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Klassenunterschiede und wo sie herkommen

Das neue Stück des amerikanischen Autors David Lindsay-Abaire ist ein hochexplosiver Dialog über soziale Herkunft, die Entscheidungen, die man vermeintlich trifft - und das Quäntchen Glück, das oft den ganzen Unterschied macht.

Von Andreas Robertz |
    Was früher einmal die New Yorker Bronx für Literatur und Film war, scheint heute im zunehmenden Maße Southie zu sein, die weiße Arbeitergegend im Süden Bostons. Sei es nun Martin Scorseses irischer Mafiathriller "Departed", Clint Eastwoods melancholisches Drama "Mystic River" oder Ben Afflecks Bankräuberkrimi "The Town" – in all diesen Filmen steht Southie exemplarisch für ein verarmtes weißes Amerika. Was die Menschen und ihre Konflikte dort kennzeichnet, ist die Loyalität zur ihrer Herkunft einerseits, der Traum, endlich dieser Gegend entkommen zu können, andererseits. Kein Wunder also, dass der Manhattan Theater Club das neue Stück "Good People" von David Lindsay-Abaire, der 2006 mit seinem gerade mit Nicole Kidman verfilmten Stück "Rabbit Hole" den Pulitzerpreis gewann und selber aus "Southie" kommt, an den Broadway holt. Doch anders als in "Rabbit Hole", wo die Protagonisten versuchen, über den Verlust eines Kindes hinwegzukommen, handelt "Good People" von einem in den USA eher seltenen Bühnenstoff: vom Klassenunterschied.

    "Klasse war für lange Zeit unglaublich präsent in meinem Leben und es hat viele Jahre gedauert, bis ich endlich den Mut hatte, darüber zu schreiben," erklärt David Lindsay-Abaire.

    Im Mittelpunkt der Geschichte steht die alleinerziehende Margie, die nicht zum ersten Mal ihre Arbeit verliert, weil sie wegen ihrer behinderten Tochter zu spät zur Arbeit kommt. Als sie erfährt, dass sich ihre Jugendliebe Mike als erfolgreicher Arzt in der Stadt niedergelassen hat, versucht sie eine Anstellung bei ihm zu finden. Und obwohl Mike keine Arbeit für sie hat, lädt er sie um der alten Tage willen zu seiner Geburtstagsparty in sein Haus ein. Dort entwickelt sich zwischen Mikes schwarzer Ehefrau Kate, die aus reichem Elternhaus stammt, Mike, der sich hochgearbeitet hat, und Margie, die nie ihr Viertel verlassen hat, ein hochexplosiver Dialog über soziale Herkunft, die Entscheidungen, die man vermeintlich trifft und das Quäntchen Glück, das oft den ganzen Unterschied macht.

    "Ich hatte einen Job – ich hatte eine ganze Menge Jobs. Und die waren alle mies, was für Jobs soll ich schon kriegen."

    "Und du hast diese Jobs verloren?"

    "Ja, in der Tat".

    "Warum?"

    "Normalerweise weil ich zu spät war."

    "Da hast du deine Wahl. Sie hat die Wahl getroffen, zu spät zu sein."

    "Ich habe mich nicht entschlossen zu spät zu sein, irgendein Scheiß ist passiert, der mich zu spät kommen ließ."

    Francis McDormand spielt Margie mit breitem Akzent und schockierender Direktheit wie ein verwundetes Tier, das um sein Überleben kämpft. Dabei sind ihr alle Mittel recht: Drohungen, Verleumdungen, Beschwörungen der gemeinsamen Herkunft, Charme und Mitleid. Und sie ist alles andere als auf den Mund gefallen, auch wenn ihre Schlagfertigkeit oft nur wenige Sätze weit reicht, bis sie nicht mehr weiter weiß und ins Stammeln gerät. Es ist dann so, als wenn sie immer schon wusste, dass sie verloren hat, aber trotzdem voller Stolz und Trotz weiterkämpfen wird.

    Die meisten Figuren in "Good People" sind sich der schmerzlichen Tatsache bewusst, dass das, was sie nicht in ihrem Leben haben, oft mehr zählt, als das was sie haben. Da ist zum Beispiel Margies verschrobene Vermieterin Dottie, die versucht, selbstgebastelte Hasen beim gemeinsamen Bingo zu verkaufen, oder ihre sie schamlos ausnutzende Freundin Jean, die Margie viel zu nett für diese Welt findet. Aber es geht in "Good People" nicht einfach ums Überleben – alle werden dies irgendwie überleben – sondern um den Kampf gegen das Gefühl, besiegt zu sein.

    Das Stück ist voller Humor, voll skurriler und doch so normaler Figuren und ist eine erfrischend-aktuelle Auseinandersetzung über Arm und Reich und den für Viele so fahl gewordenen amerikanischen Mythos, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Die New York Times schrieb bewundernd, es habe schon lange nicht mehr so ehrliche Figuren am Broadway gegeben. Ob "Good People" eine Renaissance des amerikanischen Sozialdramas ankündigt, ist schwer zu sagen. Glaubt man den ausverkauften Vorstellungszahlen, dann könnte es so sein.

    Informationen:
    Manhattan Theater Club