dem Hubschrauber kommt, ist cirka eine Stunde entfernt.
    "

    Es geht hinein - und hinauf. Der Fahrstuhl im Inneren des Windrades ist so eng, das zwei Personen sich kaum bewegen können. 65 Meter, etwa 20 Stockwerke, geht es in die Höhe. Oben angekommen führt der Weg über zwei schmale Metallleitern in das Gehäuse hinter dem Rotor.


    70 Meter über der Ostsee eröffnet sich ein fantastischer Blick. Die Sonnenstrahlen tanzen auf der Oberfläche des Wassers. Ein Schwan zieht Richtung Küste - ein schmaler weißer Streifen am Ende des Blaus. In der Luft das stete Summen der Räder:

    " Bei der Anlage dieses Windparks gab es fast keine Beschwerden. Die Leute finden es gut, dass die Räder im Meer stehen. Es stört sie nicht, dass sie weithin zu sehen sind. Sie wollen sie nur nicht im eigenen Garten haben.
    "

    Gemeinsam mit den Mechanikern geht es zurück zum Hafen nach Gedser. Noch immer stehen die Flügel des Rades still. Es fehlt ein kleines elektrisches Relais, das erst bestellt werden muss. Haxgart nippt an einem Becher mit heißem Kaffee. Durch die Bullaugen wird der Windpark langsam kleiner:

    " Uns war es von Beginn an wichtig, so viele Leute aus der Region zu beschäftigen wie irgend möglich. Immer, wenn die Wahl zwischen zwei gleich qualifizierten Anbietern stand, haben wir uns für den lokalen entschieden. Auch die Dinge, die wir alltäglich brauchen, beziehen wir aus der Umgebung. Ich finde, wir haben hier eine gewisse Verpflichtung - gerade in einer solch strukturschwachen Region.
    "

    Noch einmal ist er zu sehen - der stolze Blick in Haxgarts Augen. Er und seine Familie, erzählt er, haben sich gerade ein Haus in der Gegend gekauft.


    Als die Rechtskoalition im Jahr 2002 ihren Haushalt verabschiedete, stutzte sie der Windindustrie in gewisser Weise die Flügel; die Produktionszuschüsse für Erneuerbare Energiequellen wurden gestrichen. Der Markt soll es richten. In Anbetracht des steigenden Ölpreises arbeitet die Zeit wahrscheinlich auch ohne staatliche Förderung für die regenerativen Energieformen Es gibt auch noch eine weitere Möglichkeit dem steigenden Preisdruck auszuweichen und dem Kyoto-Ziel - klimaschädliches Kohlendioxid einzusparen - näher zu kommen: Energie sparen! Diese schlichte Lösung gerät angesichts der neuen Technologien für Solar- und Windanlagen oft in Vergessenheit. Dabei würde Untersuchungen zur Folge das Abschalten aller Stand-by-Geräte allein in Deutschland jährlich die Stromproduktion eines Atomkraftwerks einsparen! Da sich mit dem Sparen aber in der Industrie kein Geld verdienen lässt, wird dafür auch nicht im großen Stil geworben. Doch im kleinen Kreis besinnt der ein oder die andere.


    Jorgen Norgard - Emeritiert und kritisch



    Das Haus liegt in einer der ruhigen Strassen der Kopenhagener Innenstadt - in unmittelbarer Nähe von Nyboder, der Siedlung mit den ockerfarbenen Häusern, die König Christian IV. 1631 für seine Seeleute zu bauen begann. Gemütlich, oder wie die Dänen sagen: hyggelig, geht es hier zu. Stockrosen wachsen an den Hausfassaden empor. Die niedrigen Fenster ohne Gardinen erlauben einen Blick hinein ins Private der Anwohner.


    Jørgen Nørgård, 73 Jahre, emeritierter Professor der Kopenhagener Technischen Universität, bewohnt eines dieser schmalen dreistöckigen Häuser mit seiner Frau. Eine gewundene Holztreppe führt hinauf in den ersten Stock. An deren Ende wartet ein großer, hagerer Mann - weiße Hose, gestreiftes Hemd, fester Händedruck. Und bekannt für seine These, ein Stromverbrauch von 250 Kilowattstunden im Jahr reiche aus, um bequem zu leben:

    " Also, diese 250 Kilowatt gelten pro Person. Mit anderen Worten: es ist einfacher, dieses ambitiöse Ziel zu erreichen, wenn drei, vier Leute in einem Haushalt zusammenleben. Denn für 1000 Kilowatt-Verbrauch pro Jahr bekommt man alles, was man braucht: Waschmaschine, Gefriertruhe, Kühlschrank, Fernseher, Computer, Licht und vieles andere mehr.
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    Seit mehr als 40 Jahren widmet sich Nørgård Energie- und Umweltfragen, insbesondere auf dem Gebiet der Konservierung und optimierten Anwendung von Energie gilt er international als renommierter Experte. Noch heute reist er von Konferenz zu Konferenz, publiziert er Artikel in Zeitungen und Fachzeitschriften. Stets ist die Botschaft die gleiche: Weniger ist mehr! Erneuerbare Energie ist wunderbar, eingesparte noch sehr viel besser.

    " Natürlich ist es gut, dass wir hier in Dänemark auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien so viel erreicht haben. Doch auch erneuerbare Energien haben einen negativen Umwelteffekt, wenn sie ungehemmt wachsen. Heute beziehen wir 25 Prozent unseres Stroms durch Windkraft und die günstigste Art, diesen Wert zu verdoppeln, ist nicht der Bau neuer Windräder, sondern die Halbierung des Verbrauchs.
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    Die Einrichtung des Hauses erinnert an längst vergangene Zeiten, im Wohnzimmer steht sogar noch ein Telefon mit Drehscheibe. Der einzige Laut im Haus kommt von der Pendeluhr an der Wand - kein laufender Fernseher oder Computer, kein Geschirrspüler, keine unnötig brennende Glühbirne. Allein durch das richtige Abschalten und die bewusste Anwendung aller Geräte, erläutert Jørgen Nørgård, könne ein Haushalt nahezu die Hälfte seines Stromverbrauches sparen.


    Mit dem Energiesparen daheim aber ist es auf Dauer nicht getan, sagt Nørgård. Würden Dänemark und die anderen reichen Industriestaaten den Pfad einer wirklich tragfähigen Entwicklung beschreiten, wollte man die globalen Ressourcen gerecht verteilen und allen Menschen einen gleichen Lebensstandard ermöglichen, müsste der nationale Energieverbrauch um 90 Prozent reduziert werden. Dies aber sei nur erreichbar mit einer Mentalitätsänderung, einem grundsätzlichen Umdenken in Politik und Gesellschaft:

    " Das Bruttosozialprodukt ist zum Maßstab aller Dinge geworden. Selbst die Politiker sind nicht an den vernünftigen, sondern an den teueren Lösungen interessiert, denn die kurbeln das Wachstum am meisten an. Nehmen Sie Häuser, die kaum Energie verbrauchen - da sagen die Politiker dann, warum sollen wir die bauen, jetzt, wo wir etwa in das Fernwärmenetz investiert haben und wo wir doch Abgaben durch den Energieverbrauch erhalten. Natürlich sagt man es nicht so direkt und verpackt es in schöne Worte, aber da ist manches schon sehr paradox.
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    Literatur
    Peter Høeg: Den stille pige, Rosinante Verlag, Kopenhagen 2006. (übersetzt von Marc-Christoph Wagner)