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Kolonialismus-Debatte
Die Rückgabe reicht nicht aus

Ein klares Bekenntnis zur Restitution von Beutekunst aus der Kolonialzeit fehle aus der Museumswelt, meint Lorenz Rollhäuser. Dabei sei die Rückgabe nur der erste Schritt. Notwendig wären außerdem strukturelle Veränderungen in vielen kulturellen Einrichtungen - wie die Öffnung für "die Anderen".

Von Lorenz Rollhäuser | 27.12.2018
    Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin werden während einer Veranstaltung präsentiert. Die früheren unrechtmäßig entnommenen Grabbeigaben stammen aus Chenega Island an der Südküste Alaskas und werden nach einem Beschluss des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an die Chugach Alaska Corporation zurückgegeben.
    Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin werden an die Chugach Alaska Corporation zurückgegeben. (dpa-Bildfunk / Ralf Hirschberger)
    Auch wenn sie nach dem Report von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy erst mal ziemlich angegriffen dastehen: 2018 war ein gutes Jahr für die ethnologischen Museen. Denn der Report zeigt einen gangbaren Weg, eine historisch gewachsene Unrechtssituation zu beenden, der sich die Museen zunehmend bewusst sind.
    Die ersten Reaktionen folgten noch dem altbekannten Muster: Horst Bredekamp leugnete in Deutschlandfunk Kultur die bestimmende Rolle des Kolonialismus für die ethnologischen Sammlungen. Und Hermann Parzinger changierte in der FAZ einmal mehr so chamäleonhaft wie vage zwischen Zurückweisung und Affirmation, dass nur eins klar wurde: Entscheidende Schritte sind von ihm nicht zu erwarten.
    Gemeinsamer Appell von Wissenschaftlern
    Doch die Herren sind nicht mehr Herren des Diskurses. Über 80 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sprachen sich in einem gemeinsamen Appell für die Rückgabe des kulturellen Erbes aus, und schließlich hielt es auch die Politik nicht mehr auf den Sitzen: Michelle Münteferings und Monika Grütters’ gemeinsame Erklärung spricht deutlichere Worte zum Kolonialismus als alles bisher sonst von offizieller deutscher Seite dazu Gesagte.
    Ein ähnlich klares Bekenntnis hätte man sich auch von den Museumsleuten gewünscht. Doch anstatt die historische Chance zu erkennen, blieben sie, wenn nicht rundweg ablehnend, so doch wortkarg und seltsam verzagt. Das war Ende November auf dem internationalen Symposium in Dahlem mit dem verschwurbelten Titel "Deterred Heritage - Vertagtes Erbe" zu erleben und Mitte Dezember dann in Leipzig, hier "Sensitive Heritage" betitelt.
    Höchstens halbherziges Bemühen
    Die meisten Vertreter des Globalen Südens zeigten sich so erleichtert wie begeistert angesichts der Aussichten auf neue Beziehungen zu den westlichen Gesellschaften. Bei den hiesigen Museumsleitern und Kuratoren dagegen war davon nichts zu spüren, von irgend einer politischen Positionierung ganz zu schweigen. Zu ahnen war eher, wie schnell ein allenfalls halbherziges Bemühen wegen knapper Kassen oder bürokratischer Hemmnisse versanden kann.
    So war es wohl nicht zufällig Wayne Modest, Leiter der Forschungsabteilung der ethnologischen Museen in Amsterdam und Leiden, der in Leipzig einen deutlich anderen Ton anschlug. Jamaikanischer Herkunft und damit einer der ganz wenigen nicht-weißen Menschen in der europäischen Ethnologen-Welt, wies er zu Recht daraufhin, dass der Report vor allem ein "Call to Action" sei, ein dringender intellektueller, kultureller und vor allem auch politischer Handlungsaufruf.
    Beziehung zum Globalen Süden kolonial bestimmt
    Denn die Restitution von Beutekunst lässt sich nicht auf die faktische Rückgabe reduzieren, so wichtig dies als Geste und Voraussetzung alles weiteren auch ist. Vielmehr geht es um die Gegenwart unserer Beziehungen zum Globalen Süden, weil diese Beziehungen noch immer kolonial bestimmt sind. Um es mal zuzuspitzen: Die ethnologischen Sammlungen in Europa sind vom Kakaopreis so wenig zu trennen wie von den Toten im Mittelmeer. Und genau hierin liegt auch die Sprengkraft des Reports von Sarr und Savoy.
    Was den Museen not tut, ist keine punktuelle Kooperation mit Herkunftsgesellschaften, die als Alibi für ein strukturelles "weiter so" dient, sondern eine wirkliche institutionelle Öffnung für die sogenannten "Anderen", eine Dekolonisierung. Das allerdings gilt für den Kulturbetrieb insgesamt. Denn während postkoloniale Themen derzeit einen ungeahnten Hype erleben, zeigen sich die institutionellen Strukturen dahinter völlig unbeeindruckt: Sie bleiben Weiß.
    Solange sich unsere Institutionen aber die Perspektiven und Erfahrungen derer, die das Koloniale am eigenen Leib erfahren, nur bei Bedarf und auf Honorarbasis hinzuholen, spiegeln sie weder unsere Gesellschaft noch nutzen sie deren Potential. Das gilt für Schulen, Theater und Museen genau so wie für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.