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Kirchen-Elektro als Hommage an vergessene Räume

Geistliche Musik und elektronische Beats - das sind zwei Dinge, die normalerweise nicht miteinander in Berührung kommen. Auf dem neuen Album des schwedischen Electronica-Künstlers Forss aber schon. Für "Ecclesia" hat er Chorgesänge, Orgelkonzerte und Streichensembles in europäischen Kirchen aufgenommen, sie neu arrangiert und mit elektronischen Klängen gemischt.

Von Miriam Arndts |
    Eric Wahlforss betet nicht. Er liest auch nicht die Bibel. Er hat sich zwar konfirmieren lassen, damals, vor fast 20 Jahren in Stockholm, aber er ist nicht gläubig. Seine Faszination für Kirchen beruht auf deren Klang. Seine Mutter ist Kirchenmusikerin und hat ihn früher oft mit zur Arbeit genommen.

    "Eine meiner ersten Erinnerungen ist, als ich sehr klein bin, sitze ich in der Kirche und ich sehe meine Mutter, sie leitet den Chor und das war irgendwie magisch."

    Die Aufnahmen für sein neues Album "Ecclesia" hat Wahlforss in Skandinavien, Deutschland und Großbritannien gemacht, vorzugsweise in sehr alten Kirchen. Teils bei Konzerten, teils bei gewöhnlichen Gottesdiensten. Dabei hat er nicht nur die Musik aufgenommen, sondern auch die anderen Geräusche, die ihm so vertraut sind: Das Knarzen der Bänke, Räuspern, Flüstern, Schritte.

    Seit etwa 15 Jahren bastelt Wahlforss Sounds am Computer. Auf dem neuen Album wollte er seine beiden Leidenschaften, spirituelle und elektronische Musik, miteinander vereinen.

    "Es ist eine Art Hommage an diese Räume und diese Zeit, wo diese Räume eine größere Bedeutung hatten. Inzwischen ist es aber in meiner Welt überhaupt nicht so. Die Räume sind vergessen. Die sind da, aber niemand geht in die Kirche - mir selbst inklusive eigentlich."

    Wahlforss sieht seine Musik gerne als etwas Abstraktes und Geheimnisvolles. In welchen Kirchen er welche Aufnahmen gemacht hat, verrät er nicht und den Tracks auf dem Album hat er lateinische Namen gegeben; die haben für den Schweden etwas Mystisches. Doch beim Aufbau des Albums hat sich Wahlforss - doch ziemlich konkret - am Aufbau eines Gottesdienstes orientiert.

    "Sozusagen am Anfang die Stimmung setzen mit diesen Glocken. Das setzt dich in so eine Art Trance. Danach fängt's an und da gibt es auch so ein Geräusch, ganz am Anfang: Die Leute stehen auf und dann hört man das Geräusch von den Bänken. Und dann geht's halt los. Zum Glück hab ich diesen ganz epischen Track am Ende, der dann so schwebt und dann am Ende auch wirklich langsam rausklingt."

    Der 32-Jährige hat viel mehr produziert als das, was auf "Ecclesia" zu hören ist. Drei Jahre lang hat Wahlforss an seinem neuen Album gearbeitet. Am Ende konnte er aus insgesamt 50 Tracks die zehn besten auswählen.
    Ganz nebenbei hat der Soundtüftler und Beatbastler auch noch einen anspruchsvollen und zeitintensiven Hauptberuf: Er ist technischer Leiter der Audioplattform SoundCloud. Mit Ende Zwanzig hat er das Online-Unternehmen zusammen mit einem Freund gegründet. Mittlerweile haben die beiden 110 Angestellte und neben dem Hauptsitz in Berlin auch noch Büros in London und San Francisco.

    Eric Wahlforss, Unternehmer und Technik-Freak wollte aus "Ecclesia" mehr machen als "nur" Musik, wie er selbst sagt. Zusammen mit zwei weiteren Künstlern hat er eine "Ecclesia"-iPad-App entworfen, die schon einen Monat vor dem Album veröffentlicht wurde. "Interaktiv" nennt Wahlforss die App. Im Grunde sind darauf aber vor allem Grafiken und Skulpturen zu sehen, die sich im Rhythmus der Musik bewegen. Für Wahlforss bedeutete die Entwicklung der App jedenfalls noch einmal mehr Arbeit. Von so etwas wie einem Privatleben konnte bei ihm in letzter Zeit nicht die Rede sein, sagt er. Jetzt braucht der 32-Jährige erst einmal eine Pause vom Musikmachen - wenn er nicht sogar ganz damit aufhört.

    "Ich weiß wirklich nicht, ob ich jemals mehr eine Platte mache, weil es so anstrengend ist. Und ich kenne ja nur diese Art von Musikmachen. Wenn man live spielt in einer Band oder ein Instrument spielt oder so, dann ist das auf eine Art viel einfacher, weil Du setzt Dich einfach hin und kannst das sehr intuitiv machen. Bei mir ist das eine Bastelarbeit, die sich über Jahre erstreckt, und ich weiß nicht, ob ich das noch mal aushalten kann."

    Das habe er auch nach seinem ersten Album gedacht, "Soulhack", aus dem Jahr 2003. Aber dann kam ja doch noch eins: "Ecclesia" eben; wenn auch neun Jahre später.