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Kleider machen was?

Beim arabischen Fernsehsender Al Jazeera haben vier Journalistinnen gekündigt. Sie fühlten sich von der Chefredaktion unter Druck gesetzt. Grund: Die Frauen sollten sich bescheidener und konservativer kleiden.

Von Mona Naggar |
    Joumana Nammour spricht die Nachrichten bei Al Jazeera. Die attraktive libanesische Journalistin hat schulterlanges schwarzes Haar, trägt einen engen weißen Blazer und ist stark geschminkt. Nammour arbeitet seit über zehn Jahren bei dem arabischen Satellitensender als Nachrichtensprecherin und Moderatorin. Mit ihrem selbstsicheren Auftreten und ihrer Eloquenz, gehört sie zu den markantesten Gesichtern des Nachrichtenkanals. Nun ist es offenbar mit der Karriere der 40-Jährigen vorbei. Zusammen mit vier erfahrenen Kolleginnen reichte sie ihren Rücktritt ein.

    Weitere Mitarbeiterinnen unerschrieben eine Beschwerde. Die Journalistinnen fühlten sich über einen längeren Zeitraum von der Chefredaktion unter Druck gesetzt, sich bescheidener und konservativer zu kleiden. Die massiven Belästigungen trieben sie schließlich zu dem Entschluss, den Sender zu verlassen. Restlos aufgeklärt ist die Auseinandersetzung zwischen den Moderatorinnen und ihren Chefs noch nicht. Die Betroffenen äußern sich nicht ausführlich und die Verantwortlichen in Doha beantworten keine Fragen von der Presse. Kein Journalist bei Al Jazeera ist in einem Berufsverband organisiert. Gewerkschaften sind nicht erlaubt.

    Jad Melki, Medienwissenschaftler an der Amerikanischen Universität in Beirut:

    "Zusammen mit der International Women´s Media Foundation führe ich eine Untersuchung zu den herrschenden Gesetzen innerhalb arabischer Medienanstalten durch. In der untersten Hierarchie ist der Anteil der Frauen sehr hoch, teilweise ist ihr Anteil höher als der der Männer. Aber in den oberen Etagen wird die Luft sehr dünn für Frauen. Ich kenne nur eine einzige Nachrichtenchefin in der arabischen Welt und das ist nicht bei Al Jazeera. Es gibt keine Gesetze für Gleichstellung. Und im Falle von sexueller Belästigung, stehen die Frauen alleine da. Kein Gesetz beschützt sie oder verhilft ihnen zu ihrem Recht. Entweder schweigen oder gehen sie."

    Al Jazeera ist 1996 durch ein Dekret des Emirs von Katar gegründet worden. Bis heute ist der Sender von der Finanzierung des Golfemirats abhängig. Mit seiner professionellen und kritischen Berichterstattung revolutionierte der Nachrichtenkanal die Fernsehlandschaft in der arabischen Welt. Despotische Regierungen waren machtlos gegenüber der freien Meinung und dem seriösem Journalismus via Satellit. Nun bekommt dieses Image tiefe Risse.

    Die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen sieht den Rücktritt der Moderatorinnen als Indiz für das konservativer werdende Klima innerhalb des Senders. Und in den letzten Jahren gab es vermehrt Berichte über die Verschlechterung des Betriebsklimas und die Zunahme islamistischer Tendenzen. So musste Al Jazeera auf einige prominente Mitarbeiter verzichten. Der Leiter des Büros in Washington etwa trat mit der Begründung zurück, sein Arbeitgeber sei zu freundlich gegenüber der palästinensischen Hamas geworden. Der Leiter des Büros in Kairo kritisierte die unausgewogene Berichterstattung gegenüber Ägypten. Direktor des Satellitensenders ist seit 2003 Waddah Khanfar, der der islamistischen Muslimbruderschaft nahesteht. Jad Melki:

    "Sicher, der Verantwortliche hat großen Einfluss, aber das heißt nicht, dass er sich wie ein Diktator benehmen kann. Die Arbeitsprozesse in einem großen Haus sind komplex und es gibt schließlich auch journalistische Richtlinien. Aber insgesamt kann man sagen, dass Al Jazeera sich klar auf der Seite des palästinensischen Widerstandes und der Hisbollah sieht."

    Die starke Islamisierung der arabischen Gesellschaften in den letzten Jahren macht auch vor Al Jazeera nicht halt und wirkt sich negativ auf das Betriebsklima aus. Ein Katalog mit Kleidungs- und Schminkregeln für Journalistinnen vor der Kamera ist in Vorbereitung und soll bald in Kraft treten.

    Die Machthaber in Katar machen sich offenbar große Sorgen um die Entwicklungen in ihrem Vorzeigemedium. Eine interne Untersuchungskommission sprach zwar den stellvertretenden Chefredakteur Aiman Jaballah, gegen den sich die Vorwürfe der Moderatorinnen hauptsächlich gerichtet haben, frei. Trotzdem wurde er und der Chefredakteur auf andere Posten versetzt. Al Jazeera beherrscht nicht mehr allein den arabischen Nachrichtenhimmel. Der von Saudi-Arabien finanzierte Al Arabiyya ist in der Gunst des Publikums stark gestiegen. Und mit dem arabischen Dienst der BBC ist ein weiterer Konkurrent dazu gekommen.