Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv

Kommentar zur FIFA
„Notlügen“ des Weltverbands

FIFA-Präsident Gianni Infantino soll über eine teure Privatjet-Dienstreise nicht nur gelogen, sondern sie hinterlistig genutzt haben, um unliebsame Aufpasser abzuservieren. Das mache die Affäre für ihn nun zu einer echten Tretmine, kommentiert Thomas Kistner. Treffe die Darstellung zu, sei eine neue Strafermittlung unausweislich.

Von Thomas Kistner | 19.12.2020
FIFA-Präsident Gianni Infantino bei einer Pressekonferenz in San Jose, Costa Rica, am 19. November 2019.
Hat er gelogen? FIFA-Präsident Gianni Infantino. (imago images / Agencia EFE)
Der Schweizer Sonderstaatsanwalt Stefan Keller sieht in der Privatjet-Affäre massive Verdachtsmomente, dass auch Aufsichtspersonen der FIFA, die bis zu 300.000 Dollar pro Jahr im angeblich unabhängigen Amt kassieren, der Falschangabe von Infantinos Büro nicht angemessen nachgingen, deshalb hat er den Fall kürzlich bereits für eine weitere Strafuntersuchung empfohlen. Keller selbst ermittelt gegen Infantino in einer anderen Causa. Nun also erfolgt der vermeintliche Befreiungsschlag der FIFA – laut der angesehenen NZZ ergibt die Akteneinsicht folgendes Bild: Infantino hätte die Reise damals, im April 2017, genutzt, um heimlich das FIFA-Ethikkomitee umzubauen. Unterwegs habe er wohl die Kolumbianerin Claudia Maria Rojas getroffen, gleich nach der dringlichen Rückkehr per Privatjet vermutlich den Griechen Vassilis Skouris. Fakt ist, dass Skouris und Rojas Wochen später Chefs der beiden Ethik-Kammern wurden, per Handstreich abgesägt wurden der Schweizer Cornel Borbely und der Deutsche Hans-Joachim Eckert. Das hart ermittelnde Duo war Infantino heftig auf den Pelz gerückt, zum Zeitpunkt der Karibik-Reise lief sogar eine Untersuchung, die auch Infantino einbezog.

Eine Lüge bleibt eine Lüge

Das macht die Privatflug-Affäre nun zu einer echten Tretmine für Infantino. Stimmt die neue Version, hätte er ja eine Dienstreise – vorbei an allen Gremien und unter bewusst falsch deklarierter Verwendung enormer Geldsummen – hinterlistig genutzt, um unliebsame Aufpasser abzuservieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die FIFA selbst ihre Ethik-Anklägerin Rojas, die nicht einmal die drei FIFA-Verfahrenssprachen beherrscht, diesen Privatflug untersuchen ließ, der sie selbst betroffen hätte. Rojas lieferte den erwarteten Freispruch für den Boss, auf die Lüge gegenüber der Aufsicht ging sie gar nicht ein.
Und dann ist da die Lüge an sich. Im Bericht wird sie sie nun als "Notlüge" verharmlost, Infantino habe halt den wahren Grund seiner Geheimmission nicht verraten wollen. Aber das ist grober Unfug. Zunächst bleibt eine Lüge: Eine Lüge! Erst recht, wenn sie die wahre Verwendung einer Viertelmillion Dollar aus Verbandsgeldern verschleiert. Notlügen in Finanzfragen akzeptiert kein Ethikcode der Welt – und eine solche läge hier auch definitiv nicht vor. Denn die Verschleierung eines Treffens mit Leuten, die unbequeme Aufseher ersetzen sollen, begründet weder eine Notlage noch irgendeinen höheren Zweck. Im Gegenteil, vorliegend wäre der Zweck ja von besonders niedriger Natur und damit inakzeptabel: Eine intrigante Strippenzieherei, um Leute abzusetzen, die dem Treiben an Infantinos FIFA-Spitze auf der Spur waren. Die FIFA lässt alle Fragen dazu bisher unbeantwortet. Das nährt den Verdacht, sie könnte die enorme Brisanz erkannt haben, die hier entstanden ist. Denn falls die neue Darstellung zutrifft, ist eine neue Strafermittlung endgültig unausweichlich.