"Hier drüben ist das einzige noch erhaltene alte Gebäude im Central District von Hongkong, das Parlamentsgebäude. Früher war das der oberste Gerichtshof. Es ist das letzte viktorianische Haus hier. Die Straßenbahn fährt schon seit 1904, das Parlamentshaus ist aber erst von 1911."
Die Straßenbahn ist eine Antiquität. Alan Cheung liebt sie dafür. Er hat ein Buch über die Tram geschrieben, sammelt alte Fotos, Fahrkarten, Memorabilien aller Art. Tagsüber hat er einen Bürojob beim Berufsverband der Baugutachter. Abends und am Wochenende widmet er seine Zeit dem alten Hongkong und vor allem seiner Straßenbahn.
"Sie ist mein Freund, Teil meines Lebens. Ich fahre jeden Tag, außer wenn ich es eilig habe, mit der Straßenbahn."
Stolz erzählt Alan Cheung, die Hongkonger Tram sei die einzige Doppeldecker-Straßenbahn der Welt. Sie sieht eigenartig aus. Immer nur ein Wagen wie ein Bus, aber sehr schmal und hoch, eine dünne rollende Scheibe. Wenn sich zwei Bahnen begegnen, streifen sie sich fast. Die Fahrgäste im Oberdeck könnten sich im Vorbeifahren beinahe die Hand geben. Es ist im Wesentlichen eine einzige Strecke, auf der die Bahn verkehrt: Auf Hongkong Island, im ältesten Teil der Stadt, dort wo heute unter anderem die Bankentürme stehen. Mehr als 160 Bahnen fahren hier entlang, oft dicht hintereinander. Alle sind sie voll. Die Tram ist kein Museumsbähnchen, sondern integraler Bestandteil des Hongkonger Verkehrssystems. 30 Kilometer Schienenlänge, 123 Haltestellen, 240.000 Passagiere pro Tag.
Die kleine Bahn rollt an der glitzernden Hong Kong and Shanghai Bank von Norman Foster vorbei, am hornissenförmigen Turm der Bank of China von Ieoh Ming Pei. Sie wirkt wie ein Fremdkörper hier, aber folgt selbstbewusst ihrem fest einbetonierten Schienenstrang.
Kurz nach den Banken wird die Bebauung wieder etwas niedriger und dichter.
"Wan Chai! Das ist ein ganz besonderer Stadtteil. Sehr populär. Das ist wie eine Verdichtung von ganz Hongkong. Hier gibt es das Moderne und das ganz Alte. Das vermischt sich hier."
Wan Chai. Das ist Suzie-Wong-Land, Hongkong in den 50er Jahren. Richard Mason hat dem Stadtteil mit seinem Roman ein literarisches Denkmal gesetzt. "The world of Suzie Wong". Es geht um den guten Jungen aus England und seine Liebe zur Matrosenhure. Vor allem aber geht es um Hongkong und Wan Chai.
Rasselnd und funkenstiebend kam eine Straßenbahn heran. Wir kletterten zu den Dachsitzen hinauf und fuhren ratternd zwischen dahinrollenden Straßen davon, an Neonklippen vorbei. Die Straßen der Innenstadt hatten bereits begonnen, in ihre tägliche Nacht unterzutauchen; erst dahinter begann wieder das Lichtergewirr von Wan Chai.
Noch heute kann man sie hier antreffen: Gruppen amerikanischer Matrosen etwa, Bubengesichter, auf dem Weg in die Stripper-Bars der Lockhart Road. Die Banken und die Huren leben in direkter Nachbarschaft. Die Tram kennt da keine Unterschiede. Seit 100 Jahren verbindet sie beide Welten miteinander, die Welt des Kapitals und die Welt der Suzie Wong.
Die 50er Jahre, das war eine wilde Zeit in Hongkong. Elend, Armut, aber auch Aufbruch. Hunderttausende strömten nach Mao Zedongs Sieg im Bürgerkrieg aus China in die Stadt. Auch diese alte Dame in der Tram. Sie kann nicht mehr gut gehen, sitzt ganz vorn beim Fahrer, damit sie schnell rauskommt.
"Ich bin vor 50 Jahren aus Festlandchina immigriert. Und vor 50 Jahren bin ich auch das erste Mal Straßenbahn gefahren. Das war etwas Besonderes. Drüben auf der Kowloon-Seite, wo ich gewohnt habe, gab's das ja nicht."
Bis heute nicht. Die Straßenbahn fährt nur auf Hongkong Island. Die andere Stadthälfte, Kowloon, auf der gegenüberliegenden Seite des Victoria Harbour ist tramfrei. Ursprünglich fuhr die Bahn am Ufer entlang. Heute schiebt sie sich mitten durch die verstopfte Stadt. Doch nicht sie hat sich bewegt, sondern das Ufer, durch immer weitere Landgewinnung. An den Kurven und Windungen der Strecke lässt sich noch die alte Küstenlinie nachvollziehen. In den 80er Jahren wäre die Tram dem Stadtumbau beinahe zum Opfer gefallen. Doch die Hongkonger haben sie gerettet. In einer Volksbefragung machten sie klar: die Straßenbahn muss bleiben.
