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Kindertraum in pink und hellblau

Schulranzen sind für Kinder nicht nur Geschmacksfrage. Eine Marke rangiert bei den Schülern unangefochten ganz oben.

Von Nadine Lindner | 07.08.2009
    "Ich heiße Jakob und ich bin sieben Jahre alt und ich hab einen 'Scout'-Schulranzen, auf dem sind Piraten zu sehen."

    "Also ich heiße Jule, bin acht Jahre alt. Und an den Seiten ist es pink. Und an den Seiten sind auch so Fohlen. Ich wollte unbedingt einen, weil der sah schön aus. Ich hatte auch mal einen anderen auf, aber der war total rau am Rücken."

    Jakob und Jule aus der zweiten Klasse einer Grundschule in Köln lassen auf ihre knallbunten Ranzen nichts kommen. Egal ob diese mit rosa Ponys, Rennautos oder Dinosauriern bedruckt sind. Jakob und Jule sind markenbewusst. Sie schwören - wie viele ihrer Mitschüler – auf "Scout", Deutschlands meistverkaufte Schulranzenmarke.

    Bei "Sternjakob" in Frankenthal, einer Kleinstadt bei Mannheim, werden sie in Handarbeit zusammengebaut. Überall in der Werkshalle liegen bunte Stoffteile herum, die später mit den Verstrebungen zu einem Schulranzen zusammengesetzt werden. Nylon und Hartplastik sind die wichtigsten Komponenten. Die Vorprodukte kommen aus China, Endmontage ist in Frankenthal. Etwa 60 Mitarbeiter arbeiten in der Produktion, noch einmal so viele in der Verwaltung Produktionsleiter Matthias Burghard geht in der Werkshalle an einer Reihe von großen Nähmaschinen vorbei:
    "Die grundlegenden Arbeitsschritte sind das Stanzen der Vormaterialien, dann entsprechend das Nähen. Anschließend zusammenfügen des Korpus mit dem Nähteil und dann schließlich das Anbringen der Gurte und die Kontrolle. Es sind ungefähr 30 Arbeitsschritte, das sind ungefähr 35 Minuten, in dieser Zeit fertigen wir einen Ranzen."

    Hinter "Sternjakob" stehen die Familienunternehmer Fritz und Oliver Steinmann aus Nürnberg, die "Sternjakob" 1990 übernahmen, den Firmennamen aber beibehielten. Gegründet wurde die Firma 1934 von den Brüdern Sternjakob, die Koffer und Taschen produzierten. Doch längst sind die bunten Ranzen der Hauptumsatzträger. In diesem Jahr rechnet das Unternehmen mit einem Umsatz von rund 35 Millionen Euro, das sind fünf Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Auch vor Schulranzen macht die Wirtschaftskrise nicht halt. Ideen sind gefragt und dafür ist Vertriebsleiter Frank Walter zuständig. Prinzessinnen in Rosa, Rennautos in Blau – woher kommen die Motive, was kommt bei den Schulanfängern an? Frank Walter überlässt nichts dem Zufall, er setzt auf das Expertenwissen von Fünfjährigen:

    "Wir testen unsere Produkte in Kindergärten aus, weil wir wissen, dass die Kinder eine ganz große Kaufentscheidung mittragen."

    Jedes Jahr entwickeln die "Scout"-Designer neue Prototypen mit Motivvorschlägen, die dann vor den kritischen Augen der potenziellen Kunden bestehen müssen:

    "Die Kindergartenkinder nehmen kein Blatt vor den Mund. Und wenn unsere Designer einen Bären zu stilistisch gezeichnet haben, dann bekommen sie gesagt, so sieht doch kein Bär aus."
    Einen Trend für das kommende Schuljahr kann Walter schon klar erkennen: Die Ranzen werden schlichter, die Farben gedeckter. Der Grund dafür: Immer öfter haben Eltern das letzte Wort bei der Ranzenauswahl und entscheiden sich damit oft für Produkte, die ihrem Stilempfinden entsprechen. Also ohne Dinosaurier, Rennautos oder rosa Elfen.
    Auch die demografische Entwicklung ist ein Problem für das Unternehmen: In den kommenden Jahren werden immer weniger Kinder eingeschult. "Sternjakob" hat deshalb schon vor einigen Jahren die Marke "4You" entwickelt.

