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Klinik für Muslime

Die Bertaklinik in Hannover hat eine Station eingerichtet, die für muslimische Patienten reserviert ist. Hier werden die islamischen Speisevorschriften eingehalten. Die Angehörigen der Patienten übernehmen einen Teil der Pflege. Außerdem gibt es einen Gebetsraum, der nach Mekka ausgerichtet ist. Kaum war die erste Klinikstation für Muslime in Deutschland eröffnet, entbrannte ein Streit über deren Sinn. Solch eine Einrichtung, bemängeln Kritiker, sei hinderlich für die Integration ethnischer Minderheiten und führe keinesfalls zu einer besseren medizinischen Versorgung.

Von Michael Engel | 26.07.2005
    "Am wichtigsten ist das Essen", urteilt Dr. Attila Talas, der die Idee für die 43-Betten-Station für Muslime hatte. Die würzigen Speisen werden von einem tür-kischen Restaurant geliefert, natürlich ohne Schweinfleisch, so wie es der Koran vorschreibt. Sprachbarrieren – ein Hauptproblem für viele türkische Patienten in deutschen Krankenhäusern – gibt es in der Bertaklinik nicht:

    "Erstens hat die Bertaklinik eine türkisch sprechende Assistenzärztin und zwei türkisch sprechende Krankenschwestern eingestellt. Die anderen Krankenschwestern sind dahin gehend geschult, dass sie die Gewohnhei-ten der muslimischen Patienten achten. "

    Zu diesen Gewohnheiten gehört auch, dass viele Angehörige zu Besuch kom-men dürfen, so wie das in islamischen Ländern üblich ist, in deutschen Kran-kenhäusern aber nicht so gern gesehen wird. Das Konzept verbindet muslimi-sche Lebenskultur mit westlicher Schulmedizin. Attila Talas:

    "Als wir uns diese Station ausgedacht haben, war die Idee gar nicht In-tegration oder Desintegration, sondern wir wollten eine Station schaffen, wo die muslimischen Patienten gerne hingehen und sich doch einigerma-ßen heimisch fühlen. Das hat mit Integration oder Desintegration nichts zu tun. Und wir haben uns darüber auch keine großen Gedanken gemacht. "


    Genau diesen Vorwurf der "Desintegration" erhebt Ramazan Salman, der wie Dr. Talas vor Jahrzehnten aus der Türkei nach Deutschland kam. Für den Ge-schäftsführer des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover sind die Haupt-pfeiler der Integration von Migranten Bildung, Arbeit und Gesundheit. In diesen drei Bereichen dürfe es keine ethnischen Insellösungen geben. Und er fügt hin-zu: "Wir wollen keine Türkenkliniken". 0.20

    "Eine gemeinsame Gesellschaft, die jetzt entstehen muss, weil wir zuse-hens, und der Deutsche Bundesmigrationsbericht zeigt das, in den Bal-lungszentren einen Bevölkerungsanteil der Migranten mittelfristig erhal-ten werden, der zum Beispiel in Frankfurt an die 50 Prozent reicht. Und wenn wir dann anfangen, türkisch muslimisch zu sagen, dann müssen wir auch eine für russisch sprachige Patienten machen. Dann müssen wir auch eine Klinik für Afrikaner machen. Also da müssen wir, um allen gerecht zu werden, lauter ethnisch spezifische Angebote schaffen. Das steigert nicht die Kompetenz, nicht die Effizienz, nicht die Qualität."

    Die Betreiber der Bertaklinik in Hannover sehen das anders. Patienten, die sich wohl fühlen, genesen schneller. Natürlich, so Dr. Axel Düsenberg, könne es kei-ne neurochirurgische Station nur für Türken, ein Transplantationszentrum nur für russische Patienten oder eine Krebsklinik allein für Albaner geben. Doch in der Allgemeinmedizin und bei internistischen Problemstellungen rechneten sich ethnisch orientierte Kliniken durchaus:

    "Wenn diese Gesellschaft Integration über die Schulen zustande ge-bracht hat, dann ist es gut. Und wenn sie soweit in unserer Gesellschaft angekommen sind, dass sie in jedem Krankenhaus gut zurecht kommen, dann kann es auch so sein. Es gibt aber eine große Gruppe an Patienten, bei denen das eben nicht der Fall ist. Die eben in ihrem abgeschlossenen Bereich leben und für diese Patientengruppe haben wir ein Angebot ge-schaffen."

    Doch auch die Jüngeren, die keinerlei Verständigungsprobleme haben, bevorzu-gen die Bertaklinik mit ihrer Station für Muslime – weil die orientalische Atmo-sphäre im Patientenzimmer so ganz anders ist als in einer deutschen Klinik. Dr. Cornelia Goesmann - Vizepräsidentin der Bundesärztekammer – kann das ver-stehen:

    "Die Kliniken liegen ja schon alle im Wettbewerb, auch vor dem Hinter-grund Bettenabbau, und da versucht jede Klinik sich doch ein individuel-les Gesicht zu geben, um zu schauen, wo kann ich noch Patientenkreise rekrutieren, die andere nicht haben. Also ich finde das nicht verkehrt. Es rechnet sich wahrscheinlich sogar."

    Stimmt! Und deswegen kommen Anfragen zum Konzept der Station für Musli-me aus Frankfurt, Berlin und Hamburg. Sogar holländische Krankenhausbetrei-ber haben schon angeklopft. Für Dr. Attila Talas ist das erst der Anfang. Hun-derte von Kliniken – so seine Hoffnung - werden dem Beispiel folgen. Bei 3,5 Millionen Muslime in Deutschland sei der Bedarf riesig:

    "Also ich halte die Integrationspolitik bzw. das Bemühen der Bundesre-publik seit den letzten 40 Jahren zumindest im Gesundheitswesen für ge-scheitert. "