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Kinderstube im Watt

Warum sollte man ausgerechnet den Winterurlaub auf Helgoland verbringen? Zum Beispiel um kleine Robben zu fotografieren. Oder auch, um die Insel einmal besonders still zu erleben. Denn zum einen gibt es kaum Wintertouristen, zum anderen ist mindestens die Hälfte der Einwohner verreist, um sich von den Sommertouristen zu erholen.

Von Paul Stänner |
    "Haben Sie das nicht gesehen heute Morgen? Wo kann einem so was geboten werden drüben auf dem Festland? Natur pur, herrliches Wetter, am Strand spazieren gehen, kein Autogestank, keine Hektik, nee, das ist ganz einfach das Leben auf der Insel, das hat mich fasziniert, ich wollte schon immer auf eine Insel, und als sich das denn '79 ergab, bin ich sofort rüber hier."

    Rolf Blädel war früher Polizist auf dem Festland gewesen. Als sich die Chance bot, einen Posten auf Helgoland zu bekommen, hat er sofort zugegriffen. Er findet, er sei im Paradies. Die Wintersaison auf Helgoland hat einige Besonderheiten. Zum einen gibt es kaum Wintertouristen. Zudem ist mindestens die Hälfte der Einwohner ist verreist, um sich von den Sommertouristen zu erholen - man erlebt also eine wunderbar stille Insel. Zum anderen findet in der Zeit Ende Dezember, Anfang Januar noch ein einzigartiges Naturschauspiel statt. Auf der Düne von Helgoland, die 1720 durch eine Sturmflut von der Hauptinsel abgetrennt wurde, versammeln sich Dutzende Kegelrobben, um ihre Jungen auf die Welt zu bringen. In diesem Jahr werden etwa 80 Jungtiere erwartet.
    Eine kleine Gruppe Fotoamateure hat sich Rolf Blädel angeschlossen, der ein stattlicher Mann ist mit Bart, Norwegerpullover und grüner, wattierter Jägerweste. Blädel erklärt den Unterschied zwischen dem bekannten Seehund und der weniger häufig auftretenden Kegelrobbe.

    "Die Kegelrobben haben den kegelförmigen Kopf, bei dem Bullen konnte man das eben deutlich sehen, die großen Nüstern, die breite Schnauze und vorne sitzen, wenn sie ausgewachsen sind, 32 ausgezeichnete Argumente, die sind alle spitz und scharf, die haben nicht einen Mahlzahn, die haben nur Schneide- und Reißzähne."

    Diese Robbe an den Stränden von Helgolands Düne ist so hinterhältig wie ein Horrorfilm: ein süßes Kindergesicht mit großen Unschuldsaugen - und dann ein Maul wie ein Waffengeschäft. Rolf Blädel erläutert den Besuchern Details aus dem Familienleben der Kegelrobbe - immer schön mit den erforderlichen 30 Metern Abstand zum Tier.

    "Das ist nun einer vom Vorjahr, der jetzt angerobbt kommt, ein lüttes Weibchen, und so wie ich die kenne, hat die auch eine Marke von mir. Wenn die Lütten geboren werden, die bekommen eine Muttermilch, die hat fast 60 Prozent Fett, und die nehmen pro Tag 1,5 bis zwei Kilo zu, in vier Wochen gehen die wie Zecken auseinander und dann liegen diese Speckpakete hier am Strand, und wenn sie das weiße Fell, das Lanugo-Fell verloren haben, das geht aus nach ungefähr vier Wochen, dann sind sie abgesäugt und müssen alleine sehen, wie sie klarkommen."

    Die Fotografen sind auf Helgoland, um zu dieser einzigartigen Gelegenheit die kleinen Robben zu fotografieren. Die Sonne scheint, aber ein kalter Wind kämmt die flache Düne. Das Fell, von dem Rolf Blädel eben sprach, ist ein weißes, pelzartiges Haarkleid, das die großen, dunklen Kinderaugen der kleinen Robbe besonders gut zur Geltung bringt. So liegt sie da, die kleine Robbe, das zukünftige Raubtier, ganz weiß und klein und hilflos und zum Streicheln niedlich, ein possierliches Fellwesen.

    Ein wenig abseits kniet eine junge Frau mit ihrer Kamera vor einer kleinen Robbe im weißen Fell.

    "Mein Name ist Daphne Bühlis. Ich komme aus Luxemburg."

    In ihrem Alltag sammelt und katalogisiert Daphne Bühlis Literatur über Luxemburg. Aber dann war ihre Liebe zu den Robben eines Tages so heftig entflammt, dass sie ihre Lieblinge unbedingt sehen wollte. Und steht jetzt sie auf der Düne von Helgoland und kann die Augen nicht abwenden.

    "Die Robben, ach Gott - das sind teilweise richtige Poser, und die machen wirklich sehr gut mit und ich bin erstaunt, einige sind dann eher träge, aber es gibt viele, die wirklich fotogen sind und ich frag mich, ob die das nicht von sich selbst auch schon wissen."


    Am Abend, bei der Sichtung der Tagesausbeute, stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, Robben zu fotografieren. Man denkt, die Tiere liegen tranig und fast bewegungslos in der Sonne. Aber dann stellt man frustriert fest, dass sich die Diva im entscheidenden Moment des Auslösens doch bewegt hat: Statt der Schnauze hat man den Nacken im Bild oder die Augen sind geschlossen oder nach einer blitzschnellen Rolle zeigt die Robbe abweisend ihre Schwanzflosse.

    Fotografen auf der Düne von Helgoland brauchen Geduld.