    "Dieser Schulrucksack ist dann auch für die Weiterentwicklung der Kinder, die sich damit abzuheben versuchen, wenn sie in die nächste Stufe der Schule kommen."

    Die Produkte sollen mit der Kundschaft mitwachsen.
    Zu der Markenfamilie von "Sternjakob" gehören deshalb auch Taschen für Erwachsene sowie eine Reisegepäcklinie. Drei Viertel des Umsatzes werden jedoch mit Schulprodukten erwirtschaftet.
    Als der leichte Ranzen aus Plastik 1975 auf den Markt kam, war das fast eine kleine Revolution. Die Brüder "Sternjakob" hatten die Idee auf einer Reise nach Kanada von einem Taschenhersteller aus Österreich kennengelernt und übernommen. Es war klar: Entweder der Ranzen wird ein Renner oder ein teurer Flop, erzählt Frank Walter:

    "Kinder, die vor 1975 eingeschult worden sind, diese Lederranzen hatten mit Hirschapplikationen, mit dünnen Riemen und wenn die nass geworden sind, dann haben die Flecken bekommen. Da war das wirklich eine Revolution, dass ein Behältnis kam, das war bunt, das war blau, das war grün, das war gelb, das war aus Plastik, und es hatte noch einen ziemlich hohen Preis. Das war schon eine große Veränderung. Hat aber genau in diese Siebzigerjahre reingepasst."
    Die Stimmung in den siebziger Jahren war von Aufschwung geprägt, die Kunden waren offen für neue Einflüsse, sagt Walter. Die Kleider waren bunt – da passte auch der neue Ranzen gut ins Bild.
    Heute sind "Scout"-Schulranzen keine Revolution mehr. Einige der Eltern, die ihren Kindern heute Ranzen kaufen, haben früher selber einen "Scout" getragen. Neben dieser Traditionsverbundenheit kommt für viele Eltern das Qualitätsbewusstsein dazu. Die Schulranzen aus Frankenthal schneiden bei den Untersuchungen der Stiftung Warentest regelmäßig gut ab, sie bieten Kindern Sicherheit durch große Reflektoren und Knallfarben und gehen selten kaputt, versichert Produktionsleiter Matthias Burghard:

    "Wir entnehmen einen Ranzen aus der Produktion, befüllen den mit sechs Kilo Gewicht und dann lassen wir den Ranzen zehnmal - Bumm – auf den Boden fallen."

    Dabei prüft er, ob die Hartplastikmischung auseinanderbricht, ober die Belastung aushält. In der zweiten Stufe simuliert er winterliche Temperaturen, bei denen Schüler morgens zur Schule laufen müssen:

    "Wir kühlen die Rucksäcke in unserer Kühltruhe über Nacht auf mindestens minus 18 Grad und dann testen wir am nächsten Morgen, ob die Kunststoffschalen bei unseren Fallversuchen brechen oder nicht."

    Danach kommt der Regentest, bei dem der Ranzen zehn Minuten in einer Pfütze stehen muss, ohne durchzuweichen.
    An der letzten Prüfstelle steht Matthias Burghardt an einer Hydraulikmaschine und hängt den mit Büchern vollgepackten Ranzen an den Haken einer Hubmaschine.

    "Wir testen hier unsere Produkte, ob die Gurte ausreißen und testen 50.000 Hübe mit 6 bis 10 Kilo und dann schauen wir mal, was die Gurte halten."


    Produziert werden die Ranzen vor allem im Spätsommer. Ab Oktober werden die Einzelhändler beliefert. Die verkaufen die meisten Schultaschen zwischen Weihnachen und Ostern, also noch weit vor Schuljahresbeginn.
    Alle Ranzen werden auf Halde produziert, wenn ein Motiv extrem beliebt ist, kann es schon mal eng werden. Meistens findet aber doch jeder etwas Passendes, sagt Martin Voegels, er verkauft Lederwaren in Köln. Auch wenn es bei dem ein oder anderen schon mal länger dauern könnte – Tränen inbegriffen. Er weiß aus Erfahrung, dass ein Schulranzen für die fünfjährigen Kunden mehr ist, als ein Behältnis, das Taschen und Bücher vor Regen schützt:

    "Es sind sehr euphorische Kunden, die dann ganz stolz sind, mit dem gekauften Schulranzen rauszugehen, das Kind wird quasi mit dem Kauf des Schulranzens zum Schulkind."