"Die Tram ist langsam. Dadurch kann man was sehen draußen. Ich mag diese Langsamkeit. Wenn ich wenig Zeit habe, nehme ich den Bus. Aber sonst fahre ich Tram, die ist billiger. Und ich fahre einfach gern mit ihr."
Billig, spottbillig. Seit den 80er Jahren liegt der Fahrpreis unverändert bei zwei Hongkong-Dollar, das entspricht 16 Euro-Cent. Auch preislich fällt die alte Bahn aus dem Hongkonger Rahmen, einer Stadt, in der man schnell mal 3000 Euro Miete zahlen kann. Langsam und billig. Das hat sie zum Verkehrsmittel vor allem der alten und ärmeren Menschen gemacht, verschafft ihnen Mobilität. Sie ist eng, nicht sehr bequem, ohne Klimaanlage. Im Sommerhalbjahr ist der Schweißausbruch garantiert. Sie ist nichts für Geschäftsleute, nichts für Dynamiker. Sie ist anstrengend, und doch wird sie von allen geliebt in Hongkong. Wie eine gute Mutter sei die Tram, sagt die Studentin Yukhang:
"Ich denke, das ist unsere collective memory, kollektive Erinnerung. Es war da, wenn Hongkong noch eine sehr kleine Stadt war. Und es war immer hier als die Entwicklung Hongkong. Ja, also es ist immer hier."
Und dann fügt sie noch hinzu:
" Eigentlich denke ich, das ist eine sehr romantische Verkehrsmittel. Das ist langsam, aber das ist sehr perfekt für die Liebe."
Von Luft und Liebe scheint auch die private Tramgesellschaft zu leben. Die Stadt gibt keine öffentlichen Subventionen, und der Preis von zwei Hongkong-Dollar ist eher ein symbolischer. Doch in Hongkong ist genug Geld im System, sagt Alan Cheung.
"Von dem Fahrpreis können die nicht existieren. Doch sie haben die Werbung auf dem Tram-Körper außen. Und dann sind da noch die zwei antiken Bahnen, die man für Partys mieten kann."
Die Tram-Werbung ist Kult geworden in Hongkong. Die Bahnen verwandeln sich komplett. Ein fahrender Rimowa-Koffer. Paul-Smith-Streifen bis unters Dach. Die Tram ist perfekter Werbeträger. Sie fährt rastlos durch eine der vollsten und reichsten Städte der Welt.
"Causeway Bay ist das geschäftigste Viertel auf Hongkong Island. Sie sehen da draußen die vielen Leute. Hier gibt es viele Einkaufszentren, Entertainment, Shopping, Restaurants. Hier genießen die Leute das Leben. Die Mieten sind hoch hier im Vergleich zu Wan Chai."
Draußen ist es voll. Ein Hauch von Chaos. Doch an der Tramhaltestelle stehen die Menschen in englischer Tradition ordentlich Schlange. Die Tram ist das britischste aller Hongkonger Verkehrsmittel, sie ähnelt den Londoner Bussen. Bis in die 50er Jahre hinein wurden die Bahnen in Großbritannien hergestellt, mit viel Holz im Innenausbau. Nur die paar Wagen aus der jüngsten Baureihe bestehen ganz aus Aluminium. Doch das System ist auch hier das gleiche. Der Einstieg ist hinten. Bezahlt wird vorn beim Hinausgehen.
Jeder Fahrgast wirft ein Zwei-Dollar-Stück in einen Schlitz oder hält seine magnetische Geldkarte an das Abbuchgerät. Der Fahrer Andy Ho nickt jedem einzelnen freundlich zu.
"Ich mag Verkehr, und ich mag Dienstleistung für andere Menschen. Wenn die Leute aussteigen, lächeln sie. Und ich bin glücklich."
Hier in Causeway Bay sind die Gehwege schwarz vor Menschen. Aus den U-Bahn-Eingängen quellen die Massen. Shopping-Alltag an der Hennessy Road Ecke Great George Street, eine der belebtesten Kreuzungen Asiens.
Leuchtreklamen, Handy-Geschäfte, Glasfassaden. Dieser schnellen effizienten Stadt ist nichts Altes heilig. Und trotzdem fährt sie noch, die Tram. Sie hat sich einen Platz im Herzen der Hongkonger erobert, sagt Alan Cheung. Durch 100 Jahre zuverlässigen Dienst.
