Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Kommt sie oder kommt sie nicht?

Gesundheit.- Auf der Medizinmesse Medica ging es um ein IT-Großprojekt der Bundesregierung: die elektronische Gesundheitskarte. Die FDP war stets gegen die Karte, mittlerweile ist ein FDP-Politiker Gesundheitsminister. Dementsprechend versprachen die Diskussionen Spannung.

Von Thomas Reintjes | 21.11.2009
    Die Verantwortlichen für die Elektronische Gesundheitskarte stellten sich auf der Medica überraschend der Realität. Wurde in den vergangenen Jahren stets der große Nutzen des Systems betont, waren die Aussagen jetzt – nach abgebrochenen Feldtests und nach dem Regierungswechsel in Berlin – deutlich zurückhaltender. Roland Heise von der verantwortlichen Projektgesellschaft Gematik:

    "Wir haben Feldtests durchgeführt. Die Feldtests haben klar gezeigt, dass es bei den getesteten Anwendungen genau eine gibt, die den Ansprüchen genügt, einen erkennbaren Nutzen zu erzeugen. Bei den Anwendungen darüber hinaus, Verordnungsdatendienst und Notfalldatendienst, da muss einfach nochmal nachgelegt werden."

    Eine magere Bilanz für ein IT-Projekt, an dem seit Jahren gearbeitet wird und das laut Gesetz eigentlich 2006 hätte starten sollen. Vor allem das elektronische Rezept galt als Einsparmaßnahme – doch es war zu kompliziert umgesetzt worden. Geblieben ist der sogenannte Stammdatendienst. Name und Adresse des Versicherten können damit in der Arztpraxis online überprüft werden. Ist der Versicherte umgezogen, kann die neue Adresse auf der Karte abgespeichert werden und die Krankenkasse muss keine neue Karte ausstellen. Doch obwohl die ersten elektronischen Gesundheitskarten in der Region Nordrhein bereits ausgegeben werden, funktioniert genau dieser Stammdatendienst noch nicht. Denn bisher sind die Kartenleser in den Arztpraxen noch offline, also nicht ans Internet angebunden. Da die neue Bundesregierung das Projekt Gesundheitskarte einer Bestandsaufnahme unterziehen will, ist unklar, wann diese Anbindung kommt. Das sorgt unter anderem bei Günter van Aalst von der Techniker Krankenkasse für Verärgerung.

    "Was wir brauchen, ist jetzt die Klarheit, ob diese Karten dann auch in dem Rahmen genutzt werden können, wie es vorgesehen ist. Das sind die Voraussetzungen gewesen, unter denen wir uns verpflichtet haben, Karten auszugeben. Und das muss auch jetzt kurzfristig klargestellt werden, wenn da Unsicherheiten bestehen."

    Ohne die geplanten Funktionen bietet die Karte den Krankenversicherungen keinen zusätzlichen Nutzen. Außer einem Foto des Versicherten ist sie praktisch gleichwertig mit der bisherigen Krankenversicherungskarte. Die Allgemeine Ortskrankenkasse hatte die Ausgabe der neuen Karten deshalb zwischenzeitlich gestoppt. Auf der Medica war aus dem Bundesgesundheitsministerium ein Bekenntnis zum Aufbau der sogenannten Telematik-Infrastruktur zu vernehmen. Das heißt: Die Online-Anbindung der Arztpraxen kommt. Laut Bundesgesundheitsminister Rösler schnellstmöglich. Ärzte und Industrie fordern konkretere Zeitpläne.

    Volker Czmok vom Kartenleserhersteller CCV Celectronic hat damit so seine Erfahrungen. Bisher konnten nur Ärzte in Nordrhein Kartenleser für die Gesundheitskarte kaufen, die Ausweitung auf das gesamte Bundesgebiet wurde jetzt wieder einmal verschoben, es ist sogar noch unklar, welche Regionen als nächstes versorgt werden sollen.

    "Unterm Strich ist eigentlich immer das gleiche Thema: eine Verzögerung. Da leben wir ja schon seit Jahren mit. Sie wissen ja, dass das Gesetz eigentlich die Einführung für 2006 vorgeschrieben hatte und jetzt schreiben wir 2009 und das ist vorbei und einige 10.000 Karten sind vielleicht bis dahin ausgegeben oder vielleicht 100.000 Karten. Das ist natürlich insgesamt für die Industrie nicht wirklich lustig."

    Die Hersteller entwickeln seit Jahren Soft- und Hardware und müssen ihre Produkte den immer neuen Spezifikationen für die Tests anpassen, ohne ihren Aufwand in Gewinn verwandeln zu können. Weitere Tests der Online-Funktionalitäten, etwa des elektronischen Arztbriefs, stehen im kommenden Jahr in Essen auf dem Plan. Auf der Medica hatten auch ihre Gegner, die Kritiker der Gesundheitskarte, ihr Forum: Sie forderten in Düsseldorf einmal mehr, die möglichen Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte erst so zu testen, dass die Tests auch aussagekräftige Ergebnisse liefern. Erst dann, und wenn die Kosten-Nutzen-Abschätzung stimmt, solle über die Einführung der neuen Gesundheitskarte entschieden werden.