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Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel
Mehr Laborversuch als Live-Konzert

Klavier, Gesang, Violine, seit 2017 auch Violoncello: In dieser Reihenfolge wiederholt sich jeweils im Jahresabstand der Concours Reine Elisabeth in Brüssel, einer der prestigeträchtigsten Musikwettbewerbe der Welt. In der Kategorie Klavier mussten die Finalisten in diesem Jahr ohne Publikum auskommen.

Von Johannes Jansen |
Gewinner des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs: Der Franzose Jonathan Fournel
Gewinner des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs: Der Franzose Jonathan Fournel (Queen-Elisabeth-Competition2021/Derek Prager)
Es ist das Erkennungsgeräusch dieses Wettbewerbs im zweiten Jahr der Pandemie: Zufallstöne, die beim Abwischen der Klaviatur entstehen. Nach jedem Vortrag die gleiche gewissenhafte Prozedur. In hygienebewussten Zeiten wie diesen richten sich Auge und Ohr auf solche Nebensächlichkeiten. Denn es fehlt an sonstiger Ablenkung.

Ein beinahe gespenstisches Szenarium

Kein Publikum, keine Pausengespräche, kein Geraune auf dem Flur und keine Wetten darauf, wer es in die nächste Runde schafft. Kontakt zum Geschehen kommt nur durch Mikrofone und Kameras zustande. Den Königin-Elisabeth-Musikwettbewerb online zu verfolgen, die Möglichkeit gibt es schon länger. In diesem Jahr war es, neben Radio und Fernsehen, die einzige Option. Die Türen der Salle Henry Le Bœuf blieben verschlossen, wenn man nicht selbst zu den Teilnehmern gehörte, zur Jury, zum Personal oder technischen Stab – oder als Schirmherrin dieses Wettbewerbs der Königsklasse das Privileg besitzt, von der Mittelloge aus die Darbietungen auf der Hauptbühne des Palais des Beaux-Arts quasi als Privatvorführung zu erleben. Aber an sechs aufeinander folgenden Abenden in einem praktisch leeren Saal die fast immer gleichen Stücke zu hören – das macht man nicht allein aus Freude, es gehört auch Pflichtgefühl dazu.
Die Musiker sitzen und stehen bunt gemischt in Freizeitkleidung in einem modernen, weißen Raum.
Jugendorchester in Corona-Zeiten - Kreativ statt stillgelegt
Jugendorchester leiden besonders unter den Corona-Maßnahmen: Abgesagte Konzerte werden selten nachgeholt – und eine wichtige Phase der musikalischen Entwicklungsmöglichkeiten ist unwiederbringlich vorbei. Dennoch gibt es ermutigende Perspektiven.
Königin Mathilde, deren Vor-vor-vor-Vorgängerin Elisabeth den Wettstreit einst ins Leben rief, mag sich da manches Mal wie in einer Zeitschleife gefangen fühlen. Doch ihre Miene, soweit sich hinter der auch für sie obligatorischen Maske erkennen lässt, verrät nichts als freundliche Aufmerksamkeit. Allein die Kandidaten sind für die Dauer ihres Auftritts von der Maskenpflicht befreit und im Orchester nur die Bläsergruppe, teilweise abgeschirmt hinter Plexiglas und in weitem Abstand voneinander. Die Klarinettistin, der Hornist mit der blauen Brille, sie werden einem bald vertraut, und man freut sich, wenn die Bildregie zu ihnen hinüber schwenkt: Gesichter der Normalität in einem ansonsten beinahe gespenstischen Szenarium, mehr Laborversuch als Live-Konzert. Nichts soll der Kontrolle entgleiten. Und so klingt auch das Belgische Nationalorchester: kontrolliert und sauber, doch ohne jeden Glanz. Hugh Wolff wirkt gestresst. Der Dirigent hält den Laden zusammen. Mehr ist unter diesen Bedingungen nicht drin.

