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Komasäufer und Schlägerbraut

In der Serie "Letzter Ausweg Wilder Westen" schickt RTL verhaltensauffällige Jugendliche in die USA. Der Aufenthalt in der Wildnis soll Schläger, Komasäufer und Gangmitglieder auf ein neues und besseres Leben vorbereiten.

Von Klaus Deuse |
    Was Hessens Ministerpräsident Roland Koch schon immer vorhatte, nämlich auffällige Jugendliche in ein Erziehungscamp zu verfrachten, das führt ihm jetzt in bewegten Bildern RTL vor. "Teenager außer Kontrolle" nennt sich das Format, das der Sender als Dokumentation verkauft – um mit sechs schier unbezähmbaren Jugendlichen Quote zu machen. Eine Therapie, die sich im richtigen Leben jedoch nur die wenigsten von betroffen zuschauenden Familien leisten können. Führt er doch in die USA. Schon der Untertitel spricht Bände: "Letzter Ausweg Wilder Westen". Und dorthin nimmt der Sender – wie der Vorspann belegt - offenbar nur ganz ausgeflippte Früchtchen mit.

    "Jennifer, die schon als Kind von zu Hause ausgerissen ist und mit ihrer Gang die Straßen unsicher macht; Kevin, der selbsternannte Komasäufer, der ständig seine Eltern verprügelt, und Linda, die Schlägerbraut, die schon einmal einen Mitschüler mit Benzin übergossen hat."

    Bei welcher Art von Casting mag RTL nur auf diese Exemplare gestoßen sein. Aber: Zu dieser ohnehin explosiv präsentierten Truppe garniere man vor der Kamera noch ein paar leidvoll geprüfte Eltern....

    "Ich wünschte, es wäre nicht so, aber ich muss die Türen hier abschließen, weil ich Angst hab, dass sie für Drogen irgendwas versetzen könnte..."

    Und schon ist sie fertig: die quotenträchtige Mixtur aus Betroffenheit und Tränen unter dem Deckmäntelchen der Lebensberatung. Diebstahl mit Waffengewalt, Drogenhandel und Widerstand gegen die Staatsgewalt – die Teilnehmer haben in ihren jungen Jahren schon allerhand auf dem Kerbholz. Aber RTL verspricht Heilung:

    "Hier in der rauen Wildnis des mittleren Westens Amerikas sollen sich die Jugendlichen ohne die Verlockungen der Zivilisation auf das Wesentliche konzentrieren – hier sollen sie den Grundstein für ein neues Leben ohne Gewalt und Drogen legen."

    Doch das wäre für eine televisionär inszenierte Besserung einfach zu langweilig. Und darum gibt es nachgestellte Einspielfilme, in denen sich die Jugendlichen mal so richtig von ihrer ganz bösen Seite zeigen dürfen – wie die 14-jährige Jennifer im Streit mit ihrer verzweifelten Mutter.

    "Halt einfach die Fresse. Nää. Jennifer! Halt die Fresse! Mach die Tür auf. Verpiss Dich. Halt die Fresse, man!"

    Nachwuchs, der die Eltern vermöbelt, verspricht Quote. Und wenn die Jugendlichen vor der Kamera nicht ständig über die Stränge schlagen, muss halt der Sprecher aus dem Off für Dramatik sorgen. Wie bei der Ankunft auf dem Flughafen in den USA.

    ""Die Betreuer haben sich Verstärkung mitgebracht. Für den Fall, dass die Situation im Ankunftsbereich außer Kontrolle gerät."

    Was selbstverständlich passiert. Sonst würden der Komasäufer und die Schlägerbraut ihrem Ruf ja nicht gerecht – obwohl sie nur eine Zigarette rauchen wollen. Was dummerweise in den USA in öffentlichen Gebäuden verboten ist und nichts mit der Therapie zu tun hat. Und: die Früchtchen aus der deutschen Provinz schlichtweg nicht wissen.

    Aber: Action muss sein. Und deshalb bleiben die Jugendlichen auch nie allein. Immer ist die Kamera mit dabei – und das Mikrophon greift geradezu gierig auf, wenn jemand aus der Chaos-Truppe wie Linda in bester Vulgärmanier protestiert:

    "Man, ich hab doch nicht gewusst, dass das so ne abgefuckte Scheiße ist mit so Asi-Leuten, wär ich doch gar nicht mitgefahren."

    Und wenn der Eindruck suggeriert wird, dass diese Terror-Teenies in den abgelegensten Winkeln des Wilden Westen durch Sprechverbote und Isolierung zu sich selbst finden können, dann kugeln sich hierzulande nicht nur kompetente Therapeuten vor Lachen auf dem Teppich. Denn vor der Kamera müssen die Jugendlichen trotz des verhängten Schweigegebotes prompt ihren Senf zu allen möglichen Lebensbefindlichkeiten abgeben. Egal, Hauptsache sie bringen Quote. Was aus ihnen wird, danach fragt nach der auf sieben Folgen gestreckten sogenannten Dokumentation sowieso kein Aas.