"Angenommen ich ginge auf der Straße spazieren und würde eine Stunde lang keine Tram sehen. Mein Gefühl wäre: Ich vermisse meinen Freund. Die Tram ist unser täglicher Freund."
Die Straßenbahn ist eine Antiquität. Alan Cheung liebt sie dafür. Er hat ein Buch über die Tram geschrieben, sammelt alte Fotos, Fahrkarten, Memorabilien aller Art. Tagsüber hat er einen Bürojob beim Berufsverband der Baugutachter. Abends und am Wochenende widmet er seine Zeit dem alten Hongkong und vor allem seiner Straßenbahn.
"Sie ist mein Freund, Teil meines Lebens. Ich fahre jeden Tag, außer wenn ich es eilig habe, mit der Straßenbahn."
Stolz erzählt Alan Cheung, die Hongkonger Tram sei die einzige Doppeldecker-Straßenbahn der Welt. Sie sieht eigenartig aus. Immer nur ein Wagen wie ein Bus, aber sehr schmal und hoch, eine dünne rollende Scheibe. Wenn sich zwei Bahnen begegnen, streifen sie sich fast. Die Fahrgäste im Oberdeck könnten sich im Vorbeifahren beinahe die Hand geben. Es ist im Wesentlichen eine einzige Strecke, auf der die Bahn verkehrt: Auf Hongkong Island, im ältesten Teil der Stadt, dort wo heute unter anderem die Bankentürme stehen. Mehr als 160 Bahnen fahren hier entlang, oft dicht hintereinander. Alle sind sie voll. Die Tram ist kein Museumsbähnchen, sondern integraler Bestandteil des Hongkonger Verkehrssystems. 30 Kilometer Schienenlänge, 123 Haltestellen, 240.000 Passagiere pro Tag.
Die kleine Bahn rollt an der glitzernden Hong Kong and Shanghai Bank von Norman Foster vorbei, am hornissenförmigen Turm der Bank of China von Ieoh Ming Pei. Sie wirkt wie ein Fremdkörper hier, aber folgt selbstbewusst ihrem fest einbetonierten Schienenstrang.
Kurz nach den Banken wird die Bebauung wieder etwas niedriger und dichter.
"Wan Chai! Das ist ein ganz besonderer Stadtteil. Sehr populär. Das ist wie eine Verdichtung von ganz Hongkong. Hier gibt es das Moderne und das ganz Alte. Das vermischt sich hier."
Wan Chai. Das ist Suzie-Wong-Land, Hongkong in den 50er Jahren. Richard Mason hat dem Stadtteil mit seinem Roman ein literarisches Denkmal gesetzt. "The world of Suzie Wong". Es geht um den guten Jungen aus England und seine Liebe zur Matrosenhure. Vor allem aber geht es um Hongkong und Wan Chai.
Rasselnd und funkenstiebend kam eine Straßenbahn heran. Wir kletterten zu den Dachsitzen hinauf und fuhren ratternd zwischen dahinrollenden Straßen davon, an Neonklippen vorbei. Die Straßen der Innenstadt hatten bereits begonnen, in ihre tägliche Nacht unterzutauchen; erst dahinter begann wieder das Lichtergewirr von Wan Chai.
Noch heute kann man sie hier antreffen: Gruppen amerikanischer Matrosen etwa, Bubengesichter, auf dem Weg in die Stripper-Bars der Lockhart Road. Die Banken und die Huren leben in direkter Nachbarschaft. Die Tram kennt da keine Unterschiede. Seit 100 Jahren verbindet sie beide Welten miteinander, die Welt des Kapitals und die Welt der Suzie Wong.
Die 50er Jahre, das war eine wilde Zeit in Hongkong. Elend, Armut, aber auch Aufbruch. Hunderttausende strömten nach Mao Zedongs Sieg im Bürgerkrieg aus China in die Stadt. Auch diese alte Dame in der Tram. Sie kann nicht mehr gut gehen, sitzt ganz vorn beim Fahrer, damit sie schnell rauskommt.
"Ich bin vor 50 Jahren aus Festlandchina immigriert. Und vor 50 Jahren bin ich auch das erste Mal Straßenbahn gefahren. Das war etwas Besonderes. Drüben auf der Kowloon-Seite, wo ich gewohnt habe, gab's das ja nicht."
Bis heute nicht. Die Straßenbahn fährt nur auf Hongkong Island. Die andere Stadthälfte, Kowloon, auf der gegenüberliegenden Seite des Victoria Harbour ist tramfrei. Ursprünglich fuhr die Bahn am Ufer entlang. Heute schiebt sie sich mitten durch die verstopfte Stadt. Doch nicht sie hat sich bewegt, sondern das Ufer, durch immer weitere Landgewinnung. An den Kurven und Windungen der Strecke lässt sich noch die alte Küstenlinie nachvollziehen. In den 80er Jahren wäre die Tram dem Stadtumbau beinahe zum Opfer gefallen. Doch die Hongkonger haben sie gerettet. In einer Volksbefragung machten sie klar: die Straßenbahn muss bleiben.