Lospech für den ersten Finalisten

Vitaly Starikov, wettbewerbsgestählter Busoni-Finalist, hatte das Lospech, den Finalreigen zu eröffnen. Sein Auftritt machte offenbar, wie sehr sich alle erst einmal an diese Umstände gewöhnen mussten. Sogar in Tschaikowskys b-Moll-Konzert nistete kollektives Unbehagen, nachdem Starikov schon im Pflichtstück zuvor mehrfaches Missgeschick beim Umblättern widerfahren war. "D’un jardin féérique" von Bruno Mantovani wurde, wie es Usus ist in Brüssel, eigens für diesen Wettbewerb geschrieben: eine in vielerlei Hinsicht unhandliche Partitur.
Die Finalisten bekommen die Noten erst eine Woche vor ihrem Auftritt zu Gesicht, um sodann das ihnen gänzlich unbekannte Stück unter Klausurbedingungen aufführungsreif einzustudieren. Zuhörer werden es vielleicht nicht lange in Erinnerung behalten, gewiss aber die Kandidaten wegen der strapaziösen Tremoli im auf mechanische Repetition abgestellten Schlussdrittel des Werks. Tatsächlich waren es am Ende nur noch Kandidaten. Von den Bewerberinnen, die nur etwa ein Sechstel des 58-köpfigen Teilnehmerfeldes stellten, rückte keine ins Finale vor. Auch nicht Hyelim Kim, Finalistin und Gewinnerin des Publikumspreises beim Clara-Haskil-Wettbewerb 2019 in Vevey.
Genauso wenig Glück war ihrer koreanischen Landsfrau Su Yeon Kim beschieden, die schon 2016 in Brüssel bis ins Halbfinale kam und jetzt noch einmal unter die letzten Zwölf. In früheren Jahren hätte sie sich damit Laureatin nennen dürfen. Diesmal nicht. Denn die Rumpfversion des Wettbewerbs in diesem Jahr war um eine Zwischenrunde verkürzt und das Finale auf sechs Plätze beschränkt. Auf den fünften dieser Plätze rutschte der unglückliche Starikov, mit 26 Jahren der jüngste Endrundenteilnehmer, vor Dmitry Sin, dem zweitjüngsten. Er machte seine Sache ähnlich gut wie der am Ende Zweitplatzierte Sergei Redkin. Beide hatten sich das 3. Klavierkonzert von Rachmaninow ausgesucht. Zwischen den drei russischen platzierten sich souverän zwei japanische Kandidaten, und niemanden hätte es gewundert, sie in der Schlusswertung jeweils eine Position weiter vorn zu sehen: Tomoki Sakata mit dem 2. Brahms-Konzert auf dem vierten Platz und Keigo Mukawa mit Prokofjews 2. Klavierkonzert auf dem hochverdienten dritten.

Gewinnner: Der Franzose Jonathan Fournel

Den Sieg trug – auch er mit dem B-Dur-Klavierkonzert von Brahms – Jonathan Fournel davon, genau drei Jahrzehnte nach Frank Braley, dem letzten französischen Gewinner im Klavier-Concours. Wie stark er gespielt hatte, wenn auch im Pflichtstück eine Spur zu verbissen, dessen wird sich Fournel selbst bewusst gewesen sein und wirkte doch verdattert. Auf diesen Oscar-Moment war er nicht vorbereitet und stammelte herunter, was man halt so sagt: dass er seinen Eltern danke und den Lehrern und, ja, den Großeltern natürlich auch.
Wahrhaft gerührt klang der Vorsitzende der Zwölferjury, Gilles Ledure, bei seinen Dankesworten, als er, an die Königin gerichtet, sagte: "Wir fühlten uns nicht allein." Da schwang auch Besorgnis mit. Denn ohne weitreichende royale Unterstützung, Glamour inbegriffen, kann ein Ereignis von der Größe und Bedeutung dieses internationalen Wettbewerbs auf Dauer nicht bestehen. Die Defizite durch den Ausfall des Kartenverkaufs in zwei aufeinander folgenden Jahren und die Kosten des Brandschadens vom Januar türmen sich jetzt bereits zu einer gewaltigen Hypothek.