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Klimakonferenz ICCA2019
Die Städte und die globale Erwärmung

Die Städte sind Teil des Problems bei der Erderwärmung. Denn hier würden mehr als 60 Prozent des CO2-Ausstoßes verursacht, so Bundesumweltministerin Svenja Schulze auf der ICCA2019. Doch die Städte sind auch ein wichtiger Teil der Lösung, betonte sie und forderte den Schulterschluss der Kommunen.

Von Anke Petermann | 23.05.2019
Transparent gegenüber der Heidelberger Kongresshalle zur Klimakonferenz ICCA, auf dem steht: „Degrowth statt Green Growth" – Wachstumsrücknahme statt grünes Wachstum
Weniger Wachstum statt grünes Wachstum, fordern Klimaschützer (Deutschlandradio/Anke Petermann)
Die Stadt der Gastgeber gilt als ambitioniert: Heidelberg will den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2050 drastisch zurückfahren. Dabei hilft der Stadtteil, der neben dem Hauptbahnhof entsteht. Was die Heizenergie angeht, ist die "Bahnstadt" klimaneutral. Heidelbergs parteiloser Oberbürgermeister Eckart Würzner ist stolz auf die "weltgrößte Passivhaussiedlung" für demnächst 7.000 Menschen. Dreifachverglasung, Mega-Dämmung und Wärme-Rückgewinnung sparen die Heizung.
"Die Stadt - das war der Trick - hat die komplette Fläche dieses alten Bahnhofsareals gekauft und hat die Vergabe der Grundstücke mit eigenen Standards belegen können - das, was man vom Gesetzgerber her eigentlich nicht darf, wenn man nicht Eigentümer ist. Das hat funktioniert. Die Investoren waren anfangs nicht so begeistert, aber die Bürgerinnen und Bürger waren begeistert, die Wohnungen waren sehr schnell weg."
Beim Auto endet oft das Engagement für Klimaschutz
Und wären vielleicht auch schnell weg gewesen, wenn die Stadt das am Bahn-Knotenpunkt gelegene Viertel autofrei geplant hätte. Stattdessen entschied sie sich für den üblichen Mix: Autoverkehr samt Tiefgaragen, ergänzt…
"… durch Jobtickets, Fahrradabstellmöglichkeiten, gute Fahrradachsen. Aber die Anzahl der Stellplätze ist eigentlich so gering, dass wir derzeit Ärger haben von vielen die sagen, 'warum habt ihr nicht mehr geschaffen'."
In Kalifornien kommen 26 Millionen Autos auf nur 35 Millionen Einwohner, die CO2-Emissionsquote des Transports ist im Waldbrand-gebeutelten US-Sonnenstaat auf 51 Prozent angewachsen, klagte auf der Heidelberger Konferenz Kate Gordon, Expertin für Klimarisiken und neue Leiterin des Planungsbüros beim Gouverneur von Kalifornien. Auch in Deutschland sinkt der Treibhausgas-Ausstoß im Verkehrsbereich nicht, weil die Autos immer größer werden, konstatiert Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD. Das österreichische Wien bietet keine kostenlosen Parkplätze mehr an, London hat die City-Maut.
"Wir sind ein Autoland", sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen: "So was machen wie Nahverkehrsabgabe, City-Maut und ähnliches – da haben wir keine Mehrheiten."
Boden - die begrenzte Ressource
70 Millionen Menschen werden in den kommenden drei Jahrzehnten in die Städte ziehen. Auch im dicht besiedelten Deutschland plant man neue Stadtteile auf Feldern und in Bach-Auen. Boden nur noch zu versiegeln, wenn er zum Ausgleich anderswo entsiegelt wird - diese Forderung von Umweltschützern ist in den Augen von Bundesumweltministerin Schulze chancenlos:
"Das ist theoretisch immer ganz klasse, wenn man aber, wie ich, aus einer Stadt kommt, aus Münster, wo man sieht, dass viel mehr Menschen in der Innenstadt leben wollen, wir aber gar keinen Wohnraum mehr haben, dann muss man da auch Wohnraum und Nachverdichtungen ermöglichen können. Wenn wir sagen, es wird nichts mehr zusätzlich versiegelt, heißt das, da kann niemand mehr hinziehen. Das kann auch nicht der Weg sein."
Immer mehr Städte ergreifen Maßnahmen
Nur allmählich sinkt in Deutschland der Flächenverbrauch für Gewerbe, Siedlung und Verkehr auf unter 0,8 Quadratkilometer täglich, etwa die Hälfte davon wird komplett versiegelt. Münster und Kopenhagen als Fahrradstädte, Wien mit seiner 365-Euro-Jahreskarte für den Öffentlichen Nahverkehr weisen jedenfalls den Weg zur emissionsarmen Fortbewegung. Neben Münster haben auch Konstanz, Kiel und Heidelberg offiziell den Klimanotstand erklärt. Das eint sie mit dem kanadischen Victoria. Dessen Oberbürgermeisterin Lisa Helps hat ihr Privatauto verkauft, fährt Rad oder nutzt im Dienst gelegentlich einen Wagen aus der städtischen Elektroflotte.
"In British Columbia hatten wir in den vergangen beiden Sommern Brände, das nimmt uns auch in den Städten den Atem, das ist ein globaler und örtlicher Notstand. Den lokalen Klimanotstand offiziell auszurufen, das ermöglicht uns, mehr Ressourcen in die Problemlösung am Ort zu stecken - mehr Personal und mehr Geld."
"Ein Planet, der heruntergewirtschaftet wird"
Die Generation "Fridays for Future" stellt das alles nicht zufrieden. Erwachsen-Werden in einem kollabierenden Ökosystem, überleben auf einem Planeten, der zugrunde gewirtschaftet wird, so beschreibt die deutsche Delegation das Lebensgefühl vieler Jugendlicher. Die junge indische Wissenschaftlerin Rhea Anthony wird konkret.
"Anfang des Monats traf ein Wirbelsturm die Ostküste meines Landes, vergangen Jahr tötete ein Flut 500 Menschen in Kerala im Süden. Es gibt Dürre und Wasserknappheit in einigen indischen Regionen. Die Länder rund um Indien und weltweit haben dieselben Probleme."
Um das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 im globalen Durchschnitt zu schaffen, müssten die reichen Länder, insbesondere Deutschland als viertgrößter Treibhausgas-Verursacher weltweit, früher klimaneutral werden, verlangt Fridays-for-Future: Nämlich bis 2035. Bis Ende dieses Jahres müsse die Bundesregierung dafür ein Viertel der Kohlekraftwerke abschalten und eine CO-2-Steuer einführen. Rhea Anthony, die Nachwuchswissenschaftlerin aus Mumbai, verlangt außerdem, dass entwickelte Länder besonders betroffenen ärmeren Regionen helfen - mit Geld, Daten und Forschung: "to mitigate these climate effects" - "…um diese Klimafolgen abzumildern."