"Die Tram ist langsam. Dadurch kann man was sehen draußen. Ich mag diese Langsamkeit. Wenn ich wenig Zeit habe, nehme ich den Bus. Aber sonst fahre ich Tram, die ist billiger. Und ich fahre einfach gern mit ihr."
Billig, spottbillig. Seit den 80er Jahren liegt der Fahrpreis unverändert bei zwei Hongkong-Dollar, das entspricht 16 Euro-Cent. Auch preislich fällt die alte Bahn aus dem Hongkonger Rahmen, einer Stadt, in der man schnell mal 3000 Euro Miete zahlen kann. Langsam und billig. Das hat sie zum Verkehrsmittel vor allem der alten und ärmeren Menschen gemacht, verschafft ihnen Mobilität. Sie ist eng, nicht sehr bequem, ohne Klimaanlage. Im Sommerhalbjahr ist der Schweißausbruch garantiert. Sie ist nichts für Geschäftsleute, nichts für Dynamiker. Sie ist anstrengend, und doch wird sie von allen geliebt in Hongkong. Wie eine gute Mutter sei die Tram, sagt die Studentin Yukhang:
"Ich denke, das ist unsere collective memory, kollektive Erinnerung. Es war da, wenn Hongkong noch eine sehr kleine Stadt war. Und es war immer hier als die Entwicklung Hongkong. Ja, also es ist immer hier."
Und dann fügt sie noch hinzu:
" Eigentlich denke ich, das ist eine sehr romantische Verkehrsmittel. Das ist langsam, aber das ist sehr perfekt für die Liebe."
Von Luft und Liebe scheint auch die private Tramgesellschaft zu leben. Die Stadt gibt keine öffentlichen Subventionen, und der Preis von zwei Hongkong-Dollar ist eher ein symbolischer. Doch in Hongkong ist genug Geld im System, sagt Alan Cheung.
"Von dem Fahrpreis können die nicht existieren. Doch sie haben die Werbung auf dem Tram-Körper außen. Und dann sind da noch die zwei antiken Bahnen, die man für Partys mieten kann."
Die Tram-Werbung ist Kult geworden in Hongkong. Die Bahnen verwandeln sich komplett. Ein fahrender Rimowa-Koffer. Paul-Smith-Streifen bis unters Dach. Die Tram ist perfekter Werbeträger. Sie fährt rastlos durch eine der vollsten und reichsten Städte der Welt.
"Causeway Bay ist das geschäftigste Viertel auf Hongkong Island. Sie sehen da draußen die vielen Leute. Hier gibt es viele Einkaufszentren, Entertainment, Shopping, Restaurants. Hier genießen die Leute das Leben. Die Mieten sind hoch hier im Vergleich zu Wan Chai."
Draußen ist es voll. Ein Hauch von Chaos. Doch an der Tramhaltestelle stehen die Menschen in englischer Tradition ordentlich Schlange. Die Tram ist das britischste aller Hongkonger Verkehrsmittel, sie ähnelt den Londoner Bussen. Bis in die 50er Jahre hinein wurden die Bahnen in Großbritannien hergestellt, mit viel Holz im Innenausbau. Nur die paar Wagen aus der jüngsten Baureihe bestehen ganz aus Aluminium. Doch das System ist auch hier das gleiche. Der Einstieg ist hinten. Bezahlt wird vorn beim Hinausgehen.
Jeder Fahrgast wirft ein Zwei-Dollar-Stück in einen Schlitz oder hält seine magnetische Geldkarte an das Abbuchgerät. Der Fahrer Andy Ho nickt jedem einzelnen freundlich zu.
"Ich mag Verkehr, und ich mag Dienstleistung für andere Menschen. Wenn die Leute aussteigen, lächeln sie. Und ich bin glücklich."
Hier in Causeway Bay sind die Gehwege schwarz vor Menschen. Aus den U-Bahn-Eingängen quellen die Massen. Shopping-Alltag an der Hennessy Road Ecke Great George Street, eine der belebtesten Kreuzungen Asiens.
Leuchtreklamen, Handy-Geschäfte, Glasfassaden. Dieser schnellen effizienten Stadt ist nichts Altes heilig. Und trotzdem fährt sie noch, die Tram. Sie hat sich einen Platz im Herzen der Hongkonger erobert, sagt Alan Cheung. Durch 100 Jahre zuverlässigen Dienst.
"Angenommen ich ginge auf der Straße spazieren und würde eine Stunde lang keine Tram sehen. Mein Gefühl wäre: Ich vermisse meinen Freund. Die Tram ist unser täglicher Freund."