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Klein und gemein

Nanotechnologie. - Die Anwendung von Partikeln im Maßstab von Millionstel Millimetern gehört zu den Hoffnungsträgern. Vereinzelte Produkte sind auch schon erhältlich, UV-Schutz mit Titandioxid oder Antigeruchswäsche mit Nanosilber zum Beispiel. Dabei, so warnen britische Umweltforscher, sind die Nebenwirkungen der Winzlinge gar nicht bekannt.

Von Volker Mrasek | 26.02.2009
    Titandioxid als UV-Filter in Sonnencremes. Nano-Silber, das Bakterien abtöten soll, in Sportsocken und anderen Textilien. Oxide von Seltene-Erden-Metallen als Zusatz in Diesel-Kraftstoff. Die Industrie macht immer mehr Gebrauch von Substanzen im Nanometer-Maßstab. Sie seien unbedenklich, Umweltschäden durch Titandioxid und dergleichen bisher nicht aufgetreten, sagen die Hersteller. Der neue Report der "Königlichen Kommission für Umweltverschmutzung" sieht das etwas differenzierter. Einer ihrer Experten, der englische Umwelt- und Gesundheitswissenschaftler Michael Depledge:

    "Wenn man sich in der Welt umsieht, und unsere Kommission hat das für diesen Report getan, dann findet man tatsächlich keinen Beleg für Umweltschäden durch technische Nanopartikel. Aber das liegt daran, dass noch niemand gezielt danach geschaut hat, und dass wir auch gar nicht wissen, wie man das anstellen sollte."

    Laut dem Report der Briten fehlt es bisher an geeigneten Methoden, um Nanopartikel in der belebten Umwelt nachzuweisen und ihre Wirkung abzuschätzen. Fraglich ist auch, in welchen Konzentrationen sie heute und in der Zukunft freiwerden.

    Die mikroskopisch kleinen Partikel, Fasern und Röhren müssten auf jeden Fall als potentielle Umweltgifte aufgefasst werden, wie Michael Depledge betont:

    "In unserem Report tragen wir eine Fülle von Belegen dafür zusammen. Sie stammen aus Laborexperimenten. In fast allen Organismen, die dabei bisher getestet wurden, haben Nanopartikel oder Nanofasern Schäden verursacht: in Bakterien, in Pilzen, in Pflanzen, auch in menschlichen Zellkulturen. Und das selbst in äußerst geringen Konzentrationen."

    Eine mögliche Erklärung für die toxische Wirkung in den Laborversuchen: Im Nano-Maßstab kann sich die Funktionalität von Metallen und Mineralen verändern, wie es in dem neuen Bericht heißt. Die Materialeigenschaften wandeln sich demnach zum Teil dramatisch. Depledge:

    "Denken wir zum Beispiel an Goldschmuck. Menschen können ihn bedenkenlos tragen, denn massives Gold gilt als ungiftig und verursacht auch keine Probleme beim Kontakt mit der Haut. Wenn man aber Gold-Atome nimmt und sie in einer Nanostruktur anordnet, dann sieht das ganz anders aus. Dann bekommt man einen der wirkungsvollsten biologischen Katalysatoren, die man sich vorstellen kann. Nanogold hat also eine ganz andere chemische Reaktionsfähigkeit."

    Offenbar werden diese veränderten Stoffeigenschaften im Nanomaßstab aber bisher gar nicht geprüft. Es gibt zwar toxikologische Tests für gebräuchliche Chemikalien in Verbraucherprodukten - doch nur mit den Standardgrößen der Stoffe und nicht mit ihren Nano-Versionen. Auch das kritisieren Michael Depledge und seine Kollegen in ihrem aktuellen Report:

    "Es gibt Schätzungen aus den USA, dass dort rund 600 Produkte auf dem Markt sind, die Nanomaterialien enthalten. Sie sind alle durch konventionelle toxikologische Prüfungen gegangen, und man hat sie als ungiftig und sicher eingestuft. Aber im selben Atemzug sagt die US-Umweltbehörde, dass diese Tests gar nicht geeignet sind, um die Giftigkeit im Nanomaßstab zu bewerten. Und dass wir neue Verfahren brauchen."

    Der britische Umweltrat hält es für dringend erforderlich, diese toxikologischen Testverfahren zügig zu entwickeln – genauso wie neue Methoden, um Nanomaterialien in der Umwelt aufzuspüren. Der EU-Kommission raten die Experten, auch für industrielle Nanopartikel alsbald toxikologische Prüfungen vorzuschreiben. Für den deutschen Sachverständigenrat für Umweltfragen ist der britische Report eine Art Steilvorlage. Er plant ein eigenes Gutachten über Nanomaterialien. Und will darin konkrete Strategien vorstellen, wie man die jetzt aufgezeigten Mängel in der Risikobewertung der neuen Wunderstoffe beheben kann.